Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ST. PETERSBURG: LA TRAVIATA, PELLÉAS ET MÉLISANDE, HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

11.02.2013 | KRITIKEN, Oper

Bericht aus St. Petersburg (7. – 10.2.2013)

Es ist ungewöhnlich für ihn, aber VALERY GERGIEV, künftiger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, ist im Monat Februar für 14 Abende angesetzt. Anlass für diese En-Block-Anwesenheit dürfte die für den 2. Mai geplante Eröffnung der neuen Bühne des Mariinsky-Theaters sein, ein Prestigeobjekt, dessen Fertigstellung überwacht werden will.

 Ungewöhnlich ist auch, dass Gergiev eine „normale“ Repertoirevorstellung eines Werks wie „La Traviata“ (7.2.) leitet. Es steht zu vermuten, dass ihn die Violetta-Debutantin MARIA BAYANKINA interessierte, erst seit 2010 Mitglied der von Gergievs Schwester Larisa Gergieva geleiteten Sänger-Akademie am Mariinsky-Theater. In der Tat war dieses Debut verheißungsvoll, und das in einer Partie, die eigentlich drei verschiedene Stimmen erfordert: eine für Koloraturen geeignete, eine dramatischere und eine lyrische. Die noch sehr junge Maria Bayankina wurde diesen Anforderungen in imponierender Weise gerecht. Ein interessantes Timbre, entfernt an die junge Netrebko erinnernd, dazu eine eindrucksvolle Gestaltung. Gelegentliche Verhärtungen und Intonationsprobleme gerade in der Höhenlage dürften der Nervosität geschuldet sein. Ich bin gespannt auf die weitere Entwicklung dieses Talents. Ihr Partner an diesem Abend, der Ukrainer DMYTRO POPOV, ist schon renommierter, ein auch in Deutschland (Berlin, Stuttgart) bekannter Name. Seine Tonproduktion war mir gelegentlich zu gaumig, doch ansonsten konnte man sich an einer stil- und höhensicheren Stimme erfreuen, die eigentlich schon über das lyrische Fach eines Alfredo hinausweist. VASILY GERELLOs sonst so nobles Organ (Vater Germont) klang diesmal erschreckend substanzarm. Hoffen wir, dass es sich nur um eine schlechte Abendverfassung handelte. Für eine Repertoireaufführung von La Traviata, bei der Gergiev wie üblich die Schlussproben kurz vor der Vorstellung leitete, sind hauptsächlich seine Begleiterqualitäten gefragt, und dieser Abend zeigte, dass er in der Tat ein hervorragender, schnell reagierender Begleiter mit guten Kapellmeister-Fähigkeiten ist. Dies erfordert aber auch Sänger und Musiker, die flexibel genug sind, seine Intentionen, die auch durch Proben nie deutlich festgelegt sind, umzusetzen. Eine berühmte Sängerin fragte einmal, wie Gergiev eine bestimmte Stelle gesungen haben wollte. Seine Antwort war, sie solle nur singen, er würde schon folgen. Und so war denn auch dieser Abend eher ein Folgen als ein Leiten.

 Mit Debussys „Pelléas et Mélisande“ und Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ nimmt das Mariinsky-Theater in den nächsten Tagen am an Prestige reichen Theater-Festival „Golden Mask“ in Moskau teil, der Hoffmann sogar nominiert für die Goldene Maske. Grund genug also, diese beiden Produktionen kurz vorher noch einmal zu Hause aufzufrischen. Für „Pelléas et Mélisande“ (8.2.) entschied man sich zu einer nur konzertanten Aufführung in der Konzerthalle, so dass der Zuschauer, der die Inszenierung Daniel Kramers zu dunkel fand, sich ganz der Musik hingeben konnte, zumal die Sänger sehr geschmackvoll und überzeugend agierten. Mit der Einschränkung, dass ich nicht beurteilen kann, wie idiomatisch das Französisch der russischen Sänger war, hinterließ diese Aufführung musikalisch wie vokal einen überwältigenden Eindruck. Gergiev liegt bekanntlich die Musik sehr am Herzen, und das Orchester präsentierte sich in Bestform. Zum Glück für einen besseren akustischen Eindruck war Gergiev von seiner sonstigen Gewohnheit abgewichen, die Sänger hinter dem Orchester zu positionieren. Pauschallob für das gesamte Ensemble, das eine geglückte Mischung aus den Besetzungen der A- und B-Premiere vor einem Jahr darstellte: IRINA MATAEVA (Mélisande), ANDREI BONDARENKO (Pelléas), EVGENY ULANOV (Golaud), ZLATA BULYCHEVA (Geneviève), OLEG SYCHOV (Arkel), TIMUR ABDIKEYEV (Arzt), nicht zu vergessen der tragfähige und intonationssichere Knabensopran von PLATON CHERKASOV (Yniold). Wie in der szenischen Produktion war die Rolle des Hirten gestrichen.

