Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

SAVONLINNA/Finnland: KULLERVO von Aulis Sallinen

05.07.2014 | KRITIKEN, Oper

Savonlinna / Finnland – Sallinen: Kullervo (4.7.2014)

Mit AULIS SALLINENs  zwischen 1986 und 1988 komponierter Oper ”Kullervo” hätte die neu erbaute Finnische Nationaloper in Helsinki Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts eröffnet werden sollen, aber da sich der Bau verzögert hatte, kam es am 25.2.1992 zur Uraufführung in Los Angeles. Die finnische Erstaufführung in Helsinki fand dann erst 1 ½ Jahre später statt.

 Viele Werke Sallinens wurden beim Opernfestival von Savonlinna aufgeführt, aber bisher noch nicht „Kullervo“. So war es eine gute Idee, die Amtszeit des neuen Leitungsteams (der international bekannte Tenor Jorma Silvasti als Künstlerischer Leiter sowie Jan Strandholm als Generaldirektor) programmatisch mit einem Werk des neben Einojuhani Rautavaara renommiertesten zeitgenössischen finnischen Komponisten zu beginnen. Diese Wahl hatte den positiven Nebeneffekt, zu der früher praktizierten Linie zurückzukehren, finnische Künstler präsentieren zu können, und dies nicht nur in Nebenrollen.

 Dass die Premiere am 4.7. dann nicht, wie eigentlich vorgesehen, pünktlich beginnen konnte, war allerdings Pech. Ein lautes Geräusch, verbunden mit Verdunkelung der Bühne, ließ den an „Ideen“ von Regisseuren gewohnten Zuschauer anfangs vermuten, dies sei schon ein Teil der Inszenierung, doch dem war leider nicht so. Ein Kurzschluss hatte die per Computer gesteuerte Beleuchtungsanlage außer Gefecht gesetzt, wovon leider auch die Ûbertitelung betroffen war. Doch die finnischen Zuschauer bewiesen wieder einmal, dass sie das geduldigste Publikum der Welt sind. An permanent verspätetem Beginn der von Valery Gergiev geleiteten Konzerte beim Nachbar-Festival in Mikkeli gewöhnt, konnte es auch eine über 80minütige Verspätung nicht erschüttern. Man ging dann halt an die Bar und versuchte sich, für das tragisch-dramatische, eigentlich unergötzliche „Kullervo“ zu stärken.

 Der Ausfall der Ûbertitelanlage im 1. Akt beeinträchtigte das Verständnis dieses schwierigen Werks stark. Kein Vorwurf an das Savonlinna-Team! Aber Sallinens Orchestrierung ist in den dramatischen Momenten derart dick, dass die so wichtige Textverständlichkeit gegen Null ging, abgesehen von der bedauerlichen Tatsache, dass so manche Stimme im Orchesterklang „baden“ ging. Dies ist nicht dem hervorragenden Dirigenten HANNU LINTU anzulasten, der die Mitwirkenden, schlagtechnisch ungemein präzise, durch die Partitur führte. Kompliment an das großartige Orchester; den fantastischen, in dieser Oper wie in der griechischen Tragödie geführten Chor (Einstudierung MATTI HYÖKKI) zu preisen, hieße „Muikkus nach Savo tragen“ (Pardon für diesen „Joke“ für Finnlandkenner!). Weltklasse!!!

 Sallinens „Kullervo“ basiert auf dem finnischen Nationalepos Kalevala und ist eine freie Bearbeitung des alten Sagen- und Mythenstoffes von Bruderzwist, Sippenhaftung und Vergeltung. In dem einfach gehaltenen Bühnenbild ANTTI MATTILAs (vier Hausrahmen vor einem die ganze Bühnenbreite umfassenden Holzzaun) siedelte Regisseur KARI HEISKANEN die Handlung nicht in einer bestimmten Zeit an, vor allem, er modernisierte sie nicht und verdeutlichte so die immerwährende Gültigkeit dieses von Gewalt handelnden Stoffes. Die Führung der Personen verriet die Handschrift des bewährten Theater- und Opernregisseurs und ließ letztendlich meine Erinnerungen an seine (von mir als schrecklich empfundene) „CavPag“-Inszenierung 1997 in Savonlinna verblassen.

 Es war gelungen, ein ganz hervorragendes, zudem homogenes Solistenensemble zu verpflichten. In der Titelpartie hat TOMMI HAKALA die Rolle seines Lebens gefunden. Hatte ich in der Vergangenheit bei Belcantopartien die relative Sprödigkeit, den mangelnden Schmelz seines Materials bemängelt, so stimmte bei seinem Kullervo alles: Klangfarbe, Stimmvolumen, Ausdruck und Spiel gingen eine Einheit ein, die dem bei dieser Premiere anwesenden Uraufführungs-Kullervo, dem großen finnischen Bariton Jorma Hynninen, nahe kam. Die Rolle von Kullervos Jugendfreund Kimmo, bei der Welt-Premiere von einem Tenor (Jorma Silvasti) gesungen, war nun einem Bariton, dem jungen VILLE RUSANEN, anvertraut, der markiger, markanter als der weicher timbrierte Silvasti klang und eine ergreifende Leistung in Gesang und Darstellung in Erinnerung bleiben ließ. Die Rolle des blinden Sängers, laut Text eine Männerrolle, wurde nun von einer Frau gesungen, und dies ganz hervorragend. MARIA YLIPÄÄs jazzartiger Song, natürlich Mikrofon verstärkt, war einer der Höhepunkte der Aufführung. Ergreifend TUIJA KNIHTILÄ als Kullervos Mutter, wie auch das übrige Ensemble von einer Güte war, die den Reichtum an guten Stimmen in Finnland (und Estland, der Este KOIT SOASEPP als mit nacht-schwarzem Material gesegneter Tiara) dokumentierte. Es war gut, vielen in der jüngsten Vergangenheit vernachlässigten Kräften wie z. B. PETRI LINDROOS (Kullervos Vater), AKI ALAMIKKOTERVO (Jäger) und JUHA KOTILAINEN (Unto) wieder auf der Bühne der Burg Olavinlinna zu begegnen.

Die Anwesenheit vieler großer Künstler der finnischen Musikszene (neben dem Komponisten die Dirigenten Leif Segerstam und Okko Kamu sowie die Basslegende Matti Salminen) verrieten die Bedeutung dieser Aufführung, die bedingt durch den verspäteten Beginn erst um 23.30 Uhr endete. Möge das Pech mit der Technikpanne ein gutes Omen für eine erfolgreiche Amtszeit des neuen Teams sein! Lediglich eine (winzige) kritische Anmerkung möchte ich nicht unterlassen: Welcher Barbar ist auf die Idee gekommen, nach dem ergreifenden Schluss der Oper das Publikum beim Verlassen des Zuschauerraums mit Tanzmusik zu berieseln?

 Sune Manninen

 

Diese Seite drucken