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STUTTGART: FIDELIO – Saisonstart mit Rollendebüt

25.09.2016 | Oper

Stuttgart. „FIDELIO“ 23.9.2016 – Saisonstart mit Rollendebut

Eric cutler by Dario Acosta
Eric Cutler. Copyright: Dario Acosta

In Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann startete die Stuttgarter Oper in die neue Spielzeit –trotz eines Repertoire-Klassikers und mit Abonnement-Belegung vor vielen freien Plätzen. Nach den Sommerferien dauert es, wie schon mehrfach in den vergangenen Jahren beobachtet, offensichtlich länger, bis der laufende Theaterbetrieb auf breiter Basis registriert wird.

Die Anwesenden wurden Zeuge einer Vorstellung, bei der noch nicht alles so ganz reibungslos funktionierte, allerdings ein Dirigenten- und ein Rollendebut erhöhte Aufmerksamkeit forderten. Grund genug, diese beiden in erster Linie zu würdigen. Patrick Lange, bereits in jungen Jahren auf eine stattliche internationale Opernhaus- und Orchesterpraxis zurückblickend und ab 2017/18 neuer GMD am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, steuerte von Beginn an mit ruhiger Hand durch Beethovens Freiheitsoper, ging mit einer geradlinigen und auf extreme Akzente verzichtenden Interpretation auf Nummer Sicher und sorgte so für eine runde klassische Wiedergabe, in der alle Ausprägungen von der deutschen Spieloper bis zum revolutionären romantischen Drama zu ihrem Recht kamen. Geringfügige Unebenheiten in der Begleitung des Chores und in der Tempo-Abstimmung mit einigen Solisten dürften sich im Laufe folgender Aufführungen legen. Das Staatsorchester Stuttgart folgte seiner Linie mit transparentem Zusammenspiel und satter, aber auf Überdruck vermeidender Integration der markanten Blechbläser-Farben.

Auch Eric Cutler, der sich zusehends das große deutsche Fach erobernde amerikanische Tenor, setzte unter der erhöhten Anspannung seines Florestan-Debuts klugerweise auf Risiko-Verzicht und hub zum langgezogenen, crescendierenden „Gott“ seiner Auftrittsarie nicht im effektiveren Piano, dafür aber im von Anfang an kernig sitzenden Mezzoforte an und ließ dieses noch weiter bis zum Forte anschwellen. Im weiteren Verlauf behauptete er sich mit allzeit gut gestützter Tongebung und gewann seinem leicht dunkel schattierten Timbre einen natürlich wirkenden Leidenston ab, der mit ihm bangen und hoffen machte. Ohne Griff zum Forcieren schwang er sich in die vertrackten Höhen des himmlischen Reiches, der namenlosen Freude wie auch dem finalen Lobpreis der Erringung des holden Weibes. Dazu eine unaffektiert stimmige Prosa. Alles in allem ein erfreulich runder Rollen-Einstand.

Auf Augenhöhe begegnete er seiner Leonore durch die ebenso auf Pathos verzichtende wie ohne vokalen Kraftakt auskommende Rebecca von Lipinski. Ihr Sopran hatte auch diesmal wieder jene große lyrische Strahlkraft und Intensität, Wortdeutlichkeit wie auch Nuancierungs-Willen, die dieser Partie ihre volle Würde geben.

Roland Brachts noch erfreulich gut erhalten gebliebene erzene Bass-Instanz sowie seine sonore Sprechstimme gaben dem Rocco wieder das erforderliche Persönlichkeits-Profil und die Greifbarmachung des Zwiespalts zwischen Anpassung und Gefühlsnachgabe. Michael Ebbecke wiederum imponierte diesmal hauptsächlich mit unangestrengtem Höhendonner, Mittellage und Tiefe verflachten dagegen und nahmen dem unterdrückenden Despoten den Unterbau seiner Macht. Josefin Feiler war mit kleinem und dennoch präsentem Sopran erneut die glaubwürdig in ihrer Situation gefangene Marzelline, Daniel Kluge der sie mit markant kräftigem lyrischem Charaktertenor bedrängende Jaquino und Ronan Collett der kostümbedingt mehr als ein Bote als der Minister selbst verkörpernde Don Fernando mit solide eingesetztem Bassbariton-Material.

Young Chan Kim und Ulrich Wand führten den Staatsopernchor als solistisch eingesetzte Gefangene würdig an und standen insgesamt für den ebenso einfühlsamen wie klangvollen imposanten Qualitäts-Standard des Ensembles.

Der Eindruck der Inszenierung des Hausherren-Teams Jossi Wieler und Sergio Morabito blieb im Wesentlichen unverändert gegenüber der Erstbegegnung und schwankt zwischen der aufrichtigen Bemühung um die für die spezielle Dramaturgie des Werkes so wichtigen Berücksichtigung des kompletten Dialog-Textes und der gleichzeitig durch die Über-Mikrofonierung des Bühnen- und Klangraum-Konzepts des letztes Jahr verstorbenen Szenenbildners Bert Neumann entstehenden künstlichen und auf Dauer kaum berührenden Wirkung. Nach der gleißenden Dauerhelligkeit des ersten Aktes im geschlossenen Bühnenkasten sorgt der im Halbdunkel gehaltene Kerker für eine immerhin handlungs-kongruentere Atmosphäre. Die unglückliche, zum Teil würdelose gelb/graue Kostümierung der Gefangenen durch Nina von Mechow erfordert auch so manches Augezudrücken, zumal deren im leichten Dauerlaufschritt und durch geometrisch-choreographische Bewegungen ergänzte Aufmärsche den Grad der Lächerlichkeit noch erhöhen.

Insgesamt wohlwollendes, aber eher verhaltenes Publikumsecho mit einzelnen Ovationen.

   Udo Klebes

 

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