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STUTTGART/ Gauthier-Dance: OUT OF THE BOX III

Stuttgart: Gauthier Dance: „OUT OF THE BOX III“ 13.1. (UA 12.1.) – Tiefgründiges unterhaltsam verpackt:


Schwebend durchs Universum: Anna Süheyla Harms in „Piano Particles“. Copyright: Regina Brocke

 “Nun sind wir endlich eine Institution” verkündete Compagniechef und Namensgeber Eric Gauthier erleichtert bei seiner gewohnt locker witzigen Einstiegs-Moderation, denn pünktlich zum Beginn des 5. Jahres des noch jungen Ensemble haben die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg jene Subventionen vertraglich zugesichert, die für den vollen Betrieb und die künstlerischen Ansprüche benötigt werden. Inzwischen auf 10 Tänzer angewachsen, erfreut sich diese Einrichtung eines so enormen Publikums-Zuspruchs, dass beständig schon länger im voraus ausverkaufte Vorstellungen Zusatztermine erforderlich machen und auch das überregionale Interesse an Gastspielen weiter wächst.

Wie sehr das neue Schichten für den Tanz erschlossene Publikum (denen die großen Choreographen-Namen z.T. gar kein Begriff sind) die zweite fixe Compagnie neben dem Stuttgarter Ballett ins Herz geschlossen hat, bezeugt gerade auch die Offenheit für Choreographien aus den eigenen Reihen. Bereits zum dritten Male hat Gauthier seine Tänzer gebeten, selbst etwas zu kreieren, und bei dieser Gelegenheit natürlich wieder Eigenes beigesteuert.

Seine beiden neuesten Werke sind von fließend beschleunigtem Tanz bestimmt, der den Zuschauer förmlich mitreißt oder mit trägt. „HissSTORY“ schildert die Zweigesichtigkeit der Schlange zwischen Furcht und Faszination – überaus anschaulich, so wie sich die wendige kleine Baskin Garazi Perez Oloriz  wahrlich schlangengleich aus einem Korb windet und in den Armen eines/ihres Beschwörers zum schillernden Objekt wird.

Als erster Abschnitt eines dreiteiligen Projekts befasst sich „PIANO PARTICLES“ mit der physikalischen Untersuchung von Raum und Zeit, in dem ein Liebespaar und eine Gruppe als Atomteilchen in einem Labor-Universum fungieren und die auf einem Bildschirm angezeigten Impulse der als Anregung dienenden Musik von Steffen Wick und Simon Detel aufgreifen. Die live gespielte Klaviermusik lässt durch die elektronische Bearbeitung und Erweiterung die Tänzer in ihren luftigen Kostümen durch die mit Lichtschneisen aufgehellte Dunkelheit des Alls schweben. Im Mittelpunkt steht Marianne Illig als anleitende Wissenschaftlerin im schwarzen Anzug mit Gelehrtenbrille, die sich auch mal auf Spitze dreht oder ergänzende Worte spricht. Auf die Fortsetzung dieses ungewöhnlichen Projekts dürfen wir gespannt sein.

Eric Gauthiers Tänzer setzen bei ihrer Beschäftigung mit verschiedensten Themen verstärkt pantomimisches Vokabular ein; der Tanz, die Entwicklung neuer Schritt-Formen tritt dabei etwas in den Hintergrund. Wie selbst ein Streifen durchs Haar oder ein Kribbeln über Gesicht und Körper einer vertrauten Liebe noch überraschend prickelnde Glücksgefühle geben können, zeigt Garazi Perez Olorizs in ihrem dreiteiligen Pas de deux „NAKED EYES“. Wie sie selbst und Rosario Guerra diese innigen Beziehungen geschmeidig und einfühlsamst umsetzen, das zaubert dem Zuschauer wirklich das beabsichtigte Lächeln/Lachen ins Gesicht.

Die Gegenüberstellung von erstarrter Konvention und versuchtem Ausbruch behandelt Anna Süheyla Harms in „ALL THAT TALKING“ anhand einer fünfköpfigen Folkloregruppe und einem dagegen ankämpfenden Ausdruckstänzer, und beweist, dass Veränderungen auch ohne Worte stattfinden können. Die Australierin, eine ungemein fesselnde und attraktive Tänzer-Persönlichkeit, steht als Tänzerin selbst im Mittelpunkt des von Armando Braswell entworfenen Solos „PRETTY UGLY“, einer Studie über die Gefahr exzentrischer Anwandlungen bei im Rampenlicht stehenden Idealen. Schonungslos und mit dem Mut zu peinlichem Verhalten veranschaulicht Harms das Bild einer Diva, die vor dem Spiegel in ihrer Garderobe mit ihrem realen Ich konfrontiert wird.

LIKE WATER FOR CHOCOLATE“, ein weiterer Beitrag Braswells, beweist, dass Liebe durch den Magen geht, und ein von Anneleen Dedroog und Florian Lochner charmant ausgespielter Ehekrach ein schlechtes Rezept, eben mit Wasser angerührte Schokolade ist.

In ihrem für sich selbst konzipierten Solo „TOC TOC“ macht Marianne Illig zum gleichnamigen Schlager von Josephine Baker das Paris der florierenden 20er Jahre wieder lebendig, in dem sie dem Naturell ihrer französischen Muttersprache entsprechend, den Wortwitz in flinke, puppenhafte Beweglichkeit übersetzt.

Als einziges Stück fand Rosario Guerras „INBETWEEN“ zu keiner stichhaltigen Vermittlung, irgendwie blieb es an der Schwelle des beabsichtigten Übergangs zwischen konkreten Möglichkeiten, ja titelgemäß irgendwo dazwischen hängen. Rein tänzerisch gesehen hatte es durch den athletischen Einsatz von Florian Lochner, William Moragas und dem als neues Compagnie-Mitglied sofort mit markanter Ausstrahlung auffallenden Albanier Leander Veizi doch einiges zu bieten.

Die gute Mischung aus thematischer Vielfalt, intellektuellem Anspruch und leicht verdaulicher Unterhaltung, die individuell ausgeprägte Präsenz der Tänzer und nicht zuletzt die einladend leichte Präsentation durch Eric Gauthier traf auch diesmal wieder den Publikumsnerv und erzielte anhaltende, zuletzt stehende Ovationen.                   

Herzlichen Glückwunsch zum kleinen Jubiläum, das in diesem Jahr sicher noch einige Überraschungen bringen dürfte.                                                                      

Udo Klebes

 

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