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Salzburger Festspiele 2018 P.I.Tschaikowski PIQUE DAME

23.08.2018 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Ensemble in der Schlussszene mit Brandon Jovanovich (FotoC Ruth Waltz)

Salzburger Festspiele 2018
Großes Festspielhaus

Peter Iljitsch Tschaikowski  PIQUE DAME

5.Aufführung in der Inszenierung von Hans Neuenfels
Mittwoch 22. August 2018

I.
Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker sorgen erwartungsgemäß für eine packende orchestrale Wiedergabe von Tschaikowskis Partitur. Um Hans Neuenfels’ Können als Altmeister des »Regie-Theaters« weiß man, es wird mit altersmilder Solidität dargeboten und kann und will wahrscheinlich auch keine Entrüstungsstürme mehr auslösen. Das Publikum stimmt mit den Füßen ab und die Ersten beginnen den Saal des Hauses nach dem ersten Fallen des Vorhanges zu verlassen.
Große Erfolge sehen anders aus.

II.
Hans Neuenfels tat, was er in seinen Operninszenierungen immer schon gerne getan hat: Er misstraut zu sehr der Musik und verortet die Produktion in ein Irgendwann und ein Irgendwo.

Christian Schmidts Bühnenbild stellt eine in neutraler Art Deco-Manier gestaltete Halle vor, mit grauen quadratischen Füllungen an den Wänden und jeweils einer hohen Tür an beiden Seiten. In der Szene in Lisas Schlafzimmer ist der Hintergrund  teilweise mit einem Sternenhimmel gestaltet. Der Szenenaufbau für das Schäferspiel wird auf die Bühne gefahren. Im vorletzten Bild werden die Wandfüllungen leuchten, in anderen Szenen historische Gebäudefronten per Video zugespielt. Und im Spielsalon wird das Gesicht der Gräfin auf die Wandfüllungen projiziert.

Schmidt setzt mehrere Laufbänder ein, etwa um die fürstliche Tafel im Palais der Jelezkis oder den Spieltisch im ersten und letzten Akt bei offener Verwandlung oder aber die gesamte Chormannschaft auf die Bühne zu befördern. Diese Laufbänder erweisen sich als das Lieblingsspielzeug der Regie.

Lediglich die Szene zwischen der Gräfin und Hermann spielt, im Gegensatz zum Dunkel der anderen Räume, in einem völlig weißen Raum, nicht unähnlich einem Spitalszimmer: mit entsprechendem Bett, weißem Holzstuhl, und einem ebenfalls weißem Paravent. Der Regisseur erklärt seine Wahl im Programmheft mit dem Umstand, dass dies der Höhepunkt der Oper sei, es sei das »realistischste« Bild. Tatsächlich gelingt ihm hier die packendste Szene des Abends.

III.
Reinhard von der Thannen verpasst den Chören uniformähnliche Kostüme. Die aufgenähten aber in ihrer Auffälligkeit zu plakativen Brüste für die Gouvernanten der spielenden Kinder (sehr gut von Wolfgang Götz einstudiert: der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor) wären wohl entbehrlich gewesen. Die Käfige und die Geschirre, sollen die aus jenen entlassenen Kinder im Zaum halten.

Brandon Jovanovich läuft als Hermann den ganzen Abend über in roter, mit Gold besetzter, stets offener Uniformjacke umher. Welchen Konventionen misstraut hier Neuenfels?

Mit der Herrschaft der Zarin Katharina und den Erinnerungen der Gräfin an das damalige Versailles sind Zeit und Ort festgelegt. Und damit sind es auch die Konventionen, gegen welche es zu verstoßen gilt. Sie aufzuheben verändert die Sicht auf Haltung und Handlung der Personen. Das ehemalige enfant terrible unter den Regisseuren scheint müde geworden. Und etwas kraftlos.

Lisas Freundinnen tänzeln zum russischen Volkstanz in schwarzen Hosenanzügen und Kleidern im Stile europäischer Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts. Oksana Volkova als Polina trägt dafür unter ihrem Umhang Shorts, weiße Bluse und schwarzes Jacket, wie frisch einem heutigen Modeheft entstiegen… ob sie so besser singt?  

 

»Pique Dame«, 2. Akt: Brandon Jovanovich (Hermann) und Evgenia Muraveva (Lisa) Foto: C M.Rittershaus

IV.
Wenn die Darstellung der Zarin Katharina der Großen als Skelett im Reifrock und mit glitzerndem Swarofsky-Kopfschmuck jemandem im Saal zu Widerspruch hätte reizen sollen; wenn die Polonaise und die Huldigung einer als ebenso morbid gezeigten Gesellschaft den Anwesenden einen Spiegel vorhalten sollte; — dann verpufften diese Ideen eines Altmeisters total.

