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STUTTGART: DIE PURITANER von Vincenzo Bellini als Wiederaufnahme

24.05.2017 | Oper

Bellinis „Puritaner“ als Wiederaufnahme in der Staatsoper Stuttgart – 24.5.2017

DER WAHNSINN TRÄGT FLÜGEL

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Diana Haller. Copyright: A.T.Schaefer

Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung von Vincenzo Bellinis letzter Oper „Die Puritaner“ beschreibt fesselnd den englischen Bürgerkrieg zwischen königstreuen Kavalieren und den Puritanern unter Oliver Cromwell. Abgehängte Bilder des im Jahre 1649 hingerichteten Königs Charles I. und seiner Frau Enrichetta von Frankreich werden ziellos hin- und hergetragen, im Hintergrund sieht man Statuen ohne Kopf, die auf den Konflikt unmittelbar hinweisen. Das Bühnenbild von Anna Viebrock gleicht einem großen Kerker, aus dem sich die Gefangenen nicht befreien können. Und auch Viebrocks Kostüme tragen deutlich historische Bezüge. Elvira hofft auf eine Befreiung aus der von den Königstreuen belagerten Puritaner-Festung, die ihr Vater kommandiert.

Ana Durlovski gestaltet den beginnenden Wahnsinn dieser Gestalt in grandioser Weise, sie fühlt und leidet mit dieser Rolle und erfüllt sie so zu vibrierendem Leben. Gegen ihren Willen soll Elvira mit dem Puritaner Riccardo verheiratet werden. Auf der Flucht vor dieser „Zwangsehe“ wendet sie sich verzweifelt an ihren „zweiten Vater“ Onkel Giorgio. Er ermöglicht ihr die Lust am Theater und die Liebe zur Musik. Gleichzeitig wird aufgedeckt, dass Enrichetta von Frankreich unter falschem Namen in der Festung des Gouverneurs Valton gefangen gehalten wird. Der zum Tode verurteilte Lord Arturo kommt nach drei Monaten nach England zurück und dringt in Valtons Burg ein. Diese Szenen gestalten Jossi Wieler und Sergio Morabito mit starker Präsenz. Das Wiedersehen der Liebenden wird hier durch die Verfolger gestört. Dieser Schreck gibt Elvira das Bewusstsein zurück. Auch dies verdeutlicht Ana Durlovski mit großer darstellerischer Intensität, wobei auch Diana Haller als Enrichetta von Frankreich in der Auseinandersetzung mit ihren Peinigern prägnante Konturen erhält. Jossi Wieler und Sergio Morabito lassen die Protagonisten hier immer wieder mit großem Herzblut spielen. Noch bevor Arturo hingerichtet werden soll, trifft ein Brief Cromwells ein, der die Stuarts für überwunden erklärt und ihre Anhänger begnadigt.

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Edgardo Roche, Gezim Myshketa. Copyright: A.T.Schaefer

