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STUTTGART/ Ballett: MADE IN GERMANY – ein Abend voller Höhepunkte

Stuttgarter Ballett:„MADE IN GERMANY“ 27.9. 2013 (Premiere) – Ein Abend voller Höhepunkte

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Von unverminderter körperlicher Faszination:  Alicia Amatriain und Jason Reilly in Galilis „Mono Lisa“. Copyright: Stuttgarter Ballett

 Das Debakel um die von ursprünglich einem auf drei Jahre ausgedehnte Sanierung des Schauspielhauses der Stuttgarter Staatstheater durfte, ja konnte an diesem Wiedereröffnungsabend getrost vergessen und endgültig der Vergangenheit überantwortet werden, in einem solchen Rausch von Höhepunkt zu Höhepunkt haben die Stuttgarter TänzerInnen von der Bühne Besitz ergriffen und das Publikum in eine solche Hochstimmung versetzt, als wären sie viel länger als nur die zweimonatige Sommerpause des Balletts entwöhnt worden.

Das Motto dieser Programmzusammenstellung dürfte wohl der Genauigkeit und Ehrlichkeit entsprungen sein, wenn aber ein Auge zugedrückt wird, darf hier ohne Übertreibung von „Made in Stuttgart“ die Rede sein. Denn alle 12 Stücke stammen von Choreographen, die Reid Anderson während seiner langjährigen Direktionszeit mehrfach eingeladen hat oder von den eigenen Hauschoreographen bzw. dem aus den Noverre-Abenden hervorgegangenen Nachwuchs aus den eigenen tänzerischen Reihen. Insofern ist dieses Programm auch ein Nachweis der ständigen Erneuerung tänzerischer Schöpfung, die von Stuttgart ausgeht und einen Bogen über die letzten 17 Jahre seit Andersons Antritt spannt.

Mauro Bigonzettis „KAZIMIR’S COLOURS“ z.B. eröffnete 1996 den Premierenreigen der Anderson-Aera, und der später häufig als Häppchen separierte Pas de deux-Mittelteil bezeugte auch jetzt in der neuen spannungsvollen Besetzung mit Rachele Buriassi und Arman Zazyan seine nachdrückliche Verbindung von technischem Anspruch und körperlichem Tiefgang. Der ebenfalls wiederholt in Stuttgart tätige Itzik Galili schuf 2003 mit „MONO LISA“ einen auf Alicia Amatriain und Jason Reilly zugeschnittenen, dem Rhythmus einer ratternden Schreibmaschine folgenden Pas de deux, der bei jeder neuen Präsentation, so auch an diesem Abend, als verblüffendes Stück Hochleistungssport die Wogen hochgehen lässt. Nicht nur für solch exzessives Modern Dancing, auch für die immer wieder aus den Fugen geratende und humorvoll durchsetzte Klassik des von Christian Spuck für das Jahrtausend-Silvester geschaffenen „GRAND PAS DE DEUX“ (zu Rossinis „Diebischer Elster“) sind die beiden Ersten Solisten unvermindert voll auf dem Posten. Kurz danach hatte Spuck mit „DAS SIEBTE BLAU“ eine seiner geschlossensten handlungslosen Arbeiten abgeliefert. Der letzte Satz (aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“) mit 14 TänzerInnen, die am Ende mit einem überraschenden Satz ganz nach vorne an die Rampe stürmen, als wollten sie das Publikum vereinnahmen, setzte in der ironischen Durchbrechung klassisch gehaltener Formationen ein klares Ausrufezeichen an den Abschluss dieses Abends.

Vom inzwischen weltweit gehandelten Hauschoreographen Marco Goecke durfte natürlich seine inzwischen populärste Kreation „ÄFFI“ nicht fehlen, mit dem Marijn Rademaker stückbedingt weit mehr abräumen konnte als mit dem den Abend eröffnenden Solo aus Edward Clugs im Februar dieses Jahres uraufgeführten „Ssss…“, wo der blonde Holländer etwas Zeit brauchte, um mit seiner Körpersprache ganz konzentriert ins Innere des von David Diamond live gespielten Chopin-Nocturne hinein zu horchen.

Noch einmal zurück zu Goecke: das zu Andersons 60.Geburtstag geschaffene „FANCY GOODS“ erwies sich in der noch gereifteren und formidabel feingliedrigen Form von Friedemann Vogel, der jeden Hauch von Sarah Vaughans exzessiv ausgekosteten Stimm-Nuancen nachzuzeichnen und aufzugreifen vermag, im wahrsten Sinne des Wortes als Luxusartikel.

Zum selben Anlass hatte der ehemalige Erste Solist Douglas Lee den Pas de deux „FANFARE LX“ kreiert, ein auch durch Michael Nymans unablässig fordernde Musik hoch motorisiertes Duett, dessen kompliziert sportive Klassik-Ausdehnung von der wendig expressiven Anna Osadcenko und dem immer athletischer und mitteilsamer werdenden Alexander Jones wirkungsvoll ausgefüllt wird.

Der jüngst zum Hauschoreographen ernannte Demis Volpi steht für einen ganz eigenen Stil einer originell gekippten klassischen Schule und den Errungenschaften einer nervösen Körperhaltung seines Kollegen Marco Goecke. Obwohl hoch anspruchsvoll, präsentieren die beiden Widmungsträger Elisa Badenes und Daniel Camargo die „LITTLE MONSTERS“ zu ausgewählten Elvis Presley-Ohrwürmern mit feinem Humor und exaktest aufeinander eingestimmt als die leichteste Sache der Welt. In „ALLURE“ mit Musik von Nina Simone lotet Hyo-Jung Kang mit Geschmack und dosierter Ironie die Probleme des Künstlertums mit der eigenen Eitelkeit und den Tücken des Selbstbewusstseins aus.

Gleich zwei Nachwuchsarbeiten hatten beim letzten Abend der Jungen Choreographen im Februar so überzeugendes Format gezeigt, dass sie einen Eingang ins feste Repertoire rechtfertigen. Der zusehends auch außerhalb Stuttgarts gefragten Halbsolistin Katarzyna Kozielska ist mit „SYMPH“ ein Respekt gebietender Umgang mit hochwertig belasteten Klassikern von Vivaldi und Beethoven gelungen. Besondere Hingucker darin sind Myriam Simon und Constantine Allen, die Musik von ersterem mit klarer Linie aufs Schönste zelebrieren und Magdalena Dziegielewska und Pablo von Sternenfels, die die Schicksals-Symphonie mit einer gehörigen Portion Witz und Schmiss durchkreuzen. In Roman Novitzkys köstliche Pointen aus dem Kräftemessen eines Männer-Trios schlagendem „ARE YOU AS BIG AS ME?“ ragt Jesse Fraser mit mimischer Treffsicherheit heraus. Synchrones Timing zeigen auch Alexander McGowan und Matteo Crockard-Villa, doch mit dem großgewachsenen blonden Fraser reift wieder ein Tänzer heran, der über jene Ausstrahlung und darstellerische Präsenz verfügt, mit der das Stuttgarter Ballett in aller Welt assoziiert wird.

Diese Saisoneröffnung als eine Hitliste der „Best of“ stach in der Gesamtheit so manchen Gala betitelten Abend aus und wurde stürmisch und mit Zugaben heischendem Beifall gefeiert. So darf es weitergehen……

Udo Klebes

 

 

 

 

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