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STUTTGART/ Domkirche St. Eberhard. CHORKONZERT STAATSOPERCHOR – SPHÄRENHAFTE KLANGFLÄCHEN

05.12.2014 | Konzert/Liederabende
SPHÄRENHAFTE KLANGFLÄCHEN Chorkonzert a cappella in der katholischen Domkirche St. Eberhard am 5. Dezember 2014 /STUTTGART

Chormusik aus drei Jahrhunderten präsentierte der glänzend disponierte Staatsopernchor unter der einfühlsamen Leitung von Johannes Knecht in der vollbesetzten katholischen Domkirche St. Eberhard. Das „Agnus Dei“ aus Edison Denisovs Oper „Der Schaum der Tage“ für vierstimmigen Chor und Saxophon (facettenreich: Nikola Lutz) überzeugte mit polyphonen Finessen und kontrapunktischen Kunstgriffen, die der Staatsopernchor ausgezeichnet herausarbeitete. Zur „gottlosen Gegenwart“ wurde somit ein eindrucksvoller Kontrast gesetzt. Dieses in der Domkirche überaus eindringlich gestaltete „Agnus Dei“ beschreibt die beklemmende Situation eines Liebespaares, das auf der Eisbahn Zeuge eines blutigen Unfalls mit Todesfolge wird. Die Schutzbedürftigkeit des Menschen und das Bedürfnis nach Trost und Beistand unterstrich der Dirigent Johannes Knecht bei seinem Dirigat sehr emotional. Hervorragend gestaltete der exzellente Staatsopernchor dann die beiden Motetten „Vexilla regis“ und „Chistus factus est“ von Anton Bruckner, wobei die dynamischen Kontraste in überaus reizvoller und auch gewaltiger Weise hervorstachen. Chromatische Feingliedrigkeit wurde bei dieser Wiedergabe großgeschrieben. Aus kurzen Motiven entwickelten sich die Themen in wunderbar ausbalancierten Legato-Bögen. Die in sich geschlossene Themengruppe vermittelte ein Gefühl unmittelbarer Direktheit und Leuchtkraft. Engführung und Umkehrung des Hauptthemas gewannen immer größere Intensität bis zum hymnisch-homophonen Höhepunkt. Auch die Unisono-Einsätze ließen an Präzision nichts zu wünschen übrig. Eine geheimnisvolle Verbindung zu den Kirchentönen rückte hier in greifbare Nähe. Und auch der Aufbau harmonischer Spannung gelang dem Ensemble vorzüglich. Eine positive Überraschung war außerdem die Bekanntschaft mit den beiden Chorstücken „Stilles Licht“ und „Dir singen wir“ des russischen Komponisten Pawel Tschesnokoff, der bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr ein großes geistliches Oeuvre geschaffen hatte. Als er allerdings die Zerstörung einer Kathedrale mit ansehen musste, in der er als Chorleiter gewirkt hatte (sie musste einer Lenin-Statue weichen), komponierte er nie wieder. Die mystischen Dimensionen dieser beiden Chorwerke wurden vom Staatsopernchor unter der impulsiven Leitung von Johannes Knecht sehr gut betont. Altrussische Liturgie und klanggewaltige Meditationen blitzten mit eherner Macht hervor. Weit verzweigte Klangbilder göttlichen Zaubers fesselten dabei die gebannt lauschenden Zuhörer. Zum Abschluss dieses denkwürdigen Konzertabends begeisterte die subile Wiedergabe von Mark Andres Stück „En Sof“ (2012/2014) für 28-stimmigen Chor und Live-Elektronik als Uraufführung. Der Komponist war übrigens anwesend. Diese Uraufführung ist unmittelbar aus der Arbeit an der Oper „wunderzaichen“ hervorgegangen, die ja in Stuttgart in der Staatsoper zu sehen war. Der Chor hat zwei große Szenen und Situationen. Zu Beginn bilden die Engel, Touristen und Flughafenangestellte die klangliche Erweiterung des Körpers von Johannes. Sie tragen einen Bogen bei sich und erzeugen im Warteraum des Flughafens rauschende Klänge, die an geheimnisvolles Atmen erinnern. Dies kam in der akustisch weiträumigen Domkirche St. Eberhard in geradezu sphärenhafter Weise zum Vorschein. Die Halleffekte ließen das Publikum hier nicht mehr los. So entstand ein unheimlicher Zwischenraum von Leben und Tod – zwischen Diesseits und Jenseits. Es wurde bei der Interpretation auch deutlich, wie klar Mark Andre als Schüler Helmut Lachenmanns bei diesem Werk eine Brücke zur jüdischen Musik schlägt. Das gleichzeitige Erklingen der Stimmen im Raum der Eberhardskirche und die Simulation des „metaphysischen“ Klangraums in der Jerusalemer Grabeskirche ging den Zuhörern unter die Haut. Da vernahm man dann Schnalzen, Klacklaute oder wortlos gesungene Töne bis hin zum totalen Verstummen. Selbst Feuerimpulse waren herauszuhören. Das SWR- Experimentalstudio (Klangregie: Joachim Haas, Michael Acker, Sven Kestel) schickte die Stimmen des Vokalensembles immer wieder äusserst raffiniert durch die Klangräume der Jerusalemer Grabeskirche. Diese grandiosen akustischen Effekte kann man nicht vergessen. Als Zugabe war noch der bewegende „Segenswunsch“ aus der Oper „Chowanschtschina“ von Modest Mussorgsky zu hören.

 
Alexander Walther

 

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