„Un soir de neige“ mit dem SWR Vokalensemble am 3.11.2018 in der evangelischen Kirche Gaisburg/STUTTGART
MENSCHLICHKEIT UND FRIEDEN
Unter dem vielsagenden Motto „Figure humaine“ („Menschliches Antlitz“) und „Un soir de neige“ trat das SWR Vokalensemble hier auf. Paul Eluards Aufruf „Ode an die Freiheit“ aus dem Jahre 1942 wurde gegen die deutsche Besatzung verbreitet. Francis Poulenc hat den Text als kleine Kammerkantate mit surrealistischen Bildern zu einem harmonisch vielschichtigen Klangkosmos verarbeitet. Klarheit und neoklassizistische Eleganz beherrschten auch den Vortrag des SWR Vokalensembles unter der inspirierenden Leitung von Peter Dijkstra, der die vielschichtigen thematischen Zusammenhänge minuziös offenlegte. „Un soir de neige“ („Ein verschneiter Abend“) gefiel mit einem Klangfarbenspiel in symbolistischen Naturbildern. Die Musik klang sehr dezent und überzeugte mit schwebenden Dissonanzen. Auch die einfache Harmonik und die differenzierten kontrapunktischen Satztechniken stachen so in reizvoller Weise hervor. Mit raffinierter Rhythmik wartete diese facettenreiche Interpretation in jedem Fall auf. „The name Emmanuel“ von Martin Smolka wiederum bestach in der kontrastreichen Wiedergabe des SWR Vokalensembles unter Peter Dijkstra durch ein ausgesprochen meditatives Klangbild. Das Werk beruht auf einem Text aus dem ersten Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Der Engel des Herrn erscheint dort Joseph im Traum und kündigt ihm die Geburt Jesu an. Das dreigestrichende C der Soprane rückt das Klangbild hier sehr deutlich in eine betont sphärenhafte und überirdische Aura, was das SWR Vokalensemble ausgezeichnet betonte. Von Ton de Leeuw erklangen dann die beiden ausdrucksvoll interpretierten Kompositionen „Silence“ und „Car nos vignes sont en fleur“, wo sich der Einfluss von Olivier Messiaen deutlich bemerkbar machte. Die Tonskalen wirkten dabei sehr polyphon und gefielen mit vielen Reibungsflächen. Dieses geradezu mystische Klangbild löste sich zuletzt völlig auf. Ausgefeilte rhythmische Satztechniken und monodische Strukturen stachen dabei nuancenreich hervor. In dem zwölfstimmigen Chorstück „Car nos vignes sont en fleur“ („Denn unsere Reben sind in Blüte“) widmete sich Ton de Leeuw dem „Hohelied“ der Bibel. Die tiefe Sehnsucht nach Liebe erreichte bei dieser Wiedergabe einen dynamischen Höhepunkt. Das rhythmische Deklamieren trat so eindringlich hervor. Höhepunkt dieses interessanten Konzertabends war dann jedoch die exzellente Interpretation von „Figure humaine“ von Francis Poulenc aus dem Jahre 1945. Hier schraubte sich das harmonische Gerüst zwischen lauten und leisen Passagen immer weiter und schwungvoller nach oben, was das SWR Vokalensemble unter Dijkstra vor allem am Schluss mit dem ekstatischen dreigestrichenen E in begeisternder Weise herausarbeitete. Insbesondere das Fugato des siebten Satzes fesselte mit bestechender Klarheit.
Alexander Walther