Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Kammertheater: 6. LIEDKONZERT DER OPER STUTTGART MIT OFFENBACHS „HERR BLUMENKOHL GIBT SICH DIE EHRE

Eine verrückte Parodie

20.07.2018 | Operette/Musical

6. LIEDKONZERT DER OPER STUTTGART MIT OFFENBACHS „HERR BLUMENKOHL GIBT SICH DIE EHRE“ am 19.7.2018 im Kammertheater

EINE VERRÜCKTE PARODIE

 Weiße Luftballons liegen verstreut auf dem Boden und hängen an den Wänden. Dazu sieht man einen Leuchter, einen Tisch und Sessel. Die Regie von Anika Rutkofsky beleuchtet die Zeit des Fin de siecle in der Epoche des französischen Kaisers Napoleon III. Die Handlung ist schnell erzählt: Sänger verweigern sich hier Monsieur Blumenkohl („Choufleuri“) trotz einer fürstlichen Gage. Kammersänger Karl-Friedrich Dürr (Bassbariton) mimt hier den unverwüstlichen Blumenkohl als neureichen Schwaben, der sich zwischen Melodiefetzen von „Can Can“ („Orpheus in der Unterwelt“) und „Barcarole“ („Hoffmanns Erzählungen“) über die Allüren einer Gesellschaft mokiert, die ihn nicht ernst nimmt. Trotzdem hat er die Bosse von Porsche, Bosch und Mercedes eingeladen. Er erwartet Opernstars wie die Netrebko, Trott und Laufmann, die ihn jedoch plötzlich im Regen stehen lassen. Zu Beethoven- und Wagner-Anklängen („Lohengrin“) zerplatzen viele Luftballons, was die Heiterkeit ungemein erhöht (Kostüm: Astrid Eisenberger; Bühne: Susanne Gschwender; Dramaturgie: Sergio Morabito). Im Hintergrund vernimmt man Blockflöten-Musik, es erklingt sogar der Stuttgart-21-Protestruf „Oben bleiben!“

Da ist wirklich alles vertreten, zumal Christopher Schmitz als versierte Eidechse am Klavier klangfarbenreich und in tausend schillernden Farben glänzt. Blumenkohls Tochter Ernestine liebt den Musikus Casimir (virtuos verkörpert von dem Tenor Daniel Kluge), der die Situation schließlich rettet, denn er hat die Idee, die fehlenden Sänger einfach zu simulieren. Als Tenor Rubini ist er in gewiefter Weise mit von der Partie, erntet sogar Ovationen. Die leidenschaftliche Operntheatralik wird vom Ensemble hier immer mehr auf die Spitze getrieben, zumal die koloraturenreiche Sopranistin Aoife Gibney als Ernestine das Publikum mit ihren atemberaubenden Intervallsprüngen und einem unglaublich bunten Luftballon-Outfit zu faszinieren versteht. Ihre Haare werden dabei kunstvoll nach oben gezerrt. In den komischen Bolero und die Reprise kann der echauffierte Monsieur Blumenkohl schließlich ebenfalls enthusiastisch einstimmen. Kammersänger Heinz Göhrig (Tenor) als Brösel sowie Michael Wilmering (Bariton, Herr von Krauthofer) und Moritz Kallenberg (Tenor, Frau von Krauthofer) komplettieren die illustren Gäste im spießbürgerlichen Salon Blumenkohls, in dem alles drunter und drüber geht. Hysterische Oktavsprünge und rhythmische Zuckungen heizen die Stimmung bei dieser gelungenen Aufführung ständig weiter an. Auch die Walzerweise in E-Dur oder die wiederholt tänzelnden Halbtonschritte bleiben stark im Gedächtnis, zumal die Sängermannschaft minuziös darauf reagiert. Selbst das Zitat aus Meyerbeers „Robert le diable“ schwebt sphärenhaft über dem durchsichtigen harmonischen Gerüst, das sich zunehmend auffächert. Staccatierte C-Dur-Achtel lassen die Akteure außer Rand und Band über die Bühne hetzen.

ALEXANDER WALTHER      

 

Diese Seite drucken