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STUTTGART: KATJA KABANOVA – Juwel des Repertoires

14.06.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Staatsoper Stuttgart: „KATJA KABANOVA“ 13.6.2012 – Juwel des Repertoires


Glaubwürdige Singschauspieler: Andrea Danková (Katja) + Pavel Cernoch  (Boris). Copyright: A.T.Schaefer

Auch bei der zweiten Wiederauffrischung dieses Janacek-Opus nach dem Ostrowskj-Schauspiel „Gewitter“ bestätigte sich der Premiereneindruck vom Mai 2010: Jossi Wielers und Sergio Morabitos in bewährter Zusammenarbeit geschaffene Inszenierung ist das Ideal-Beispiel, wie Musiktheater-Aufführungen generell sein sollten – werktreu im Sinne einer Wahrung zeitloser Aspekte und gleichzeitiger Bedienung einer fortschrittlichen, heutiges Verständnis markierenden Personenregie. Janaceks voller Theaterblut steckende Stoffe und Vertonungen bieten da allerdings soviel natürlichen Sprengstoff, dass sich übergestülpte Zwangs-Konzepte im Prinzip verbieten.

Der wesentliche Anhaltungspunkte bietende Bühnenraum von Bert Neumann sowie Nina von Mechows Kostüme, die den Zusammenprall von Tradition und Aufbruch zeigen, sind die goldrichtigen Zutaten zur Arbeit des Hausherrn, der die Stuttgarter Gepflogenheit, Inszenierungen auch über Jahre und Umbesetzungen hinweg in jedem Detail frisch zu erhalten, auch dieser seiner als Gesamtpaket geschlossensten Regie zugute kommen lässt. So wurde das Drama einer durch die Zerreibung zwischen anerzogener moralischer Strenge und der verführerischen Getriebenheit eines befreienden Liebesverhältnisses in den Selbstmord getriebenen jungen Frau auch mit einer neuen Katja zum aufrüttelnden Erlebnis. Die international viel beschäftigte Slowakin Andrea Danková, die diese komplette Serie von der erkrankten Christiane Iven übernommen hatte, ist in der Titelrolle mit ihrer attraktiv gewinnenden Bühnenausstrahlung und der optimalen vokalen und gestalterischen Deckung ein Glücksfall für die ganze Aufführung. So wie sie die speziellen farblichen Nuancierungen der tschechischen Sprache dank der Flexibilität ihres vom zarten Piano bis zum überstrahlenden Forte tragfähigen Soprans auszuloten vermag, und dazu noch eine beklemmende schauspielerische Studie zwischen kindlich unbefangener Träumerei und Überforderung mit der Realität bietet, entsteht der Eindruck einer authentischen Rollenausfüllung, wie sie dem Komponisten wohl vorgeschwebt haben mag.

So wurden ihre Monologe und die Szenen mit dem erneut in seiner jugendlich charmanten Scheu und klanglich expansivem Tenor für sich einnehmenden Pavel Cernoch als Boris zu besonderen Höhepunkten. Ob die stimmschöne und gesamtheitlich expansive Mezzosopranistin Tina Hörhold als Pflegetochter Warwara, Roland Bracht als aggressiv gemütlicher und baßschwerer Dikoj, Andreas Hermann als locker charaktertenoraler Kudrjasch, Torsten Hofmann als unter passend stetem (auch vokalem) Überdruck stehender Tichon oder Heinz Göhrig als vorbildlich klar intonierender und engagierter Wissenschaftler Kuligin – alle verstehen es glauben zu machen, dass ihre Rollen so und nicht anders zu besetzen sind. Handlungsgemäß herrscht die Kabanicha über alle, diesmal allerdings nicht mit der etwas dick aufgetragenen vokalen Rustikalität der jüngst viel zu jung verstorbenen Leandra Overmann, sondern mit der keinesfalls weniger strengen, aber ihr üppiges und umfangreiches Register dosierter und abgerundeter einsetzenden Renée Morloc.

Die überzeugende Feinarbeit des Regieteams erstreckt sich bis in die kleinen Rollen der gleichfalls engagiert mitziehenden Sylvia Rena Ziegler als Magd Glascha, Elinor Sohn als Fekluscha und Motti Kaston als Passant, der Katja nach ihrem Geständnis andeutungsweise vergewaltigt. Ein starker Mitspieler auch in kleineren Aufgaben ist wiederum der Staatsopernchor Stuttgart.

Das Drama fand indes auch im Graben statt, wo das Staatsorchester Stuttgart hörbar machte, wie ein technisch und klanglich hoch entwickeltes Instrumental-Ensemble Janaceks anspruchsvolle Tongebung zwischen romantisch idyllischem Strömen und Anpassung an den schroffen Sprach-Rhythmus zur Delikatesse adeln kann. Robert Reimer verstand es, beides zu koordinieren, die großzügige emotionale Entfaltung und die kleinteilige Taktpräzision. Die erzeugte Spannung erstreckte sich bis in die Vor- und Zwischenspiele, dem bebenden Gewitter oder dem unheimlichen Nachspiel, wenn nach Katjas Tod ein wortloser Chor wie innere Stimmen des Wahns, aber auch des Mahnens die massiven Schlussakkorde verstärkt.

Leider kam die Wertschätzung für dieses Opern-Ereignis seitens des Publikums in nicht nachvollziehbar gedämpfter Form zum Ausdruck. Weil das Stück zu wenig bekannt, die Tonsprache zu speziell ist? Dies war jedenfalls die einzige Enttäuschung des Abends.

Udo Klebes

 

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