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STUTTGART: COSÌ FAN TUTTE Verwirrspiel gerät außer Kontrolle. Premiere

01.06.2015 | Allgemein, Oper

Cosi fan tutte“ von Mozart in der Stuttgarter Staatsoper VERWIRRSPIEL GERÄT AUSSER KONTROLLE

Mozarts „Cosi fan tutte“ als Premiere am 31. Mai 2015 in der Staatsoper/STUTTGART

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Gergely Nemeti, Yuko Kakuta. Foto: A.T.Schäfer

Man merkt, dass der griechische Regisseur Yannis Houvardas seine Wurzeln im Schauspiel hat. Das Bühnenbild von Herbert Murauer und die Kostüme von Anja Rabes deuten die 1960er Jahre an. Es geht hier eindeutig um die sexuelle Emanzipation. Die von Yuko Kakuta mit Klangfarbenreichtum und darstellerischem Talent verkörperte Despina ist eine Feministin besonderen Zuschnitts, die zuletzt das gesamte Ensemble dirigiert, bis sie daran die Lust verliert. Die zeitlosen Themen dieses Stücks stehen bei Houvardas‘ Inszenierung deutlich im Mittelpunkt. Entstehungszeit und Gegenwart werden so in einem riesigen Wohngebäude mit vielen Zimmern und Nischen verschmolzen. Es gibt für die Protagonisten eigentlich keinen Ausweg. Die Frage, ob die Vernunft die Gefühle kontrollieren kann, bleibt dabei unbeantwortet. Es ist auch nicht sicher, ob der Mensch in seinem Leben ein stabiles Zentrum haben kann. Für Yannis Houvardas sind die beteiligten Personen hilflose Marionetten in den Händen des Liebesgottes Eros, der mit ihnen spielt.

Alle sechs Protagonisten wissen aber, worum es geht. Das Stück beginnt mit dem Plan der Männer, ohne dass die Frauen Bescheid wissen. Das Ende des Stückes hinterlässt Fragen und Zweifel – obwohl alle Beteiligten befreit auflachen. Doch im nächsten Augenblick herrscht plötzlich Ratlosigkeit und Dunkelheit. Fiordiligi (strahlkräftig: Mandy Fredrich) und Guglielmo (mit ebenmäßigem Timbre: Ronan Collett) sind tatsächlich unsterblich ineinander verliebt. Und Fiordiligis Schwester Dorabella (von Diana Haller mit leuchtenden Spitzentönen dargestellt) hat in Ferrando (facettenreich: Gergely Nemeti) tatsächlich den Mann ihrer Träume gefunden. Shigeo Ishino kann als Don Alfonso allerdings mit sonorem Timbre deutlich machen, dass er den Glauben an die große Liebe bereits aufgegeben hat. Das gleich gilt für die dynamisch ausgewogene Despina von Yuko Kakuta. In einer Wette unterziehen sich die Paare einer Treueprobe, die es in sich hat. Das arbeitet der Regisseur trotz fehlender Fantasie und ausgesprochener Schlichtheit des Bühnenbildes überzeugend heraus. Die Frauen sind hier sehr klug. Sie stellen die Regeln auf, nach denen sich die Männer letztendlich richten müssen. Da bleibt kein Spielraum mehr. Die schwierige Frage des Realismus bleibt so aber auch ungelöst. Trommeln trennen gnadenlos die Liebespaare, die Gefühle fallen auseinander.

Das wird treffsicher in Szene gesetzt. Überhaupt erweist sich Houvardas als Meister der Personenführung, die in sich stimmig ist. Don Alfonso inszeniert raffiniert die Abschiedssituation, die Paare durchleben den Abschiedsschmerz. Die beiden Männer spielen ihren Frauen vor, dass sie in den Krieg ziehen. Ferrando und Guglielmo schlagen ihren Geliebten dabei ein Schnippchen. Als Albaner verkleidet machen die jungen hinterlistigen Männer nach dem vermeintlichen „Abschied“ ihren Bräuten den Hof. Geschickt lässt Yannis Houvardas das Verwirrspiel dann außer Kontrolle geraten. Die jungen Männer spielen, dass sie sich aus Liebeskummer vergiftet hätten. Als Arzt verkleidet, erweckt die verschlagene Despina sie wieder zum Leben. Die beiden Damen sind höchst verunsichert. Schließlich entscheiden sie sich, auf die Avancen der verkleideten Männer einzugehen. Guglielmo schimpft auf die Frauen wegen ihrer Wechselhaftigkeit – und Guglielmo fühlt sich von allen verraten. Die schauspielerischen Spitzfindigkeiten steht bei dieser doch sehr „modernen“ Inszenierung immer wieder im Mittelpunkt. Es bleibt so keine Zeit für graziösen Rokoko-Zauber. Yuko Kakuta mimt zuletzt den von Despina komödiantisch verkörperten Notar  – und beendet das langweilig gewordene Spiel durch eine ausgelassene Hochzeitszeremonie. Die Figuren kämpfen erfolgreich um ihre Freiheit. Die Liebenden scheinen ihre Gefühle neu für sich zu entdecken. Yannis Houvardas bereitet in seiner spitzfindigen Inszenierung einen weiteren raffinierten Schachzug vor: Er stellt Despina und Don Alfonso als kompliziertes drittes Paar wie Richard Burton und Elizabeth Taylor dar, die nicht mit- aber auch nicht ohne einander leben können. Dadurch steigt die Spannungskurve in elektrisierender Weise, denn auch dieses seltsame Paar hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Für Houvardas hat „Cosi fan tutte“ eigentlich keinen Anfang und kein Ende. Alles bleibt irgendwie offen und unklar.

