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STUTTGART/ Schauspielhaus: DAS LEBEN DES GALILEI von Berthold Brecht. „Und das Pendel bewegt sich“. Premiere

01.02.2014 | KRITIKEN, Theater

UND DAS PENDEL BEWEGT SICH . Brechts „Leben des Galilei“ im Schauspiel Stuttgart – Premiere am 31. Januar 2014/


Copyright: Schauspiel Stuttgart

 „Mathematik ist eine brotlose Kunst“ heißt es in Bertolt Brechts 1943 in Zürich uraufgeführtem Schauspiel „Leben des Galilei“. Armin Petras hat jetzt eine durchaus fantasievolle Version im Stuttgarter Schauspiel vorgestellt (Bühne und Video: Carsten Nicolai, Kostüme: Karoline Bierner). Petras ist es weitgehend gelungen, den etwas schwerfälligen Bilderbogen aufzulockern. Als erster Mensch richtet Galileo Galilei sein Teleskop auf den Sternenhimmel. Doch er sieht immer nur die Erde als kreisenden Planeten. Das Weltbild und die gesamte kirchliche Doktrin sind so ins Wanken geraten – bis die Inquisition ihre Instrumente zeigt und Galilei widerruft.

Peter Kurth zieht als Galilei alle Register seiner Schauspielkunst, auch wenn manche Textpassagen nicht immer verständlich sind: „Ich habe meinen Beruf verraten.“ Es wird ihm auch entgegengehalten, dass sein Fach sein Unglück sei. Er beginnt sehr stark an sich zu zweifeln – ein Aspekt, den diese zerklüftete Inszenierung immer wieder gut herausarbeitet. Die Protagonisten agieren zuweilen in elektrisierender Zeitlupe, Schnee rieselt geheimnisvoll herab, ein riesiges Pendel schaukelt hin und her. Große Dampfwolken hüllen die Bühne ein, symbolisieren die unheimliche Macht des Vatikan – ein Mönchschor betet wie manisch zum Himmel. Galilei erklärt zunächst in stoischer Ruhe Andrea Sarti (facettenreich: Sebastian Wendelin) das Kopernikanische System. Die von Karina Plachetka furios dargestellte Frau Sarti greift ihn deswegen recht heftig wegen dieses „Unsinns“ an.

Und hier gerät das Tempo dieser Inszenierung immer mehr außer Kontrolle. Es kommt zu mehr oder weniger gelungenen szenischen Einfällen. Als angehender Schüler und reicher Mann weiß Jonas Friedrich Leonhardi zu überzeugen, denn er weiß eindringlich ein Fernrohr zu beschreiben, das in Amsterdam verkauft wird. Sebastian Wendelin mimt dabei auch durchaus ironisch den Großherzog von Florenz, der sich wüst mit Andrea wegen des Fernrohrs prügelt. Die neue Lehre Galileis wird im Vorsaal derb verspottet: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat…“ Bei der Ballnacht in Rom mit Galileis Tochter Virginia und ihrem Verlobten Ludovico Marsili gelingen Armin Petras emotional und musikalisch eindringliche Szenen (Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel). Im übrigen wird die expressionistische Musik von Hanns Eisler immer wieder verfremdet. Melodisch wie rhythmisch können die Schauspielerinnen und Schauspieler dem rhetorischen und harmonischen Fluss stilbildende Gestalt geben.

Das ist das große Plus dieser Inszenierung, auch wenn man sich für manche Sequenz noch mehr szenische Reife und Tiefe gewünscht hätte. Julischka Eichel spielt Virginia sehr intensiv, obwohl sie stimmlich an diesem Abend verhindert ist und von Manja Kuhl als Sprecherin sehr gut vertreten wird. Eindrucksvoll ist auch die Szene, wo Galilei vom Tod des Papstes erfährt und dem vermeintlichen Trugschluss unterliegt, dass der neue Papst Urban VIII. alias Kardinal Barbieri ihn als ausgebildeter Mathematiker besser versteht. Die niederschmetternde Erkenntnis folgt dann auf dem Fuß, denn Galilei wird jetzt knallhart gezwungen, seine „Irrlehre“ zu widerrufen. Hier spaltet sich die Bühne gleichsam in viele Einzelteile auf, stellt damit den verzweifelten Kampf Galileis gegen eine unmenschliche Kirchenpolitik dar. Außerdem gelingen die Passagen mit den verschiedenen Fernrohren fesselnd, von denen Galilei als Forscher geradezu besessen zu sein scheint. Dieser Fanatismus überträgt sich dann rasch auf die anderen Figuren und führt zu einem atemlosen Taumel, der nicht mehr aufzuhalten ist. Dies zeigt sich insbesondere bei Galileis Tochter Virginia, die in der nuancenreichen Darstellung von Julischka Eichel nicht mehr zu bändigen ist. Der Palast des florentinischen Gesandten in Rom verwandelt sich bei Armin Petras sehr schnell in ein riesiges, unentrinnbares Gefängnis, zumal Galilei in einem blauen Käfig herangefahren wird: „Ich…schwöre ab, was ich gelehrt habe, dass die Sonne das Zentrum der Welt ist…“ Obwohl auf dem Weg nach Holland, bleibt Galilei weiterhin ein Gefangener der Inquisition, darf aber seine „Discorsi“, seine Abhandlung über die Mechanik und die Fallgesetze, mitnehmen. Figuren und Bühne scheinen sich zuletzt langsam aufzulösen. Manche Szenen wirken zu slapstickartig – und trotzdem kommt die geballte Wucht der Handlung gut und packend über die Rampe.

In weiteren Rollen gefallen Robert Kuchenbuch als Linsenschleifer Federzoni, Paul Schröder als kleiner Mönch und Wolfgang Michalek als Kurator, Philosoph, Mathematiker, Kardinal Barbieri, Balladensänger und Individuum. Michael Spors (Klavier, Synthesizer), Stefan Koschitzki (Saxophon, Klarinette) sowie Antje Langkafel (Flöte) leisten Ausgezeichnetes. 

 Alexander Walther

 

 

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