Evgeny Krukov. Sergey Gutnik / Uraloper Ekaterinburg
ST. PETERSBURG: SATYAGRAHA als Gastspiel der Uraloper Ekaterinburg, 19. und 20. Mai 2018
Im Mai gastierte die Uraloper unter der Leitung von Generalintendant Andrey Shishkin mit der Philip Glass Oper „Satyagraha“ am St. Petersburger Alexandrinsky Theater. Seit der Premiere am Ekaterinburg Opera and Ballet Theatre im September 2014 in der Regie von Thaddeus Strassberger (Interview an dieser Stelle) erlebte „Satyagraha“ dort bereits über 60 Aufführungen! Mit der „Passagierin“ von M. Weinberg und „The Greek Passion“ von B. Martinu Mitte April in Ekaterinburg (Berichte an dieser Stelle) hat die Uraloper nun die sog. Trilogie abgeschlossen. Ein wahrlich beachtliches Werk ist da entstanden an einer Oper, die schon in Westsibirien liegt und deshalb nicht unbedingt zum europäischen Mainstream zählt. Dies wurde u.a. auch durch die bedeutende Rolle von Oliver von Dohnányi erreicht, der seit Jahren GMD in Ekaterinburg ist und den Spielplan gemeinsam mit Andrey Shishkin gestaltet. Diese Trilogie lag beiden sehr am Herzen.
Die dreiaktige Oper handelt von den Jahren des jungen indischen Unabhängigkeitskämpfers Mahatma Gandhi in Südafrika von 1893 bis 1914. Sie wurde am 5. September 1980 in Rotterdam uraufgeführt und war ein Auftragswerk dieser Stadt. „Satyagraha“ ist Sanskrit und heißt „beharrliches Festhalten an der Wahrheit“. So ist auch die Originalsprache Sanskrit. Der Text stammt aus der Bhagavad Gita, einer der zentralen Schriften des Hinduismus. Die US-amerikanische Schriftstellerin Constance deJong schrieb zusammen mit Philip Glass das Libretto. Gandhi sah die Haltung, durch beharrliches Festhalten an der Wahrheit Widerstand gegen die Herrschenden zu leisten, womit in diesem Falle insbesondere die Kolonialherrschaft Englands über Indien gemeint ist, nicht als Waffe der Schwachen, sondern der geistig Stärksten (Wikipedia). So erleben wir in der Oper und auch in dieser Inszenierung Szenen der Unterdrückung der Inder – auch durch physische Gewalt – durch die Polizei der Kolonialherren. Strassberger hat das sehr plastisch inszeniert und andererseits auch die mentale Kraft des Friedenskonzepts Gandhis dramaturgisch nachhaltig hervor gehoben.
Copyright: Sergey Gutnik / Uraloper Ekaterinburg
So macht Gandhi sich im 1. Akt Gedanken, ob er in einen Kampf gehen soll bzw. darf, in dem Verwandte gegen Verwandte und Freunde gegen Freunde kämpfen würden. Er lässt in Südafrika „Satyagraha“ gründen, eine Art Friedensgemeinschaft. Sie soll dazu beitragen, dass Menschen gleich behandelt werden. Die Inder leisten kampflosen Widerstand gegen rassendiskriminierende Verordnungen der südafrikanischen Regierung. Im 2. Akt sieht man zunächst wie Mrs. Alexander Gandhi vor dem Tod durch Steinigung rettet. Die Inder gehen sodann auf Initiative Gandhis mit einer großen Zeitung über die Bühne, mit der alle über die Stille Satyagrahas aufgeklärt werden sollen. In der Ruhe und Serenität, mit der Strassberger ihre Bewegungen zeigt, deutet sich in überzeugender Weise die Stärke Satyagrahas an. Gandhi wird immer wieder in einer Art meditativen Ruhe gezeigt, die zusammen mit der sich thematisch ständig wiederholenden Musik die Überlegenheit seines Friedenskonzepts über die Drangsalierungen der Herrschenden durch ihre Polizeischergen zeigt, die auch erschreckend plastisch mit Gummiknüppeln agieren und nicht dafür zurück schrecken, die Inder physisch und psychisch zu demütigen. Das sind starke Bilder, die der Regisseur uns bietet und die neben der Stärke Gandhis und seiner Lehre auch die Notwendigkeit eines Wandels dokumentiert. Das gipfelt darin, dass die Inder aus Protest gegen die Inhaftierung ihrer Leidensgenossen ihre Personaldokumente ins Feuer werfen. Immer größer werdende Flammen auf dem Bühnenparavent kündigen das kommende, leider gewaltvolle Ende der Unterdrückung an. Im 3. Akt versuchen Gandhis Frau Kasturbai und Mrs. Naidoo unter ihren Freunden gesanglich zu verbreiten, dass man im Sinne Satyagrahas Freund und Feind gleich behandeln solle. Das spielt sich in einem Ambiente indischer Ästhetik ab, die auch vorher schon immer wieder zu sehen war. Eine zentrale und überaus attraktive Rolle nimmt dabei die Figur Krishnas ein, mit ihren typischen Armbewegungen, die durch einen „kleinen Krishna“ hinter der Hauptfigur verdoppelt werden. Auch diese Optik trägt zu Unterstreichung der friedvollen Ideen Gandhis bei, die sich im Übrigen in dieser Inszenierung durch die große Ruhe ausstrahlenden Aktionen des Hauptdarstellers manifestieren. Am Schluss hören wir ihn nahezu unendlich lange zu der dazu sich wiederholenden musikalischen Thematik eine Gesangslinie vollziehen, mit der er die Notwendigkeit verkündet, unentwegt zu arbeiten und sich unaufhaltsam für die Wahrheit einzusetzen, um dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Gesangslinie ging mir noch Tage nach den beiden Vorstellungen durch den Kopf. In der Einfachheit liegt ganz offenbar ihre Stärke – ganz wie das Friedenskonzept Gandhis…
Mit einer rein Ekaterinburger Besetzung kam das interessante und beeindruckende Werk von Philip Glass bestens zu Geltung. Daran hatten Strassbergers fantasievolles und ganz auf der indischen Ästhetik basierendes farbenreiches Bühnenbild, welches zeitweise an jenes des „Tristan“ von Heiner Müller vor vielen Jahren in Bayreuth erinnerte, sowie die dazu bestens passenden Kostüme von Mattie Ullrich, wesentlichen Anteil. Hinzu kam die blendende Lichtregie von Jevgenij Vinogradov. Auch die Ballettmeisterin Nadezda Malygina trug mit einer guten Choreografie das Ihre dazu bei.