Zuletzt fällt noch ein Vorhang im Bühnenhintergrund, was der Inszenierung eine willkommene szenische Bewegung gibt. Auffallend ist weiterhin, wie stark Yannis Houvardas mit wechselnden Lichteffekten arbeitet. Die Lichtregie von Reinhard Traub funktioniert bestens. Einmal fällt die Beleuchtung sogar ganz aus. Die Personen bewegen sich in einem Teufelskreis, einem Gefängnis der Gefühle, einem Seelenlabyrinth. Es besteht ein starkes Bedürfnis, in andere Seelen und Körper zu wandern. Hier hätte man sich bei der Inszenierung noch größere Intensität gewünscht, denn diese Liebes-Wurzeln bleiben manchmal etwas an der Oberfläche. Das gleiche gilt für die vielen Vorstellungen von Liebe, mit denen Mozart und da Ponte höchst virtuos spielen. Andererseits nimmt man den vier jungen Leuten die Unerfahrenheit und Naivität nicht immer ab. Das offene und vielschichtige Liebesspiel in „Cosi fan tutte“ kommt gleichwohl bewegend zur Geltung. Man fühlt und leidet mit den handelnden Personen durchaus mit.

Wie präzis Wolfgang Amadeus Mozart hier in seine Figuren hineingehört hat, vermag vor allem Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester Stuttgart hervorragend zur Geltung zu bringen. Die Zusammenarbeit mit Yannis Houvardas ist die sechste Neuproduktion dieser Oper, die Cambreling als Dirigent erarbeitet. Zunächst gab es eine Aufführung mit Jean-Claude Auvray in Paris, mit Luc Bondy in Brüssel, fortgeführt mit Graham Vick in Frankfurt und Stefan Bachmann in Lyon und zuletzt mit Michael Haneke am Teatro Real in Madrid. Dass die Virtuosität von „Cosi fan tutte“ noch größer als die von „Figaros Hochzeit“ ist, macht Sylvain Cambreling ebenfalls glaubwürdig deutlich. Er deckt die Sänger mit dem Orchester auch nie zu, es wird immer durchsichtig und transparent musiziert. Das Spiel mit den Farben des Orchesters kommt bei dieser musikalisch sehr hochwertigen Aufführung ausgezeichnet zur Geltung. E.T.A. Hoffmann meinte, dass „Cosi fan tutte“ ein glänzender Beleg dafür sei, dass in der Musik „der Ausdruck ergötzlichster Ironie“ liegen könne. Genau diesen Aspekt arbeitet Cambreling deulich heraus. Die Musik macht sich aber nicht lustig über diese Komödie, sondern nimmt die Liebe Ferrandos, die Verzweiflung Dorabellas und Fiordiligis ernst. Das ist sein Verdienst als Dirigent. Und auch der voluminöse Staatsopernchor unter der fulminanten Leitung von Christoph Heil triumphiert wieder am Ende der Oper. Hier sieht man einzelne Paare in den verschiedenen Zimmern des endlos erscheinenden Wohnhauses, die sich umarmen. Schon aus der Ouvertüre holt Sylvain Cambreling erregendes Feuer. Es ist ein ausgelassenes Presto, ein toller Wirbel, bei dem die Pauken oftmals in geradezu revolutionärer Weise rebellieren. Die drei kurzatmigen Themen besitzen so etwas Überhastetes, ungemein Spannungsvolles. Die Oboe trägt das schwärmerisch verliebte Motiv dezent vor und wird dann forsch von den Bässen abgelöst: „Cosi fan tutte“ – „So machen’s alle“, nämlich alle Frauen. Deutlich wird zudem, dass „Cosi fan tutte“ wie eine geometrische und mathematische Aufgabe konstruiert ist. Dies zeigt sich nicht nur in Houvardas‘ Inszenierung, sondern auch hinsichtlich der kontrapunktischen Gestaltung. Im Rahmen der experimentellen Ebene wird eine Wahrheit enthüllt, die niemanden kalt lässt. Sie geht alle an – denn bald merkt man: So machen’s auch alle Männer. In dieser Hinsicht ist Mozarts „Cosi fan tutte“ wohl die radikalste Oper – ein Spiel der Verkleidungen, des Gestellten und der Verstellung. Es ist ein von Don Alfonso virtuos inszeniertes Marionettentheater. Sehr abgeklärt dirigiert Cambreling beispielsweise den Schlußsatz des Finales (Allegro molto) mit Holzbläsern, Hörnern, Trompeten und Pauken. Die beiden Paare erreichen schließlich den Zustand der Versöhnung und die Harmonie der Herzen. Das gelingt den Sängerinnen und Sängern bei der Stuttgarter Premiere vorzüglich. Die Heiterkeit ist durch den Schmerz und die Tränen hindurchgegangen. Das zeigt sich bei der wunderbar gestalteten Dorabella-Arie „Smanie implacabili“ ebenso wie bei Ferrandos Kantilenen „Oh, tränken sie doch Gift, diese ehrlosen Füchsinnen.“ Den Charakter des Abschiedswerkes arbeitet das Ensemble vor allem am Schluss sehr gut heraus. Yuko Kakuta macht exzellent deutlich, wie sehr sie eine Gegenfigur zu den elegisch-empfindsamen Mädchen ist. Despina ist tatsächlich wie die Colombine der Commedia dell’arte zu allerlei Späßen aufgelegt. Sie kennt genau die eigentlichen Triebfedern des Handelns und wird so auch als Notar zur alles beherrschenden Figur. Funkelnder Witz und spielerische Leichtigkeit halten sich die Waage. Der Larghetto-Kanon im Finale des zweiten Aktes lässt dann deutlich werden, dass die Liebespaare auf einen gefährlichen, ernsthaften Prüfungsweg geschickt werden. Den häufigen Wechsel der Tempi bekommt Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester Stuttgart ebenfalls souverän in den Griff. Die harmonische Balance zwischen C-Dur und der Grundtonart A-Dur fällt nie aus dem Rahmen. Andererseits kommt es zu regelrechten Energie-Explosionen – wie etwa bei Fiordiligis erstauntem Ausruf „Cosa veggio! Son tradita“, der das heftige C-Dur-Allegro auslöst. Im Allegro mit Don Alfonsos Bericht und der erschrockenen Reaktion der Mädchen meldet sich der „Don Giovanni“-Zauber zurück. Ein geballes g-Moll-Unisono aller Stimmen und des vollen Orchesters mit der Absturzfigur markiert harte Brüche in der harmonischen Struktur, die Sylvain Cambreling schonungslos offenlegt (Hammerklavier: Alan Hamilton). Diana Haller vermag das von Mozart komponierte unstillbare Leid („implacabile!“) hervorragend zu verdeutlichen. In den jagend-pfeifenden Passagen der Bläser und der peitschenden Streicher-Bewegung meldet sich sogar gespenstisch der Klang der Unterwelt. Mandy Fredrich beweist in ihrer Interpretation, dass Fiordiligi von ernsterem Wesen ist. So erhält ihre erste Arie „Come scoglio“ deutlich parodistische Elemente mit kühnen Intervallsprüngen. Im ersten Akt dominieren bei der Wiedergabe zahlreiche konventionelle Gefühlsausdrücke und klischeehafte Haltungen, und im zweiten Akt kommen dann die echten, aufrichtigen Gefühle der Charaktere zur Geltung. Ebenso vernachlässigt Cambreling die Spannungen im Verhältnis der Tonarten untereinander nie. Bemerkenswert wird auch das Terzett „Soave sia il vento“ gestaltet, das in anschaulicher Klangmalerei das Säuseln des Windes über den Wellen beschreibt. Vorhalte und Trugschlüsse charakterisieren die melancholischen Gefühle der zurückbleibenden Mädchen in eindringlicher Weise. Da zeigt sich Sylvain Cambreling mit dem Orchester als Klangmagier. Für alle Beteiligten gab es begeisterten Schlussbeifall (Dramaturgie: Patrick Hahn).

 Alexander Walther             

 

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