Stine Maria Fischer, Esther Dierkes, Kai Kluge, Maria Theresa Ullrich, Ronan Collett. Copyright: Martin Sigmund
Wiederaufnahme „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 14.4.2018 in der Staatsoper/STUTTGART
GLANZVOLLE KÖNIGIN DER NACHT
In der Inszenierung von Peter Konwitschny beginnt die Handlung auf einer fast leeren Bühne bei Null. Märchen, Mysterienspiel, Kasperle-Theater und freimaurerische Geheimlehre werden hier durchaus in die heutige moderne Welt übertragen. Video-Sequenzen (Philip Bußmann) beleuchten royale Hochzeiten ebenso wie das Showgeschäft von RTL und SAT1. Da gibt es viele originelle Einfälle und Ideen, die auch szenische Schwächen rasch vergessen lassen.
Prinz Tamino, der sich in das Bildnis Paminas verliebt und sich im Auftrag ihrer Mutter, der Königin der Nacht, auf den Weg macht, Pamina aus den Fängen des angeblich bösen Sarastro zu befreien, ist hier ein junger Mann, der durch viele Prüfungen gehen muss. Das vermeintlich festgefügte gesellschaftliche Wertesystem ist auch bei Konwitschny brüchig (Bühne und Kostüme: Bert Neumann). Doch zuletzt triumphieren Weisheit, Natur und Vernunft. Der Vogelfänger Papageno bekommt seine Papagena ebenso wie Tamino seine Pamina. Und die Welt der Königin der Nacht mitsamt ihren Damen geht unter Blitz und Donner unter. Doch es scheint am Ende so, dass der siegreiche Sarastro ihr dennoch eine Chance lässt. Erwartungsvoll blickt sich die Königin der Nacht bei den letzten Takten nach ihm um. Das ist ein ganz entscheidender Moment dieser Inszenierung, die auch mit Slapstick und Ironie arbeitet. So werden auf einer Leinwand zahlreiche unbekleidete Damen gezeigt, die den Tunichtgut Papageno betören.
Ein goldener Glitzervorhang beherrscht den zweiten Teil der Inszenierung. Hier wird die strahlende Sonnenwelt Sarastros beschworen. Die Diktatur des Guten hat plötzlich gewonnen. Dabei soll kein heiles Weltbild entstehen. Konwitschny und seinem Team geht es vielmehr darum, etwas Heterogenes zu schaffen. Szenische Leichtigkeit ergibt sich hier durch totale Reduzierung. Der Fokus wird auf den Darsteller gelenkt, Vorgänge und Requisiten werden erfunden, damit die Darsteller möglichst spielerisch mit ihnen umgehen können. Lieder, Chöre, moderne Arien und ein figurierter Choral geraten bei dieser Inszenierung in eine revuehafte Handlung. Freiheit und totale Offenheit für alles erhalten ebenfalls eine Bedeutung. Die Figuren werden in all ihrer Widersprüchlichkeit gezeigt.
Lenneke Ruiten, Yuko Kakuta. Copyright: Martin Sigmund
Die Aufführung lebt ganz von der starken Präsenz der Königin der Nacht, die Yuko Kakuta mit ihren glanzvollen Koloraturen in eine andere Sphäre hebt. Ihre überaus lebendige Darstellung dieser vielschichtigen Figur ist begeisternd, sie reisst auch die übrigen Sängerinnen und Sänger geradezu mit und beflügelt das Feuer im Orchestergraben. Dämonischer Glanz und großes Pathos gehen von dieser bemerkenswerten Gestaltung aus – man spürt, dass diese magische Welt des Selbstherrschertums bald zusammenbricht. Die Rache- und Verzweiflungs-Arien erinnern hier nicht nur stark an Mozarts Elettra, sondern auch an lyrische Sequenzen, die bei ihrer Tochter Pamina auftreten, die von Lenneke Ruiten mit verinnerlichter Sopranstimme gestaltet wird. Die Arie der Königin der Nacht „Zum Leiden bin ich auserkoren“ steht wie die Klage ihrer Tochter in g-Moll. Konwitschny macht dann deutlich, dass die Königin der Nacht erst im Laufe der Handlung dunklere Züge annimmt.
Dass Tamino eine Gegenfigur zu Papageno ist, lässt Kai Kluge mit klangfarbenreicher Tenorstimme plastisch deutlich werden. Der Papageno-Bariton von Ronan Collett überzeugt auch mit intensiv-warmem Timbre. Als junge Papagena bietet Aoife Gibney eine berührende Charakterstudie, die von Elke Twiesselmann als alter Papagena ironisch kontrastiert wird. Heinz Göhrig ist ein eher unauffälliger Monostatos, der ganz in die moderne Welt passt. David Steffens schließlich ist ein warmherziger Sarastro, dessen Bass großes Veränderungspotenzial besitzt. Er setzt alles in Bewegung, inspiriert die übrige Sängermannschaft immer wieder neu. Philipp Nicklaus als zweiter Priester, Moritz Kallenberg als erster Geharnischter, Michael Nagl als zweiter Geharnischter sowie Hannes Schoss, Elias Siodlaczek, Silas Holzäpfel (drei Knaben 1. Auftritt), Karin Horvat, Barbara Kosviner, Jie Zhang (drei Knaben 2. Auftritt) und Laura Corrales, Cristina Otey und Gudrun Wilming (drei Knaben 3. Auftritt) runden die harmonische Vielseitigkeit ab.
Hervorragendes Profil besitzen ferner die drei Damen in der gesanglich subtilen Gestaltung von Esther Dierkes, Maria Theresa Ullrich und Stine Marie Fischer. Ashley David Prewett ist ein prägnanter Sprecher, Christopher Schmitz gestaltet das Glockenspiel facettenreich.
Roland Kluttig leitet das Staatsorchester Stuttgart sehr durchsichtig, temperamentvoll und energiegeladen. Dies zeigt sich schon bei der reizvollen poetischen Idee des Fugenverfahrens im Allegro-Teil der Ouvertüre. Die kontrapunktischen Bewährungsproben werden dann im weiteren musikalischen Verlauf erfolgreich bewältigt. Das Prüfungsthema als Gegensatz zum zwanglos Spielerischen der Papageno-Szenen wird eindringlich herausgearbeitet. Quintintervall und Fanfaren-Elan befeuern hier den weiteren Klangzauber, der sich vor allem auf die von Christoph Heil prachtvoll einstudierten Chorszenen überträgt. Der Staatsopernchor Stuttgart brilliert dabei mit machtvollem Elan. Insbesondere der Streichergang des Triumphchors aus dem Finale prägt sich tief ein. Der Weg vom c-Moll der Geharnischten-Szene bis zum C-Dur-Sieg des Triumphchors wird in bewegender Weise vorgezeichnet. Bruno Walter äusserte einmal, dass in der „Zauberflöte“ die Person Mozarts hinter und durch seine Figuren sichtbar werde. Insbesondere bei der Gestaltung der Königin der Nacht gelingt es Konwitschny dank Yuko Kakuta, dies auch umzusetzen. So gab es am Ende gewaltige Ovationen des Publikums – insbesondere für Yuko Kakuta, die an diesem Abend ihren letzten Auftritt in der Staatsoper Stuttgart hatte (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Peter Konwitschny, Philine Tiezel).
Alexander Walther