Foto: Theater Augsburg
Opernreise nach Schweinfurt
Das Theater Augsburg gastierte an vier Abenden mit „La forza del destino“
Besuchte Aufführung am 28.04.2018
Flixbus macht’s möglich: für sage und schreibe 18 € im Oberdeck – vorderster Platz mit Panorama-Rundblick – durch die Öde von Brandenburg und Sachsen, dann aber durch die landschaftlichen Schönheiten von Thüringen, der Rhön und Franken zu fahren, ist ein Erlebnis der Sonderklasse und darf getrost als eine touristische Attraktion gutgeschrieben werden. Mit besserer Laune kann man zu keiner Vorstellung kommen…
Schweinfurt hat kein eigenes Ensemble, es ist nur ein „Bespiel“-Theater, allerdings eines mit nicht nur einer großen Bühne, sondern auch einem großen und hohen Zuschauerraum, in dem sich Klang entfalten kann und Atmosphäre fast zwangsläufig herstellt. Die Leitung des Hauses „kauft“ nur Aufführungen ein, von denen sie meint, dass es für die Besucher das Richtige ist. Das sorgt nicht nur für Vielfalt, sondern auch für Abwechslung. Da es keine „eigenen“ Künstler gibt, kann man sich einen großen Überblick über das Operngeschehen verschaffen ohne gezwungen zu sein, Prioritäten zu setzen. (In der laufenden – 51.! – Spielzeit gab es im Bereich Oper noch „Hoffmanns Erzählungen“ aus Prag / Liberec, den „Barbier von Sevilla“ und „Farinelli – Divo Assoluto“ aus der Kammeroper München sowie im Mai „Zar und Zimmermann“ aus Detmold; die Bamberger Symphoniker geben seit Jahren regelmäßige Sinfoniekonzerte in eben diesem Haus.)
Zum ersten Male gastierte das Theater Augsburg in Schweinfurt – und mit großem Erfolg, wie man gleich mal grundsätzlich anmerken darf, selbst die „Presse vor Ort“ (MAIN-POST vom 25.04.2018) konstatierte, dass das Publikum „am Ende dennoch lang anhaltenden Applaus“ spendete. Warum dennoch? Weil „ein bisschen Ratlosigkeit“ bezüglich der Inszenierung herrschte… Soweit, so gut. Die Presse bezieht sich auf die erste Vorstellung am 24.04., ich besuchte die letzte, am 28.04. und wurde – a u c h ein bisschen ratlos, weil ich die Premiere in Augsburg erlebt und in bester Erinnerung behalten hatte. (Bericht im online-MERKER vom 24.03.2018 bzw. in Heft 4/2018, S. 71/72)
Und um gleich mit dem Grund meiner Reise zu beginnen: ich wollte diese Aufführung einmal in einem „richtigen“ Theater hören, mit einer Akustik, die nichts wegschluckt, sondern die, wie eben normalerweise in jedem für Oper geeigneten Theater t r ä g t : und aus diesem Grunde hat sich der Besuch in Schweinfurt gelohnt und bewiesen, dass zum Theater eben in erster Linie ein Haus, ein „Raum“ gehört, in dem Musik nicht nur schwingt und klingt, sondern sich eben auch entsprechend entfalten kann. Das war in Schweinfurt zu erleben: ein Orchester, die Augsburger Philharmoniker, das als Klangkörper souverän und unaufdringlich den Rahmen für eine große Oper bietet, sicher und temperamentvoll geleitet vom GMD Domonkos Héja; eine Leonora (Sally du Randt), deren großartige stimmlichen Mittel in jeder dynamischen Schattierung in voller Blüte erstrahlen konnten, deren einzigartigen pianissimo-Ansätze von Beginn an trugen und sich zu raumgreifenden, aber runden und höchst kultiviertem Fortissimo entfalteten – so, wie es sein muss; eine einzigartige Leistung. Auch die Qualität des Guardian (Stanislav Sergeev), dessen profunder Bass sich als wohltönend und raumgreifend erwies, muss besonders hervorgehoben werden. Das waren die großen positiven Eindrücke – für mich freilich nicht überraschend, denn beide trugen bereits in Augsburg die wesentlichen gesanglichen Vorzüge zur damals sehr erfolgreichen Premiere bei.