Der Dirigent Manlio Benzi unterstreicht mit dem glänzend disponierten Staatsorchester Stuttgart den großen Stilwandel dieser letzten Partitur Bellinis. Mit farbiger Harmonik können sich auch die Sänger gut entfalten. Allen voran Edgardo Rocha als hervorragender Lord Arturo, der seiner Tenorstimme schwindelerregende chromatische Höhenflüge abverlangt, die Ovationen auslösen. Auch die verfeinerte Instrumentation arbeitet Benzi mit dem Staatsorchester glanzvoll heraus, bei Sonnenaufgang und Sturm erhält der Klangfarbenreichtum schillerndes Gewicht. Wie stark lyrische gegenüber den dramatischen Elementen zurücktreten, zeichnet der Dirigent Manlio Benzi auch mit dem ausgezeichnet einstudierten Staatsopernchor in exzellenter Weise nach. Alles geht in einen wahrhaft reissenden hochdramatischen Fluss über, der wirklich von schwindelerregender Wirkung ist. Die Solisten haben große Freiheit in ihrer vokalen Entfaltung. Dies gilt ebenso für Adam Palka als Sir Giorgio, Gezim Myshketa als Sir Riccardo, Roland Bracht als Lord Valton und Heinz Göhrig als Sir Bruno. Schon die Ouvertüre mit der breit ausgeführten  Introduktion wird von Benzi überzeugend erfasst. Im Hintergrund der Festung fehlen bei dieser Inszenierung die Berge, auch die Sonne kann man nicht sehen. Das vertieft die Düsternis des Geschehens. Militärische Signalhörner verkündigen dabei höchst vital den Tagesanbruch. Alles schwankt zwischen Sechsachtel- und Dreivierteltakt. Ständige harmonische Überraschungen weisen auf den Weckruf der Soldaten hin, die mit einem polonaisenartigen Männerchorsatz agieren. Geheimnisvoll klingt aus der Burg zu Glocken- und Orgelklang die Stimme Elviras mit dem Morgengebet: „La luna, il sol, le stelle, le tenebre...“ Puritanische Frömmigkeit wird dabei mit einem choralartigen F-Dur-Satz beschworen, das arbeitet Manlio Benzi mit Chor und Staatsorchester genau heraus. Gezim Myshketa macht das Leid der verschmähten Liebe mit großer Intensität deutlich, der Sir Bruno die unglückliche Zuneigung zu Elvira schildert. Den reichen Koloraturen des As-Dur-Larghettos kann Gezim Myshketa ein Höchstmaß an Ausdruckskraft abgewinnen. Auch die Szene zwischen Elvira und ihrem Oheim Sir Giorgio besitzt dramatische Schlagkraft, die unter die Haut geht. Heftige Fortebewegungen beherrschen den schwermütigen Allegrosatz in a-Moll, wobei Elviras Ausbrüche in der Darstellung von Ana Durlovski immer leidenschaftlicher werden. Der Auftritt Lord Arturos im Waffensaal der Festung erhält dank dem meisterhaften Tenor Edgardo Rocha nochmals einen großen dramatischen Akzent. Das Ensemble mit Elvira, Valton, Giorgio und dem Chor begeistert mit einem wunderbaren Largo in D-Dur. Nachdem sich Enrichetta als Witwe des von Cromwell hingerichteten Königs Charles I. entdeckt hat, kommt Elvira in der hervorragenden Gestaltung von Ana Durlovski mit jubelnden Koloraturen zurück, die sich immer weiter steigern. Ein Ziergesang mit Polonaisenrhythmus offenbart eine betörend glitzernde vokale Perlenkette, die ihresgleichen sucht. Im zweiten Akt berichtet Adam Palka als Sir Giorgio in einer elegischen As-Dur-Romanze vom Leid der wahnsinnigen Elvira. Und der dritte Akt ist in dieser Inszenierung ganz vom Sturm geprägt, der sich mit unheimlichem Donner entlädt und bei an- und abschwellenden d-Moll-Harmonien den Seelenzustand der Menschen schildert. Da ist Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung von ganz starker Wirkungskraft, denn es werden unmittelbare Vorgänge des Unterbewusstseins direkt angesprochen. Nach schmerzlich-ausdrucksvoller Chromatik bricht der Chor des Wiedersehens mit elementarer Gewalt los – eine Sternstunde des von Johannes Knecht prachtvoll einstudierten Staatsopernchors. Edgardo Rocha als Lord Arturo glänzt nochmals bei seinem Abschiedsgesag „Credeasi, misera, da me tradita“ mit einer weitgespannten Kantilene über stark rhythmisierter Begleitung in feierlichem Des-Dur, die vom zweigestrichenen Des zum zweigestrichenen F ansteigt. Dieser Glanzpunkt tenoraler Lyrik gelingt Edgardo Rocha in beeindruckender Weise. Zu Recht gab es Begeisterungsstürme für diese beglückende Vorstellung.   

Alexander Walther    

 

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