 Der junge VASILY BARKHATOV gehört zu den begabtesten Regisseuren der jungen russischen Generation. In der Ausstattung von ZINOVY MARGOLIN gelang ihm eine fantasiereiche und intelligente Umsetzung von Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ (9.2.) mit einer Fülle origineller – selbst ich würde sagen – stückimmanenter Ideen. Die musikalische Umsetzung wies dagegen Schwächen auf, die nicht gerade auf ein Übermaß an Proben schließen lassen. So waren Chor und Orchester mehrfach auseinander, und auch der erfahrene SERGEI ALEXASHKIN in der Rolle der Bösewichter (hier als Hoffmanns dunkles alter ego gesehen) konnte sich nicht mit dem Dirigenten (Valery Gergiev) auf ein gemeinsames Tempo einigen. Der vokale Teil kulminierte in drei ganz hervorragenden Leistungen, bei den Damen die Koloraturakrobatin LARISA YUDINA (Olympia) und die wie immer mit lyrischer Tonschönheit aufwartende Antonia von ANASTASIA KALAGINA . Als Hoffmann ist SERGEI SEMISHKURs helles Organ nach wie vor nicht mein Fall, aber durch seinen gewohnten Höhenstrahl und seinen darstellerischen Impetus nötigte er mir Respekt ab. Der jungen YEKATERINA SERGEYEVA (Nicklausse), derzeit noch Akademie-Mitglied, gehört ohne Zweifel die Zukunft im Mezzofach, auch wenn sie hier in der teilweise unbequem hohen Tessitura ihres Parts nicht die ganze Schönheit ihres betörenden Timbres zeigen konnte. YEKATERINA SOLOVYOVA überzeugte als Giulietta mehr optisch als vokal. In Moskau wird Ildar Abdrazakov die Partie der Bösewichter übernehmen (für die Goldene Maske) nominiert. Natürlich ist der Bass Sergei Alexashkin ein alter erfahrener Hase, aber seine Stimme klang doch schon recht abgenutzt. Valery Gergiev schien mit der Qualität der Aufführung nicht zufrieden gewesen zu sein; gänzlich ungewöhnlich ließ er sich beim Schlussbeifall nicht auf der Bühne blicken. Kleiner Tipp am Rande: Vielleicht helfen Proben!

 Überraschender Höhepunkt meiner Kurzvisite in der in diesen ersten Februartagen recht düsteren Neva-Metropole war am 10.2. nachmittags ein Jugendkonzert in der Mariinsky-Konzerthalle, das eigentlich vom Hausherrn Valery Gergiev hätte dirigiert werden sollen, der es aber vorgezogen hatte, mit seinem Stradivarius-Ensemble in Novgorod zu gastieren. Eine der begrüßenswertesten Initiativen des Mariinsky-Theaters ist die Gründung der sog. „Akademie der jungen Theatergänger“. Im ersten Jahr werden die Kinder (bis zum Alter von 7 Jahren) in moderierten einstündigen Konzerten in der Konzerthalle in allgemeine Themen eingeweiht wie z.B. „Wie Oper, Ballett aufgeführt werden“, „Die magische Welt von Oper und Ballett“. Im zweiten Jahr dann Konzerte, die ebenfalls in Auszügen auf die märchenhafte Welt von Opern wie der Liebe zu den 3 Orangen oder Zar Saltan, auf Ballette wie Dornröschen und Shurale und selbst auf Wagners Nibelungenring vorbereiten. Im dritten Jahr folgen dann komplette Aufführungen dieser Oper und Ballette, jeweils im Mariinsky-Theater bzw. in der Konzerthalle, statt Wagners Ring allerdings Mozarts Nozze di Figaro. In dem eigentlich von Gergiev hätte dirigiert werden sollenden Konzert hätte das Thema lauten sollen: Eine Reise in die Welt der Klassischen Musik. Stattdessen wurden Höhepunkte aus den drei großen Tschaikowsky-Balletten gespielt, und es war eine Freude zu erleben, wie konzentriert und interessiert die jungen Zuhörer diese herrliche Musik verfolgten, gespielt nicht von der A-Besetzung des Mariinsky-Orchesters, doch trotzdem mit voller Hingabe an die Musik, anfeuernd geleitet vom jungen ALEXEI REPNIKOV, eigentlich Leiter der Bühnenmusik, dem aber immer öfter Ballettaufführungen anvertraut werden. In diesem Konzert wurde klar, dass der Stellenwert der Kultur, die Bewahrung des kulturellen Erbes, in Russland doch einen höheren Stellenwert einnimmt als im Westen. Nicht nur die normalen Vorstellungen der Tschaikowsky-Ballette, sondern auch solche märchenhaften Stoffe wie Zar Saltan, Ruslan und Lyudmila, die Liebe zu den 3 Orangen sind in St. Petersburg gefüllt mit einem jugendlichen Publikum. Vorbildlich!

 Sune Manninen

 

 

Diese Seite drucken