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STOCKHOLM: LOHENGRIN – Neuinszenierung

20.05.2012 | KRITIKEN, Oper

STOCKHOLM: LOHENGRIN – NI am 28.4.2012 Realität stößt auf Märchen und Traum…


Emma Vetter (Elsa) in Handschellen. Foto: Alexander Kenney /Kuniglian Opera

Der unorthodoxe Opernregisseur Stephen Langridge machte am Königlichen Theater von Stockholm im April seinen ersten Wagner, mit „Lohengrin“. Langridge studierte Theater an der Exeter University und war einige Jahre Assistant Director bei der cutting edge company, Opera Factory, und entwickelte unkonventionelle Projekte. Und so unkonventionell, aber intelligent durchdacht, wirkte auch sein Stockholmer „Lohengrin“, der in seltsamer Kontraposition zu der Neuinszenierung Kasper Holtens an der Deutschen Oper Berlin im selben Monat stand. In beiden Regiekonzepten spielt Lohengrin eine inhaltlich unromantische Rolle. Beide sind vollkommen der Realität der Gegenwart verhaftet – allerdings mit ethisch ganz unterschiedlicher Ausrichtung. Holten sieht den Schwanenritter als den modernen Politiker, der sich mit den medialen Gesten und bildmächtigen Wirkungen unserer Tage als politische Alternative für ein leidgeprüftes Volk präsentiert, aber schnell selbst manipulativ tätig wird. Hingegen ist Lohengrin bei Langridge der Mann, für den ohne jede Relevanz von Herkunft und Macht (Nam‘ und Art…) nur das Hier und Jetzt sowie seine Handlungen zählen. Allein sie stehen für ihn und seine Mission. Da spielt es keine Rolle, wie er aussieht. Bühnen- und Kostümbildner Conor Murphy hat ihn in eine Lederjacke mit seinem eigenen Mecky-Haarschnitt gepackt, wie den Harley Davidson-Fahrer von nebenan. Weniger optische Wirkung und Charisma gehen kaum, in krassem Gegensatz zu Holtens weißgefiedertem und auf optische Wirkung bedachten romantisch verbrämten Schwanenritter an der DOB. Michael Weinius spielt dieses Rollenprofil sehr authentisch, wirkt er doch schon durch sein Äußeres und auch darstellerisch nicht gerade charismatisch, ein absoluter Pragmatiker eben, der an seinen Tenor-Kollegen Christan Franz erinnert. Stimmlich ist er jedoch voll auf der Höhe. Mit tenoralem Aplomb singt er bei guter Diktion fast alles im Forte und erinnert eher an Siegfried als an Lohengrin. Ein wenig Legato hätte gelegentlich gut getan – er sparte es sich für die Taube in der kräftig und glanzvoll gesungenen Gralserzählung und für den Abschiedsgesang Mein lieber Schwan auf. Hier zeigt Weinius eine große Variabilität seines viel versprechenden Tenors, den er auch mit emotionalem Ausdruck versehen kann. Bereits sein Parsifal in der Domkirche zu Karlstad 2007 und sein Siegmund 2009 konzertant beim Richard Wagner Festival Wels waren beeindruckend. Sicher eine Stimme mit Zukunft am Wagnerschen Tenorhimmel, der ja so viele Sterne nicht zeigt…

