Georg Friedrich Händel: Giulio Cesare in Egitto, Theater St.Gallen, Vorstellung: 01.11.2020
(2. Vorstellung seit der Premiere am 24.10.2020)
Eine weitere Lehrstunde in Sachen Barock-Oper
Die St.Galler Produktion des „Giulio Cesare in Egitto“ überzeugt auch beim zweiten Besuch auf ganzer Linie. Das Theater St.Gallen gehört zu jenen Häusern, die trotz der eidgenössischen Beschränkung auf 50 Zuschauer weiterspielen und dies mit praktisch unverändertem Spielplan.
Das Sinfonieorchester St. Gallen unter Rubén Dubrovsky brilliert schon in der Ouvertüre mit leidenschaftlichem Spiel. Besonders eindrücklich sind die markanten Hörner in der Sinfonia und dem die Scena ultima einleitenden Marsch. Prunkvoll begleiten sie Giulio Cesare bei seiner virtuosen Arie „Va tacito e nascosto“. Das Orchester ist bestens disponiert und zeigt, dass Barock-Opern und auch Händels bis dahin am reichsten instrumentierte Oper auch mit klassischen Orchestern ohne Klangeinbussen absolut adäquat gespielt werden können.
Raffaele Pe als Giulio Cesare begeistert das Publikum mit seinem grandiosen Counter-Tenor (Mezzosopran). Bereits in den ersten Arien, „Presti omai l’egizia terra“ und „Empio, dirò, tu sei, togliti“ prunkt er mit leicht metallischem Timbre, glasklaren Höhen, blitzsauberen Koloraturen und endlosem Atem. Zum Höhepunkt werden dann im zweiten Akt die beiden Arien „Se in fiorito ameno prato“ und „Al lampo dell’armi“, in denen Pe die unglaubliche Virtuosität seiner Stimme und seine enorme Musikalität voll ausspielt. Jeanine De Bique hat nach der Premiere die Rolle der Cleopatra von Tatjana Schneider übernommen. Mit einem wunderbar vollen Sopran mit prächtigen Tiefen wird „V’adoro pupille“ nicht nur zum musikalischen Höhepunkt: Mit ihrer fesselnden Bühnenpräsenz zelebriert De Bique, auf einer fahrbaren antik angehauchten Sänfte im herrlich glitzernden Kostüm genüsslich die Anbetung ihrer Perlen. Besonders intensiv gelingen ihr dann „Se pietà di me non senti“ und „Piangerò la sorte mia“. Luigi Schifano als Tolomeo – 2019 debütierte er in dieser Rolle an der Scala – ist mit seinem hellen Altus gut vom Giulio Cesare Raffaele Pes zu unterscheiden. Kraftvoll interpretiert er seine virtuosen Parade-Stücke „L’empio, sleale, indegno“ und „Domerò la tua fierezza“. Jennifer Panara geht die Partie des Sesto Pompeo mit jugendlichem Eifer an. „Svegliatevi nel core, furie d’un alma offesa“ gibt hier den Massstab vor. Sonja Runje als seine Mutter Cornelia überzeugt mit ihren Trauerarien. Es ist eindrücklich zu hören, mit welcher Vielfalt das Gefühl ausgedrückt werden kann. Ein Höhepunkt der Aufführung ist das Duett von Mutter und Sohn „Son nata a lagrimar“. Bassbariton Samuli Taskinen singt einen herrlich arrogant-selbstbewussten Achilla, der Altus Vasily Khoroshev den Nireno, dem Händel keine eigene Arie zugedacht hat. David Maze gibt mit sonorem Bass und grosser Musikalität („Tu sei il cor di questo core“) den Curio.
Die Inszenierung von Fabio Ceresa besticht durch ihre Phantasie und Farbigkeit. Die Barockoper erhebt per se keinen Anspruch auf Realität und so können die Römer hier als neuzeitliche Forschungsreisende, inspiriert von Lawrence von Arabien und Agatha Christie, im saftig grünen, im Libretto ebenfalls vorhandenen (Ur-)Wald (Bühne: Massimo Checchetto) auf die Ägypter treffen, die mit ihrem altägyptisch gewandeten Gefolge (Statisterie des Theaters St. Gallen; Kostüme allererster Güte: Giuseppe Palella) im maurischen Palast mit neuzeitlicher Bibliothek residieren. Die Personen sind bestens geführt, so dass das Geschehen nie übertrieben wirkt.
So geht Barockoper!
Weitere Aufführungen: https://www.theatersg.ch/de/programm/giulio-cesare-in-egitto/1772#event-detail-termine-tickets.
01.11.2020, Jan Krobot/Zürich