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Evgeny Krukov sang in der ersten Aufführung den Gandhi und konnte darstellerisch durch eine bestechend authentische Interpretation des indischen Freiheitskämpfers überzeugen. Stimmlich ließ er mit seinem nicht sehr voluminösen Tenor und wenig Tiefe einige Wünsche offen. Er war auch der Manolios in der „Greek Passion“ der Uraloper. Olga Tenyakova, die schon in der „Greek Passion“ als Lenio glänzte, war auch hier wieder eine stimmlich exzellente Sekretärin Miss Schlesen. Natalia Karlova sang eine gute Mrs. Naidoo und glänzte insbesondere in dem Duett mit Kasturbai im 3. Akt. Nadezhda Ryzhenkova sang diese klangvoll mit ihrem guten Mezzosopran. Ksenia Kovalevskya war eine darstellerisch wie stimmlich energische Mrs. Alexander und platzte wie eine Bombe in die Szenerie der Unterdrückung. Sie verfügt über einen leuchtenden Sopran. Dmitry Starodubov sang mit seinem kräftigen Bariton einen exzellenten Mr. Kallenbach, und Aleksey Semenischev war ein ansprechender Arjuna. Aleksander Kolesnikov war Parsi Rustomji. Die stummen Rollen der beeindruckend agierenden Krishna-Figuren wurden von Michael Korobeinikov und Vyacheslav Lonshakov („kleiner Krishna“) gekonnt verkörpert. In den Nebenrollen gab es weitaus mehr Licht als Schatten. Der von Elvira Gaiphullina einstudierte Chor konnte besonders stark beeindrucken und erhielt für diese Leistung vor einiger Zeit auch die „Goldene Maske“.
Es ist trotz als einiger stimmlicher Schwächen, gerade bei der Hautfigur, der Uraloper hoch anzurechnen, ein solch komplexes Werk mit dem eigenen Ensemble zu bestreiten, und das sogar mit einer Zweitbesetzung. In der zweiten Aufführung am 20. Mai war Vladimir Cheberyak stimmlich ein weitaus besserer Gandhi und spielte die Figur ebenfalls beeindruckend authentisch. Miss Schlesen war Olga Vutiras, Mrs. Naidu Anna Perhurova, Kasturbai Nadezhda Shlyapnikova, Mr. Kallenbach Aleksey Semenischev, Parsi Rustomji Vladislav Popov, Mrs. Aleksander Tatiana Nikanorova und Arjuna Aleksander Kulga. Der Krishna wurde von Andrey Reshetnikov gespielt und der „kleine Krishna“ von Nikita Matukhin.
Oliver von Dohnányi dirigierte beide Abende von „Satyagraha“ und wurde mit seinem Ekaterinburger Orchester von einem vollen Haus mit sehr vielen jungen Leuten per standing ovations beklatscht. Die Musik ist für den klassisch orientierten Opernbesucher durchaus gewöhnungsbedürftig, entfaltet aber bei mehrmaligem Hören eine unglaubliche Kraft, zusammen mit dem manchmal monoton anmutenden Gesang. Im Publikum war höchste Aufmerksamkeit zu erkennen. „Satyagraha“ wird als ein Werk, vielleicht das bedeutendste, der Minimal Music gesehen. Das ist nachvollziehbar, aber gerade für dieses friedensorientierte Sujet auch passend. Man muss die Oper zwei- dreimal hören, um das zu erfassen. Von Dohnányi konnte diese Art der Musik mit seinem Orchester spannend und überzeugend sowie mit großer Souveränität darstellen. Es war ein besonderes Erlebnis, „Satyagraha“ in dieser musikalischen und optischen Qualität zu erleben.
Das Ekaterinburger Gastspiel kann als voller Erfolg gewertet werden. Im Gegenzug wird das Alexandrinsky Theater mit Gogols „Revisor“ in Ekaterinburg gastieren.
Klaus Billand
Thaddeus Strassberger im Gespräch mit Andrey Shishkin und Anna Yachmeneva. Copyright: Sergey Gutnik / Uraloper Ekaterinburg