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ST. Gallen: GIULIO CESARE IN EGITTO von G.F. Haendel. Premiere

Eine Lehrstunde in Sachen Barock-Oper

25.10.2020 | Oper international

Georg Friedrich Händel: Giulio Cesare in Egitto, Theater St.Gallen, Premiere: 24.10.2020

Eine Lehrstunde in Sachen Barock-Oper

Mit der Produktion von Händels «Giulio Cesare» ist dem Theater St.Gallen eine Lehrstunde in Sachen Barockoper gelungen. Ein Sinfonieorchester spielt Barock, ein grandioses Sängerensemble ist mit unbändiger Spielfreude am Werk und Bühne und Regie entführen den Zuschauer in phantastische Welten. Noch dazu hat die Produktion, die eigentlich im März hätte Premiere haben sollen, sowohl die Corona-Adaption wie auch den Umzug vom Theater am Stadtpark ins Provisorium UM!BAU bestens überstanden.

Ein erstes Lob gilt den Solisten des Abends, allen voran dem traumhaften Mezzosopran von Raffaele Pe als Giulio Cesare. Er spielt den Julius Caesar, hier als Forschungsreisender (Hinam III Bingham) angelegt, mit ungeheurer Intensität und Ausstrahlung und befindet sich an diesem Abend in stimmlicher Höchstform. Er begeistert das Publikum mit einer wahrhaft heldischen Interpretation seiner Rolle. Er bewährt sich, ganz der Rolle entsprechend, als Staatsmann wie Liebhaber. Bereits „Empio, dirò, tu sei“ gelingt mustergültig und auch „Se in fiorito ameno prato“ gibt Pe Gelegenheit seine Musikalität zu zeigen. Der Höhepunkt des Abends wird seine virtuose Arie «Al lampo dell‘armi». Tatjana Schneider als Cleopatra steht ihm in nichts nach und verzaubert mit ihrem verführerischen Sopran nicht nur Julius Caesar. Bei ihr ist Cleopatra nicht nur kühle Intrigantin sondern auch der einsame Mensch auf Suche nach Liebe und Wärme. „Da tempeste il legno infranto“ legt davon Zeugnis ab. Luigi Schifano gibt mit seinem herrlichen Alt einen zügellosen, gefährlich unberechenbaren und blind gewalttätigen Tolomeo. Es gelingt ihm tadellos, die wenig vorteilhaften Charakterzüge, die Händel musikalisch in rasend schnelle Arien und vertrackte Tonsprünge übersetzt hat, auf die Bühne zu bringen. Sonja Runje als Cornelia gelingt es in jeder ihrer Arien aufs Neue mit ihrem wunderbar warmen Mezzosopran ihre Trauer um ihren Gatten Pompeius geradezu beklemmend zu vermitteln, so in „Priva son d’ogni conforto“ oder „Se pietà di me non senti“. Dass sie auch das Virtuose im Griff hat, zeigt sie in „Non disperar“. Absolut glaubhaft vermittelt Jennifer Panara das hitzköpfige Rachebestreben des Sesto Pompeo, Pompeius Sohn. „L’aure che spira“ ist der Höhepunkt der ihrer Rolle von Händel zugedachten Arien. Samuli Taskinen als Achilla, Vasily Khoroshev als Nireno und David Maze als Curio ergänzen das hochkarätige Ensemble aufs Feinste.

Das Sinfonieorchester St.Gallen unter Leitung Rubén Dubrovsky zeigt, dass Barock-Opern auch mit klassischen Orchestern klanglich absolut adäquat aufzuführen sind. Das Continuo mit Cembalo und Theorbe sitz gegenüber dem restlichen Orchester deutlich erhöht und ist so angemessen klanglich bevorteilt. Das Orchester ist bestens disponiert und läuft nie Gefahr in romantischen Klang abzurutschen.

Regisseur Fabio Ceresa entführt den Zuschauer in eine Phantasiewelt, die ihm Bühnenbildner Massimo Checchetto mit den klassische Kulissen des barocken Theatres in überbordender Farbigkeit. Die Kostüme von Giuseppe Palella fügen sich nahtlos in die optische, von George Tellos perfekt ausgeleuchtete Pracht ein. Die Choreografie der Statisterie des Theaters St. Gallen hat Mattia Agatiello besorgt.

Ceresa geht in seiner Inszenierung jeglicher Psychologisierung aus dem Weg und zeigt einen, dem Barock-Theater entsprechenden „Clash of Cultures“: es treffen, alles Politische ausser Acht gelassen, die Römer, die im „Old Cataract Hotel“ in Assuan absteigen, auf die Ägypter, die in einem orientalischen Palast mit Harem residieren aufeinander und der Vorgabe des lieto fine entsprechend lösen sich in der von Händel in grosser Form (Sinfonia, Recitativo, Duetto, Recitativo, Coro) komponierten und Ceresa perfekt umgesetzten Scena ultima die Gegensätze in Harmonie auf.

Nach einem solch grossartigen Abend wird die im Kanton Bern bereits erfolgte, sonst drohende Schliessung der Schweizer Theater umso schmerzlicher empfunden. Realistisch gesehen wird aber wohl kein Weg daran vorbeiführen.

Weitere Aufführungen:

Sonntag 1. November 2020, 14:00-16:50, UM!BAU;

Montag 9. November 2020, 19:30-22:20, UM!BAU;

Sonntag 15. November 2020, 14:00-16:50, UM!BAU;

Donnerstag 26. November 2020, 19:30-22:20, UM!BAU;

Sonntag 29. November 2020, 19:00-21:50, UM!BAU;

Freitag 4. Dezember 2020,19:30-22:20, UM!BAU;

Sonntag 13. Dezember 2020,17:00-19:50, UM!BAU;

Mittwoch 30. Dezember 2020,19:30-22:20, UM!BAU.

 

25.10.2020, Jan Krobot/Zürich

 

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