Paul Burkhard: Casanova in der Schweiz, TOBS, Stadttheater Solothurn, Premiere: 30.10.2020
Ein Juwel ist auferstanden!
„Der ungewöhnlich starke Theaterbesuch in diesen Kriegszeiten erscheint wie eine Flucht der Menschen aus den ungeheuerlichen Gegenwartsereignissen in eine höhere Welt, in eine Welt des Scheins, aus der das edlere Empfinden noch nicht verbannt ist, in welcher der Mensch und das Menschenlehen noch etwas gelten.“
Mit diesen Worten beginnt die Rückschau des Jahrbuchs 1943/1944 auf die Spielzeit 1942/1943. Von den Kriegszeiten abgesehen, passen die Formulierungen auch auf die Pandemie unserer Zeit. Und so ist es Theater Orchester Biel Solothurn und seinem Intendanten Dieter Kaegi hoch anzurechnen, dass die Premiere der Ausgrabung „Casanova in der Schweiz“ trotz der Einschränkungen von Bund (auf 50 Teilnehmer) und Kanton Solothurn (auf 30 Teilnehmer) stattfinden konnte. Dreissig ausgewählte Gäste und zwei Vertreter der Presse (die für die Limite nicht zählen) kamen in den Genuss der Vorstellung im intimen Stadttheater von Solothurn.
„Casanova in der Schweiz“ wurde am 20. Februar 1943 am Stadttheater (heute: Opernhaus) Zürich uraufgeführt und war neben „Jeanne d’Arc au bûcher“ von Arthur Honegger (szenische Uraufführung), „Der Zauberinsel“ von Heinrich Sutermeister und „Schloss Dürande“ von Othmar Schoeck eines der Werke Schweizer Komponisten, die in der Spielzeit 1942/1943 am Stadttheater Zürich gezeigt wurden.
Paul Burkhard (1911-1977) hatte seinen ersten grossen Erfolg mit „Hopsa“ am Stadttheater Zürich. Am 1. April 1939 fand dann am Schauspielhaus Zürich die Uraufführung von „Der Schwarze Hecht“ statt. Der Schlager „O mein Papa“ wurde zu seinem grössten Hit. Seit 1939 Musikalischer Leiter und Komponist am Schauspielhaus Zürich, will Burkhard nicht auf Unterhaltungsmusik reduziert werden und so in die Geschichte eingehen. „Ein schwerer Weg steht mir bevor, ich muss zu einem Stil kommen, der grosse Volkstümlichkeit mit bester Kunstarbeit vereint.“ In dieser Zeit entstand in Zusammenarbeit mit Richard Schweizer, der Vizedirektor und Verwaltungsrat des Zürcher Schauspielhauses und Drehbuchautor fast aller Schlüsselfilme der geistigen Landesverteidigung und des Praesens-Humanismus während des Zweiten Weltkriegs.
Obwohl von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen, kam es nur zu wenige Folgeaufführungen von „Casanova in der Schweiz“. Nach einem Beschwerdebrief der beiden Autoren kam es zu einer Aussprache mit Karl Schmid-Bloss, Direktor des Stadttheater Zürichs, die dem Werk aber nicht mehr zum Erfolg verhelfen konnte. Lag der Grund der Unstimmigkeiten in den politischen Ansichten von Schweizer (geistige Landesverteidigung) und Schmid-Bloss (angeblichen Sympathie für das Dritte Reich)?
„Casanova in der Schweiz“ bietet nicht die Musik, die man angesichts von „Der schwarze Hecht“/„Das Feuerwerk“, „Kleine Niederdorferoper“ und „D Zäller Wiehnacht“ zu erwarten geneigt ist. Über weite Strecken erinnert die Musik an den späten Puccini und Richard Strauss (Rosenkavalier) mit einigen punktuellen Ausflügen in die leichte Unterhaltung.
Die Handlung des Konversationsstücks ist relativ einfach: Nach seiner Flucht in die Schweiz, wird Casanova von „drei Matronen und einer Schönheit“ davon abgehalten ins Kloster Einsiedeln einzutreten. Der Schönheit folgt Casanova nach Solothurn und nachdem er dort wieder in Verwicklungen geraten ist, flieht er weiter nach Genf, wo er eine weitere Eroberung zurücklassen muss.
Foto: Suzanne Schwiertz
Die Inszenierung von Georg Rootering überzeugt vor allem dadurch, dass sie dem Stück Raum gibt zu wirken. Diese unaufgeregte Werkdienlichkeit ist gerade bei einer Ausgrabung nicht hoch genug einzuschätzen. Bühnenbildner Vazul Matusz hat Rootering zu seiner Inszenierung ein Einheitsbühnenbild geschaffen, das mit zwei verschiebbaren, aufgehängten Wänden und Videoprojektionen vielfältig anpassbar ist. Die höchst ästhetischen, prachtvollen Kostüme hat Rudolf Jost entworfen.
Foto: Suzanne Schwiertz
Die Pandemie hatte, wie nicht anders zu erwarten, auch Auswirkungen auf diese Produktion. In den letzten vier Wochen, so Intendant Kaegi in seiner Ansage, gab es nicht eine Probe, wo die Sänger vollständig versammelt waren. Am Abend vor der Premiere kam dann die Nachricht, dass das Ensemble zur Premiere vollzählig sein werde. Am Morgen des Premierentages fiel dann aber Judith Lüpold, die Interpretin der Madame Latente aus.
Die Beurteilung der sängerischen Leistungen ist also nur eingeschränkt möglich. Simon Schnorr ist als Casanova praktisch immer auf der Bühne und erfüllt die Rolle mit prächtigem Bariton und grosser Bühnenpräsenz mit prallem Leben. Konstantin Nazlamov als sein Diener Leduc ist sein treuer Begleiter. Bei grosser Bühnenpräsenz hat die Stimme doch wiederholt an Tragfähigkeit zu wünschen lassen. Die vier Damen, die Casanova vom Kloster abhalten, sind Rebekka Maeder als Madame de ***, Josy Santos als Glutz und Céline Steudler, immer hart an der Grenze zum Schrillen, als Die Dubois. Da für eine Rolle eines Werks, das vermutlich 1948 das letzte Mal gespielt wurde, nicht einfach Ersatz zu finden ist, hat, soweit möglich, Josy Santos die Rolle der Madame Latente zusätzlich übernommen. Wolf Latzel gab Monsieur de ***, Horst Lamnek mit stimmgewaltigem Bassbariton den Botschafter Chavigny und den Fürstabt von Einsiedeln und Martin Mairinger den Haushofmeister Lebel. Chelsea Zurflüh, Nuno Santos und Tereza Kotlanova, alle Studierende des Schweizer Opernstudios an der Hochschule der Künste Bern, als Binz, Ein Kellner / Lakai und Eine Servante / Wirtin ergänzen das Ensemble.
Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Leitung von Francis Benichou bringt die Musik, deren Einstudierung, so Benichou, quasi einer Uraufführung gleichkam, prächtig zum Klingen.
HINGEHEN UND GENIESSEN: EIN JUWEL IST AUFERSTANDEN!
Weitere Aufführungen: https://www.tobs.ch/de/musiktheater/stuecke/stueck/prod/526/.
30.10.2020, Jan Krobot/Zürich