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STUTTGART: Fritz Kater “ ZEIT ZU LIEBEN, ZEIT ZU STERBEN“. Das Leben als Tanz

23.12.2015 | Theater

 DAS LEBEN ALS TANZ

STUTTGART: Premiere von Fritz Katers (Armin Petras)  „zeit zu lieben zeit zu sterben“ im Schauspielhaus am 22. Dezember 2015

Ein Stück in drei Teilen, bei dem eine Band mit Konrad Hinsken, Wolfgang Morenz, Lucas Müller, Lisa Marie Neumann und Johann Seifert dominiert: Frei nach Motiven des Films „Time Stands Still“ von Peter Gothar hat Fritz Kater dieses Werk konzipiert. In der subtilen Regie von Antu Romero Nunes und der weiträumigen Bühne von Florian Lösche entfalten sich die Szenen wie von selbst, lassen den engagierten Schauspielern viele Freiräume.

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Julischka Eichel, Peter Jordan. Foto: Bettina Stöß

Der erste chorische Teil mit „eine jugend/chor“ erzählt von den absurden Erlebnissen eines Jungen, der der barschen Atmosphäre des Wehrdienstes schließlich hilflos ausgeliefert ist. Der stets präsente Chor mit Susanne Böwe, Christian Czeremnych, Julischka Eichel, Peter Jordan, Johann Jürgens, Robert Kuchenbuch, Andreas Leupold und Svenja Liesau entführt das Publikum in die recht trostlose Welt der ehemaligen DDR. Die jungen Leute rebellieren gegen das starre System zwischen Fußball, Disco und Klassenfahrt. Die Mauer verstärkt die Sehnsucht nach der absoluten Freiheit, denn auch die sexuellen Aktivitäten der Jugendlichen werden hier von den Erwachsenen stark kontrolliert.

Noch stärker wirkt dann der zweite Teil „ein alter film/die gruppe“, bei dem der triste DDR-Alltag ebenso gnadenlos auf die Schippe genommen wird. Die Bühne befindet sich dabei in einem permanenten Zustand der Bewegung. Der Vater fehlt bei dieser Familiengeschichte in schmerzhafter Weise, denn er ist in den Westen abgehauen. Peter, der von Peter Jordan höchst emotional und nicht ohne Ironie verkörpert wird, versucht bei flott inszenierten Tanzszenen aus seiner inneren Einsamkeit auszubrechen. Vergeblich. Selbst erotische Erlebnisse mit Mädchen können ihn nicht aus seiner Isolation erlösen. Das fängt der Regisseur Antu Romero Nunes in beklemmender Weise ein. Dominierend ist hier der von Andreas Leupold herrlich unbeherrscht gemimte Onkel Breuer, der nach zwölf Jahren Knast nun die von Susanne Böwe mit beinahe stoischem Gleichmut gespielte Mutter Eva heiraten will. Breuer impft den Kindern ein, nie den Helden zu spielen und sich der Gesellschaft anzupassen: „Du musst einverstanden sein mit der Welt, in der du lebst!“ Die Kinder Peter und Ralf (recht überzeugend: Peter Jordan und Johann Jürgens) lehnen sich überraschenderweise fast gar nicht gegen den seltsamen Onkel auf, der sie fest im Griff zu haben scheint. Witzig wirken die grotesken Szenen mit dem Sportlehrer Bühring Uhle, der von Johann Jürgens fast schon cholerisch verkörpert wird. Das Schulsystem der DDR wird dabei ad absurdum geführt. Die aufmüpfigen Jugendlichen Dirk und Ina wehren sich vehement gegen den „nach Scheiße stinkenden“ Lehrer, was Robert Kuchenbuch und Svenja Liesau in rasanter Weise über die Rampe bringen. Svenja Liesau vermag auch der gar nicht so zugeknöpften Lehrerin Jolanta eine verführerische Aura zu verleihen, insbesondere in jenem Moment, als sie von einem ihrer Schüler begehrt wird. Da gewinnt die Inszenierung satirische Züge. Svenja Liesau gibt ferner der aufrührerischen Yvonne ein deutliches Gesicht. Christian Czeremnych kann als Hagen und Jolantas eher zurückhaltender Mann Milan das Publikum überzeugen. Und Julischka Eichel ist die feurige Adriana, die den Männern völlig den Kopf verdreht.

Zwischen Nebel und Dunkelheit gewinnt diese temporeiche Inszenierung immer deutlicher an Fahrt, gelegentlich blitzen auch revuehafte Momente auf. Hier gibt insbesondere der hervorragende Peter Jordan den Ton an. Auch die fetzige Musik von Johannes Hofmann trägt dazu bei, dass keine Langeweile aufkommt. Der gut gelungene Song „Halt Dich an Deiner Liebe fest“ kommt beim Publikum aufgrund seiner berührenden Akzente besonders gut an. Die Zuhörer werden hier sogar aufgefordert, einfach mitzumachen.

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Lisa Marie Neumann, Robert Kuchenbuch. Foto: Bettina Stöß

Im dritten Teil „eine liebe/zwei Menschen“ ist die störende Mauer dann plötzlich weg und kommt so niemandem mehr in die Quere. Robert Kuchenbuch und Lisa Marie Neumann spielen in bewegender Weise Mann und Frau. Es offenbart sich aber eine verstörende Hölle. Der Mann hat nämlich Frau und Kind verlassen, um anderswo Geld zu verdienen. Aber es will ihm nichts gelingen. In einer Kantine begegnet er einer Ausländerin, verliebt sich. Doch die Beziehung endet in einer psychischen Hölle, aus der es keinen Ausweg gibt. Das Erwachsenwerden in der DDR der 70er und 80er Jahre wird hierbei von Antu Romero Nunes in schmerzhafter Weise geschildert. Und die eigentliche Wahrheit wird unterdrückt. Das bringt die Inszenierung drastisch zum Vorschein. Die Vergangenheit verändert sich andauernd, deswegen dreht sich auch die Bühne wie auf einer Drehscheibe, die nicht zu stoppen ist. Grenzüberschreitungen werden bewusst provoziert. Autoritäten zerbrechen an ihren eigenen Ansprüchen.

Die Kostüme von Karoline Bierner und Thomas Mache passen sich dem Geschehen an. Alles in allem ist dem Regisseur Antu Romero Nunes eine spannungsvolle Inszenierung geglückt, die zuweilen auch noch mehr szenische Konzentration vertragen könnte. Ausgezeichnet gelungen ist jedenfalls der Sprung vom Zehn-Meter-Brett bei dem durchgeknallten Sportlehrer Bühring Uhle, bei der sich ein Schüler aus der Pappkarton-Attrappe befreien kann. Für alle Darsteller und das Regieteam gab es zuletzt begeisterten Schlussapplaus für dieses besondere Theater-Erlebnis als Konzert.  

Alexander Walther    

 

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