Die Inszenierung von André Bücker funktionierte in Augsburg besser, der dort sehr beschränkte Raum (im Ausweichquartier „Martini-Park“), für den sie letztlich erarbeitet war, erwies sich als Vorteil für Bückers Konzept, dies alles als Alptraum der Leonora stattfinden zu lassen – da ist eben alles möglich, auch – oder weil es sich in einem beengten Raum auf verblüffende Weise verdichtete.- Auf eine „richtige Bühne“ (mit Raum-Tiefe!) übertragen, funktionierte das nicht zwangsläufig. Von gelegentlichen Beleuchtungspatzern ebenso abgesehen, wie von einigen Ungereimtheiten bei der Bedienung der Zwischenvorhänge (die für die Inszenierungsabsicht existentiell sind!), funktionierte der „beengte“ Raum nicht, in dem sich das alles abspielte, plötzlich ergab sich Größe und Weite, die zu bedienen die Inszenierung nicht vorsah. Besonders im Bereich der beiden Kontrahenten Carlos und Alvaro gab es räumliche Improvisationen, die weder erfühlt noch in irgendeiner Weise gefüllt waren. Ebenso wenig konnte der Chor den größeren Raum im Sinne der Inszenierungsidee nutzen, er hatte nur „mehr Platz“, was in diesem Falle kein Vorteil war. Allzu deutlich traten Defizite, die man in Augsburg nicht besonders bemerkte, zu Tage: die Hilflosigkeit der Bewegungen bei der Tarantella z. B. fielen besonders negativ ins Gewicht, und in der Szene mit Melitone im letzten Bild klaffte gähnende szenische Leere; hier blieb vieles nur Staffage und man konnte durchaus verstehen, dass die Zuschauer nicht erkennen konnten, wie es gemeint war. Das war schade und tat der ursprünglich dichten und überzeugenden Aufführung keinen Gefallen.
Inwieweit mit dem Gast-Carlos (Mikolaj Zalasinski) probiert worden war, vermag ich nicht zu beurteilen, jedenfalls möchte ich ihm eine große und gesunde Stimme bescheinigen, auch schlug er sich szenisch unter den gegebenen Umständen tapfer; dass Leonardo Gramegna (Alvaro) an stimmliche Grenzen stößt, schrieb ich schon nach der Augsburger Premiere – diesmal traten die Grenzen noch hörbarer in Erscheinung! Und wenn ich Rita Kapfhammer als Preziosilla damals wohltuend als routiniert beurteilte, muss ich nach dem erneuten Eindruck sagen: so oberflächlich kann man sich dieser Aufgabe stimmlich nicht entledigen, wie sie es an diesem Abend tat. Da bleibt viel Luft nach oben, was nichts mit der Inszenierung oder dem Gastspielort zu tun hat! Ungeachtet dieser Einwände war es ein großer, besonders im Musikalischen überzeugender Abend, an dem neben den bereits Erwähnten auch der stimmlich potente Opernchor sowie Tobias Pfülb in seiner Doppelrolle als Marchese und Melitone und Thaisen Rusch als Mastro Trabco neben den Chorsolisten in den kleinen Partien ihren Anteil hatten. In meiner Besprechung der Premiere schloss ich mit dem Satz: „Das gesamte Ensemble strahlte eine Spielfreude aus, die auf das Publikum übersprang“ – diesen Satz vermag ich nach dem in Schweinfurt erlebten Abend allerdings nicht zu wiederholen!
Fazit: die Bühne und der Theaterraum sind existentiell – zumindest für die Oper. Und weil Augsburg als Opernensemble große Anerkennung verdient, muss man dieses Gastspiel zum Anlass nehmen, auf die Unzumutbarkeit der Augsburger Situation hinzuweisen. Das „Große Haus“ steht nun schon zwei Spielzeiten ungenutzt in der Gegend. Alle Zwischenstationen, die das Ensemble zu „bespielen“ hatte, waren Notlösungen. Das kann so nicht bleiben, schon gar nicht bis zum Jahr 2025 (wie man neuerdings lesen kann)! Augsburg hat einen Ruf zu verlieren, es muss schneller gehen mit der Sanierung, Zeit ist nicht nur Geld, Zeit ist auch sehr schnell vergänglich. Die Entwicklung zum „Staatstheater“, die der neue bayerische Ministerpräsident Söder sehr lobenswert in die Diskussion geworfen hat, gibt der Sache neuen und zusätzlichen Aufwind – zu Recht! Es muss endlich etwas passieren, damit es vorwärts geht in Augsburg. Statements helfen nicht, Taten sind gefordert. Dieses Ensemble mit seinem unglaublichen Potential braucht endlich wieder eine Spielstätte, die den Namen verdient. Ruhm ist sehr schnell vergänglich, Herr Oberbürgermeister!
Werner P. Seiferth