Michael Nagl (Masetto), Lauryna Bendziunaite (Zerlina). Leon Kosavic(Don Giovanni). Copyright: Martin Sigmund)
STUTTGART: DON GIOVANNI. Zwischen feiner Beobachtung und Albernheiten am 2.2.2018
Hin und hergerissen wischen den beiden genannten Eigenschaften ging auch die 40. und vorläufig letzte Vorstellung der Inszenierung von Andrea Moses über die Bühne und hinterließ auch in musikalischer Hinsicht einen wechselhaften Eindruck. Angelehnt an Vicki Baums Roman „Menschen im Hotel“ von 1929 trifft das Personal dieser Mozart-Oper hier in Gegenwartskleidung in einem drehbaren zweistöckigen Hotel-Aufbau mit Garage, Bar und Lounge sowie von außen durch Schiebetüren einsichtbaren Zimmern aufeinander (Bühne und Kostüme: Christian Wiehle). Menschen, die weder in ihrer Einsamkeit noch in der Gemeinschaft lebensfähig sind und an ihren Träumen zerbrechen. Selbst die Titelrolle ist davon nicht ganz ausgenommen, auch der Verführer Don Giovanni bleibt in seinem Trieb nach der Damenwelt und sexuellen Abenteuern letztlich ein Ruheloser, der mit seinen Opfern nicht gerade zimperlich umgeht. Als Mythos überlebt er alle Tode und springt hier mit dem letzten Scheinwerfer-Spot, bevor es dunkel wird, aus seiner Hinrichtungshaltung wieder auf. Warum er zunächst angeschossen, den Rest selbst mit einer eigenen Kugel erledigt, bleibt vor dem Hintergrund dieser Interpretation allerdings fragwürdig. Auch die Auferstehung des Komturs – in der Friedhofsszene stellt er sich von Leporello herein geführt, einfach auf den Souffleurkasten, vor der Höllenfahrt steht er als lebendige Autorität (Liang Li mit ergreifend erdigem und dunkel getöntem Bass) zwischen dem als Schläger aufgemachten Herrenchor – nimmt der aus dem Jenseits erfolgenden Rache ihre höherstehende Macht.
Nun aber zu den neuen Gesichtern dieser Aufführungs-Serie. Eine willkommene Abwechslung als Don Giovanni bietet der erst 26jährige Kroate Leon Kosavic mit smarter Erscheinung, einer angesichts seines jugendlichen Alters schon bemerkenswert reifen und gesetzten Gestaltung, die ihn ohne sonderlich expressive Mittel zum Zentrum des Geschehens macht. Auch das rein Vokale schüttelt dieser Interpret mit einem gleichmäßig durchgebildeten Bariton, der ihm in allen dynamischen Bereichen vom Schmeichelton des Ständchens bis zum wütenden Aufbegehren flexibel gehorcht, mit Leichtigkeit aus dem Ärmel. Und trotz all dieser Vorzüge übertrifft ihn Andreas Wolf als wendiger, in allen Situationen spielerisch beherrschter Diener Leporello. Sein recht fülliger, plastisch ausgeprägter Bass-Bariton mit lediglich leichten Defiziten in der Tiefe weiß die textlichen Philosophien genüsslich aufzugreifen und in Verbindung mit einem spürbaren Sinn für feinen Witz als gehobene Unterhaltung zu servieren.
Auf der uneingeschränkten Habenseite stehen noch zwei der drei Damen: Mandy Fredrich als sensibel frauliche Donna Anna, die ihren durchweg klar und ohne jegliche Einbussen durch Mozarts technische Tücken einer lyrisch-dramatischen Koloratur-Partie steuernden Sopran mit einer unaufdringlich natürlichen Präsenz paart; und Lauryna Bendziunaite als durchtrieben aktive Zerlina, deren in den Höhen betörend heller und klangvoll leuchtender Sopran wieder einmal begeisterte.
Aus dem Opernstudio übernahm in dieser Saison erstmals Michael Nagl den Masetto. Der recht beleibte und dabei geschickt bewegliche Wiener gibt dem übel mitgespielten (hier) Hausmeister und Barkeeper eine Mischung aus Gemütsruhe und abrupter Eifersucht, unterstützt von einem soliden, im Wesentlichen präsenten Bass mit Ausbau-Potenzial.
Neben all diesen Konstanten fielen die Wechselbäder der weiteren beiden Solisten und der orchestralen Umsetzung umso mehr auf. Ezgi Kutlu scheint als Mezzosopran mit der Tessitura der doch recht hoch notierten Donna Elvira den ganzen ersten Akt zu kämpfen, recht harte Registerübergänge und eine immer wieder versuchte Aufhellung der dunkel grundierten Stimme künden von diesem erst im zweiten Akt in ruhigere Bahnen gelenkten Grenzgang. Den Kampf einer hoffnungslos verliebten Frau mit sich selbst und um Don Giovanni veranschaulicht sie indes auf jene bezwingende Weise, mit der über Mozarts Charaktere gelacht werden kann ohne sich über sie lustig zu machen.
Als ehemaliges Mitglied des Opernstudios ist Stuart Jackson nun als Don Ottavio zurück gekehrt und verkörpert Annas Verlobten mit jener Portion Ungelenkigkeit und Steifheit, die seiner vokalen Anlage entspricht. Die weiß timbrierte, phasenweise an einen Lied- und Oratoriensänger erinnernde Stimme pendelt zwischen schön auf dem Atem gesungenen Lyrismen und einer dann doch nicht durchgängig gehaltenen Linie beim Verbinden von Phrasen und Kadenzen. Der Londoner ist aber noch jung genug, um diese Defizite in den Griff zu bekommen.
Als Korrepetitor genießt Willem Wentzel einen guten Ruf, als phasenweise in Erscheinung tretender Dirigent ist bislang sein meist etwas grober Umgang mit der Transparenz einer Partitur aufgefallen. So auch hier, bereits in der Ouvertüre irritieren viele unartikuliert bleibende und dadurch verwaschen und verschwommen wirkende Streicherfloskeln. Am saubersten sind die Bläser integriert, während er der Pauke immer wieder zu freien und das Klangbild zudröhnenden Freilauf gibt. Mit dem Ergebnis, dass die zweifellos schon weit ihrer Zeit voraus gewesene Dramatik einiger Schlüsselstellen und speziell der Höllenfahrt etwas künstlich erzwungen wirkt anstatt aus sich selbst zu sprechen.
Donnernder Applaus für mehrere Solo-„Vorhänge“!
Udo Klebes