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ST. PETERSBURG/ Festival „Weiße Nächte“ – Mariinsky-Konzerthalle: OTELLO – konzertant

11.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Verdi: Otello (Mariinsky-Konzerthalle, 10.6.2012)

Das ruhmreiche St. Petersburger Festival ”Stars der Weißen Nächte” feiert in diesem Sommer ein Jubiläum: Es findet zum 20. Mal statt. 1993 in einer für Russland und die Newa-Metropole schwierigen politischen und finanziellen Situation, sah Mariinsky-Leiter VALERY GERGIEV die Notwendigkeit, aber auch die Chance, alle Kräfte zum einem Kunstevent zu bündeln. Dieses erste Festival dauerte nur 10 Tage und war im Opernbereich fokussiert auf solche Sänger wie Borodina, Diadkova, Galuzin, Aleksashkin, Putilin und den wenige Jahre danach verstorbenen „kirgisischen Schaljapin“ Minzhilkiev. Im Konzertsektor waren es mit Gergiev langjährig verbundene Freunde wie Bashmet und Toradze, die dem Festival Glanz verliehen. Nun, in seinem 20. Jahr, sind die „Weißen Nächte“ ein glanzvolles, sich über 1 ½ Monate erstreckendes Festival geworden, in dem sich die Weltstars die Klinke in die Hand geben. Natürlich profitiert das ehrwürdige Mariinsky-Theater dabei auch von seiner visuell und akustisch großartig gelungenen Konzerthalle.

Diese Konzerthalle wird nicht nur für Sinfoniekonzerte genutzt, sondern auch für Opernaufführungen in szenischer (!) und konzertanter Form. Vor allem aber eignet sich dieser Saal hervorragend für Aufnahmen, was von Gergiev reichlich ausgenutzt wird, um das hauseigene Mariinsky-Label mit Neueinspielungen zu bestücken. Nach dem kürzlich erschienenen Massenet „Don Quichotte“ (mit Furlanetto), neben der Arbeit am Wagner-„Ring“ (mit Stemme, Kaufmann, Pape) war nun Verdis „Otello“ an der Reihe – eine natürliche Wahl, da dieses Werk seit je her zu den Lieblingsstücken Gergievs gehört.

Obwohl man mit Vladimir Galuzin einen erstklassigen Otello-Interpreten im Ensemble verfügt, der sich mit dieser Partie auch im Ausland einen Namen gemacht hatte, wurde trotzdem nicht er für die Titelrolle verpflichtet. Auf den ersten Blick eine nicht ganz verständliche Entscheidung, denn der Name Galuzin hätte ein Garant für gesteigerte Verkaufszahlen sein können. Doch Galuzin ist in häufig schwankender Verfassung. An guten Abenden überwältigend (und passend) mit seinem baritonalen Timbre und seiner großen Ausdrucksstärke, kann sein Material an schwächeren Abend gaumig und überfordert klingen, so dass er das Ende nur mit Mühe und Not erreicht. Ein Risiko unter den Bedingungen einer auf einem Konzert-Mitschnitt basierenden Aufnahme. So war es nur verständlich, dass mit dem Letten ALEKSANDRS ANTONENKO ein derzeit weltweit gefragter Titelheld gefunden wurde, den Gergiev schon von seinem „Boris“-Dirigat an der Met her kannte. Obwohl die Sänger (verständlich für eine Aufnahme, fragwürdig für den zahlenden Besucher eines Konzerts) hinter dem Orchester postiert waren, hatte Antonenko keinerlei Mühe, über die Orchesterwogen zu kommen. In einer Zeit, in der es (vielleicht mit Ausnahme Galuzins) keine baritonal timbrierten Otellos mehr gibt, halte ich Antonenko derzeit für konkurrenzlos. Eine klangschöne und –mächtige Stimme, gebündelt in einem überwältigenden Höhenstrahl, bei dem auch die lyrischeren Passagen nicht zu kurz kamen. Zu Recht stand er im Mittelpunkt der Ovationen.

Durch die Positionierung zwischen Orchester und Chor wurde deutlich, dass VICTORIA YASTREBOVA mit ihrem eher schlanken Sopran die natürlichen Ressourcen für die dramatischeren Passagen Desdemonas fehlten (ein Manko, das sicherlich mehr im Konzertsaal als auf der Aufnahme zur Geltung kommt), doch beeindruckte die Selbstverständlichkeit, mit der sie diese Stellen bewältigte, ohne jemals zu forcieren. Traumhaft schön gelangen ihr natürlich das Liebesduett des 1. Akts sowie das Lied von der Weide und Ave Maria – hohe Gesangskunst. Bei ALEXEI MARKOV zahlt sich die vorsichtige Aufbauarbeit des Mariinsky-Theaters aus. Statt in dramatischen Baritonpartien, die er im Ausland zu singen bekam (u.a. Scarpia in Graz!), wurde er zunächst in denen des lyrischeren Repertoires eingesetzt (Jeletsky, Onegin). Sein erster Jago vor 5 Jahren in Dresden ließ zwar sein beeindruckendes, dunkel getöntes Material erkennen, war aber insgesamt noch zu undifferenziert. Jetzt ist er zu einem großformatigen Jago gereift, stimmdarstellerisch ebenso überzeugend wie durch die Klangfülle seines Edelorgans. Eine Weltkarriere dürfte diesem noch jungen Sänger bevorstehen.

Die übrigen Solisten waren eine ausgewogene Mischung aus schon länger gedienten (ZLATA BULYCHEVA als Emilia, GENNADY BEZZUBENKOV als Montano) und jüngeren Mitgliedern des Ensembles, die alle mit einem Pauschallob bedacht seien – gute Qualität, ohne besonders herauszuragen (KHACHATUR BADALYAN als Cassio, YURI VOROBIEV als Lodovico, MIKHAIL MAKAROV als Roderigo, NIKOLAI KAMENSKY als Herold).

Und der Maestro? Gergiev, dessen Körpersprache normalerweise eine sich dynamisch-verausgabende ist, reduzierte diese unter den Bedingungen einer Live-Einspielung diesmal auf eine mehr kontrollierende Emphase, ohne dass das Ergebnis darunter litt. Von den Ausbrüchen der Eingangsszene bis hin zu den verlöschenden Schlussakkorden wurde das weite Klangspektrum der Partitur beeindruckend umgesetzt, hervorragend vermittelt von diesem Weltklasse-Orchester und einem Chor voller Klangfülle. Also beste Voraussetzungen für eine CD-Aufnahme, die nicht nur bei den zahlreichen Gergiev-Fans auf Interesse stoßen dürfte und keine Mühe haben sollte, sich selbst gegenüber Spitzen-Interpretationen zu behaupten.

Sune Manninen

 

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