In der Gräfin der Hanna Schwarz, angetan mit grünem Hängekleidchen, rosa Strümpfen und roter Perücke, unter der in ihrem Schlafzimmer eine Glatze zum Vorschein kommt, kann wohl niemand im Publikum sein Spiegelbild erblicken. Und schon gar nichts Gräfliches. Sie sah in ihrem Outfit eher aus wie Elfriede Ott bei einem Auftritt im Gloria-Theater. Auch diese Provokation bleibt daher ohne Resonanz. Das Publikum ist ebenso müde geworden wie der Guru des klassischen „Regie-Theaters“

V.
Vladislav Sulimsky, angetan mit Zottelpelz über seinem Anzug, gibt einen überzeugenden Graf Tomski. Seine Erzählung »Odnazhdï v Versalye« enthüllt Hermann ja erst das Geheimnis der Gräfin, setzt die Reihe der Ereignisse in Gang.

»Pique Dame«, 2. Akt: Hanna Schwarz (Gräfin) und Brandon Jovanovich (Hermann) Foto:C M.Rittershaus

VI.
Hanna Schwarz hinterlässt als Gräfin den stärksten Eindruck. Wie sie im Zustand des Halbschlafes mit tonloser Stimme »Je crains de lui parler la nuit« gibt, ist zweifelsohne der Höhepunkt des Abends. Wie die vielleicht etwas zu jung in dieser Rolle wirkende Künstlerin das Drängen von Lisas Liebhaber, ihm das Geheimnis der drei Karten zu verraten, zu einer Liebeszene  wandelt, ehe sie tot auf ihrem Stuhl zusammensinkt: Da ereignet sich für Momente in seiner ganzen Zartheit und Sinnlichkeit eine ungemein berührende Darstellung einer erotischen Annäherung.

VII.
Igor Golovatenko sang »Ya vas lyublyu« als überzeugende Liebeserklärung mit feinem Legato. Schade, daß Neuenfels, derGesangskunst Golovatenkos wahrscheinlich misstrauend, Lisa ihre kinderreiche Zukunft an der Seite dieses Offiziers durch Anreicherung der Szene mit dem zu erwartenden Nachwuchs vorführte und damit die intime Liebesbotschaft des Verlobten störte.

VIII.
Evgenia Muraveva, vermochte durch ihre Hilflosigkeit, ihre Scheu zu fesseln. Eine gesanglich ungemein empathische Leistung, bei welcher der letzte stimmliche Nachdruck noch zu vermissen war. Und Brandon Jovanovich zeichnet den Hermann von Anfang an als einen Zerrissenen und Leidenden, ist den ganzen Abend hindurch schauspielerisch und gesanglich dergestalt überpräsent, dass es ihn jenseits aller belkantesken Möglichketen der Rollengestaltung zu einer selbstvergessen wirkenden Raserei treibt. Doch im Finale kann er mit einem sehr schön gestalteten  »Shto nasha zhizn? Igra!« beeindrucken. Insgesamt eine überzeugende, weil mitreißende Leistung.

»Pique Dame«, 3. Akt: Vladislav Sulimsky (Graf Tomski/Plutus), Stanislav Trofimov (Surin), Alexander Kravetz (Tschekalinski), Igor Golovatenko (Fürst Jelezki), Gleb Peryazev (Narumow), Pavel Petrov (Tschaplizki), Brandon Jovanovich (Hermann, Tod auf dem Spieltisch) und die Konzertvereinigung Wiener Staatsoper  Foto:C Ruth Waltz

IX.
Mariss Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker: Man fühlt sich umarmt von Tschaikowskis Partitur, die der Dirigent vom alten Russland erzählen lässt, vor allem in den instrumentalen Stellen sowie jenen mit der sehr gut studierten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger)

X.
Zehn Minuten Schlussapplaus, der jedoch nur beim Erscheinen des Dirigenten festspielwürdige Jubeltöne hören lässt.

Peter Skorepa
OnlineMERKER

PS.: Der inhaltliche Aufbau gegenständlicher Kritik ist einer bereits erschienenen Kritik der Premiere im OnlineMERKER von „Der Merker“ zu Vergleichszwecken und daher mit Absicht nachempfunden. Ein Versuch.

 

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