Wolfgang Amadeus Mozarts „Cosi fan tutte“ in Neubesetzung an der Stuttgarter Staatsoper

Copyright: A.T.Schäfer
In einer Neubesetzung steht die modern inspirierte Inszenierung von Yannis Houvardas wieder auf dem Spielplan der Staatsoper in Stuttgart. Die Szenerie verschiebt sich hier parallel zum Bühnenbild, was zuweilen durchaus reizvoll ist. Verschiedene Zimmer eines Hauses sind mosaikartig aneinandergereiht und lassen auch viel Raum für Situationskomik. Zwei junge Männer, die in ihre Partnerinnen äußerst verliebt sind, wetten dabei mit einem älteren Freund, der nicht an die Beständigkeit der Liebe glaubt, dass ihre Geliebten ihnen immer treu sein werden. Während des Stückes und in der Inszenierung von Yannis Houvardas ereignen sich traumatische und reizvolle Begegnungen, Verkleidungen, Täuschungen und satirische Paarungs-Kombinationen, die das Publikum nie kalt lassen. Der ältere Freund, aber auch die Dienerin und die beiden jungen Frauen beherrschen die komplizierte Situation schon bald nicht mehr und können auch ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren. Da gerät dann auf der Bühne alles durcheinander, wobei Houvardas gerade die ausufernden erotischen Szenen überzeugend einfängt. Die Figuren haben in dieser Inszenierung jedenfalls das starke Bedürfnis, in jemand anderem Liebes-Wurzeln zu schlagen, was immer wieder zu absurden und auch lustigen Situationen führt, die bei den Zuschauern bestens ankommen.
Noch besser wie die szenische Präsentation gefällt bei dieser Aufführung aber das musikalische Niveau. Dabei hat der ausgezeichnete und umsichtige Dirigent Uwe Sandner von Anfang an das Staatsorchester Stuttgart voll im Griff. Es ist ein tolles Presto, bei dem alle Lebensgeister losgelassen werden. Den drei etwas kurzatmigen Themen haucht der Dirigent sofort Leben ein, obwohl hier die fein profilierte Eleganz der Figaro-Themen fehlt. Die Gelöstheit und Beschwingtheit der Figaro-Ouvertüre stellt sich zwar nicht ein, aber die Oboe trägt hier wunderbar schwärmerisch ein verliebtes Motiv vor, das sich immer mehr zu steigern scheint. Und die Bässe lösen es facettenreich ab. Das Zitat „So machen’s alle“, nämlich alle Frauen, weckt unbewusste Assoziationen zum Motto „Eifersucht ist ungesund“. Das Finale spielt virtuos mit den Komplexen Katastrophe und Versöhnung. Mozarts Musik gerät bei Uwe Sandners durchdachter Interpretation auch nie in Widerspruch zum beweglichen, leichten Komödiengeist. Innerlichkeit und Wahrhaftigkeit der Empfindung kommt dennoch glücklicherweise nicht zu kurz. Daran haben auch die großartigen Sängerinnen und Sänger erheblichen Anteil – allen voran Sebastian Kohlhepp mit einem fulminanten Rollendebüt als ungestümer Ferrando. Mandy Fredrich als feurige und temperamentvolle Fiordiligi gefällt mit schlanker Linienführung und strahlkräftigen Spitzentönen – und auch Sophie Marilley als leichtsinnig-unbekümmerte Dorabella überrascht mit ungewöhnlicher gesanglicher Beweglichkeit und Klangfarbenreichtum. Die „Felsenarie“ Fiordiligis gerät so zu einer köstlichen Parodie der Opera Seria, während Dorabellas Wesen bei ihrer kleinen Arie „E amore un ladroncello“ mit pikantem „Siziliano“ filigran beschrieben wird. Andre Morsch kann seinem Guglielmo viele ungewohnte stimmliche Nuancen abringen. Yuko Kakuta ist als Despina aufgrund ihres Empfindungszaubers ein reiner Hörgenuss.
Uwe Sandner kann den Buffo-Charakter dieser Oper gut herausarbeiten, es gelingen ihm mit dem Staatsorchester Stuttgart wunderbar transparent musizierte Passagen, die sich immer weiter zu verdichten scheinen. Dadurch gerät diese Wette zwischen einem alten Skeptiker und zwei jungen Idealisten zu einem rasanten Katz- und Maus-Spiel, das immer wieder für Gelächter im Parkett sorgt, gerade weil dieser Oper der revolutionäre Beigeschmack fehlt. Sie erhielt schon zu Zeiten Josefs II. im Jahre 1789 kaiserlichen Beifall. Groteske und possenhafte Verwirrungen steigern sich hierbei dramaturgisch in geschickter und raffinierter Weise, da hat Uwe Sandner das musikalische Geschehen voll im Griff. Zu Hilfe kommt ihm dabei auch wieder der ausgezeichnete Stuttgarter Staatsopernchor in der differenzierten Einstudierung von Christoph Heil. Mozarts Feinheiten dramatischer Charakterzeichnung kommen auf jeden Fall plastisch zum Vorschein. Dadurch gewinnt diese vielgeschmähte „Schule der Liebe“ weitere Pluspunkte. Uwe Sandner erfasst mit dem Staatsorchester zudem die reife Schönheit der Musik Mozarts und weckt auch wiederholt deutliche Assoziationen. Dies ist beispielsweise bei Fiordiligis Rondo in E-Dur „Per pieta“ der Fall, wo nicht nur die Begleitung der beiden Obbligato-Hörner an Leonores große E-Dur-Arie in Beethovens „Fidelio“ erinnert. Zarte Klänge und Farbenvisionen beherrschen ferner die sanften Klänge der Holzbläser – man spürt förmlich eine Verwandtschaft zu den Bläserserenaden Mozarts. Für weitere klangliche Differenzierung sorgt Alan Hamilton am Hammerklavier. Mozarts Musik überantwortet die menschlichen Beziehungen nicht der Verhöhnung durch den marionettenhaften Mechanismus. Den parodiert nur einmal Yuko Kakuta als gewitzt-verschlagene Despina. Wolfgang Amadeus Mozarts Musik gewinnt immer wieder neue Facetten und führt scheinbare Gegensätze gekonnt zusammen, was Uwe Sandner mit dem Staatsorchester gut betont. Hier ereignet sich wirklich mit jedem kompositorischen Schritt die Versöhnung. Das hoffnungslos Zerbrochene wird wieder gekittet. Bei der wirklichen Versöhnung der Paare im Finale ergreifen diese bei der Sotto-voce-Stelle ultimativ und ungestüm die Initiative und reisse
n so das rhythmische Ruder energisch herum. Da ist der enorme und vibrierende Schwung im Orchester nicht mehr aufzuhalten.
Und doch bleibt den Protagonisten zuletzt das Lachen im Halse stecken, bevor endgültig das Licht (Reinhard Traub) ausgeht. Dennoch ist das theatralische Experiment geglückt. Jubel und einhelligen Beifall gab es für diese vor allem musikalisch gelungene Aufführung.