Emma Vetter singt mit kräftigem Sopran und guter Attacke eine kämpferische Elsa. Sie befindet sich aufgrund des Todes ihres Vaters und des Verlusts des Bruders in einem fieberhaften Traum, eine Folge von Trauer, Schuldgefühlen und nackter Angst, ihr Leben zu verlieren. Die vier „Edlen“ legen ihr schon die Schlinge um den Hals, als endlich Lohengrin wie aus dem Nichts in diese in Träumen und Mythen ihrer vermeintlichen Herkunft und Macht (Telramund und Ortrud) Verharrenden hineinplatzt und alle nun zwingt, Stellung zu beziehen zwischen Wahrheit und Illusion, Magie und Wunder, Realität und Projektion. Dieses interessante Konzept setzen Langridge und Murphy mit plastischen Bildern um. Die Realität der König Heinrich Sphäre mit Business-Anzug des Herrschers und einer extrem martialischen Leibstandarte mit MPs im Anschlag, die ungute Zeiten an eine unrühmliche Periode in der deutschen Geschichte aufkommen lässt, wirkt bisweilen überzogen – und die immer wieder auf der aktuellen Wagner-Bühne auftauchenden Uniformen ohnehin gähnend langweilig. Da ist das Outfit des Heerrufers Gunnar Lundberg als eine Mischung aus Lou van Burg und Franco Bonisolli schon witziger. Der Regisseur sieht ihn also eher als Show Manager, bei dem Realität und Einbildung verschwimmen. Folglich ist er auch mit ständigem Würfelspiel befasst und engagiert sich in einem seltsam anmutenden Spiel von kindergroßen Puppen mit Riesenköpfen, die über die Bühne wandern und immer wieder unerwartet verschwinden, die Protagonisten symbolisierend, insbesondere Telramund, Elsa und Gottfried. Damit wird die ambivalente Traum-Wirklichkeits-Spannung aufrechterhalten, die es den Agierenden erschwert, sich klar einzuordnen, dem Volk aber die Möglichkeit gibt, sich lieber mit einer Idee und Illusion zu beschäftigen als mit der eigenen Realität. So zeigt Langridge ungewohnte personelle Annäherungen und Assoziationen. Die exzellente Lichtregie von Fabrice Kebour und die Videos der Herren Bergmann und Bramscher leisten dabei wertvolle dramaturgische Unterstützung. Lundberg singt den Herold etwas verquollen, zwar stimmstark, aber mit wenig Glanz. Matthew Best hat für den König Heinrich einen kräftigen Bass, den er aber etwas unflexibel führt, mit gelegentlichen Intonationsschwankungen. Johan Edholm singt einen prägnanten und gut phrasierenden Telramund, der auch die nötige Kraft für die geforderten Höhen hat. Agneta Lundgren, Zweitbesetzung für die Ortrud, hat zwar eine kräftige, aber vibratoreiche Stimme, die bei den Höhen schnell Schärfen bekommt. In der allzu realistischen Ästhetik dieser Produktion wird sie am Ende kurzerhand mit den MP-Kolben der königlichen Leibstandarte niedergemacht…

Ein alles überschattender Fingerabdruck auf den Paravents und im Hintergrund deutet symbolisch so etwas wie die letztlich alles beherrschende und unwiderlegbare Realität an und wird somit zur Metapher für Lohengrin, der den Ehevertrag mit Elsa folgerichtig mit seinem Daumenabdruck unterzeichnet! Noch sicherer geht es nicht, sonst wären die US-amerikanischen Immigrations-Behörden schon auf eine andere Idee gekommen. Eines zeigt Langridge deutlich: Für die Selbst-Mythologisierer ist die Gegenwart nur ein Stolperstein in die Zukunft, während für Lohengrin die Gegenwart die Bestimmung bzw. das Ziel an sich ist, der Ort und Moment, der genossen, erfahren und akzeptiert werden sollte. Allein Elsa, wie die meisten auf Beweis und Wissen Wert legenden Frauen, bricht diesen Anspruch auf, indem sie im 3. Akt Gleichheit in der Beziehung mit Lohengrin verlangt, was die Preisgabe seiner Identität beinhaltet. Diese Zuspitzung des Dramas auf die Intimität zweier Personen zeigt das Regieteam in einem kleinen Schlafzimmer-Ausschnitt in der Mitte der Bühnenhöhe stark akzentuiert. Die Erschießung Telramunds durch Lohengrin lässt wie schon das russische Roulette beider im 1. Akt an Drastik nicht zu wünschen übrig und macht schreiend klar, dass der Zweifel über Lohengrins Identität und Geschichte größer ist als der einfache Instinkt für Liebe und Vertrauen. Langridge: Elsas Frage spaltet die Gegenwart in Bedenken über die Vergangenheit und Angst vor der Zukunft – und sie löst eine ähnliche starke destruktive Kraft aus. Wie zum Beweis für seine Überzeugung lässt er Lohengrin nach der Gralserzählung zusammenbrechen…

Evan Rogister dirigiert die Königliche Hofkapelle mit ruhiger Hand und entfaltet schon im Vorspiel einen seidenen und mystischen Glanz, der etwas gegen das plastisch-reale Geschehen auf der Bühne steht. Das Vorspiel zum düsteren 2. Akt beginnt er mit dräuenden Tönen und nimmt dann eine starke Dynamik auf, die mit hoher Transparenz in den einzelnen Gruppen gepaart ist. Auch die Bühnenmusik am Hofe im 2. Akt gelingt gut. Ein Glanzpunkt der musikalischen Seite des Abends ist die große Verwandlungsmusik im 3. Akt, als die Fanfaren sowohl in den Proszeniumslogen wie hinten auf dem Balkon postiert sind. Der Königliche Opernchor, einstudiert von Christina Hörnell und Folke Alin, ist außerordentlich kraftvoll bei Stimme und wird meist gut choreografiert – Glanzpunkt eines spannenden Opernabends, an dem es einmal gelang, den schwierigen „Lohengrin“ mit einem gewagten, aber plausiblen Regiekonzept zu interpretieren.

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

 

 

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