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SALZBURG: JONNY SPIELT AUF

13.12.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Salzburg / Landestheater: JONNY SPIELT AUF am 13.12. 2013(Werner Häußner)

 Der Berg ruft. Ein Gletscher ist der Lieblingsaufenthalt des Komponisten Max. Dort erhofft er sich Ruhe vor der wimmelnden Masse der Menschen, Form und Festigkeit, Verlässlichkeit, Heilung für die enttäuschte Seele. Doch der Gletscher weist ihn zurück: Es gibt kein „Auflösen in die Unendlichkeit“. Vielstimmig fordert das Eis: „Fülle den Raum aus, der dir gegeben.“

In diesem Schlüsselmoment im zweiten Teil streift Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ das symbolistische Drama. In einer Zeit, in der die Übernatur längst zur Psychologie dekonstruiert war, in der Gott ein Märchen der Vergangenheit und die Metaphysik eine überlebte Schnurre der Physik geworden war, musste das Naturbild des Gletschers herhalten: als Über-Ich oder als dem individuellen Zugriff enthobene Stimme der Natur. Kreneks Oper von 1927 – damals ein ungeheuerer Publikumserfolg – war auf der Höhe der Zeit.

„Jonny spielt auf“ ist weit mehr als das Paradebeispiel für die Gattung der „Zeitoper“. Die Begegnung von Max und Anita, der „vom Weg abgekommenen“ Sängerin könnte als Künstlerdrama gelesen werden: der introvertierte, schöpferische Mensch, die extrovertierte, dem Augenblick ausgelieferte nachschöpfende Künstlerin. Die Titelfigur, der schwarze Jonny, ist kein Jazz-Musiker. Er ist eher der Star einer Tanzkapelle, wie sie damals in Hotels üblich waren. Und gleichzeitig ein Mensch einer neuen Ära: wendig, findig, durchtrieben, am Puls der Zeit. Heimat ist für ihn ein Verlustgefühl, eine wehmütige Erinnerung. Eine neue Welt besingt er in einer grandiosen Hymne. Sie wird von Europa Besitz ergreifen. Eine Vision, die sich ein paar Jahre nach der Uraufführung gespenstisch anders erfüllt, als es Kreneks Oper imaginiert hat.

Mit solchen Bezügen zwischen Damals und Heute zu jonglieren, ist für einen Regisseur eine Herausforderung. Andreas Gergen hat sie in der neuen Salzburger Inszenierung von Kreneks einstiger Erfolgsoper nur zum Teil gemeistert. Das lag wohl auch an der zur Sparsamkeit verdammten Bühne von Court Watson, die mit ein paar reduzierten Versatzstücken – ein weißer Vorhang, eine Brücke mit Gangway, ein überdimensionales Blatt Notenpapier, ein paar Türen – eine vielfältige Szenerie andeuten musste: von der weißen Unnahbarkeit eines hochalpinen Gletschers bis zur Bahnsteigkante eines Großstadtbahnhofs.

Dennoch gelingen in dem hektischen Wechsel der Schauplätze eine Reihe von Bildern: Die eröffnenden Begegnung von Max und Anita auf einem Steg in eisblau-kaltem Licht, die Hotelhalle mit der in der Tiefe platzierten Kapelle (Das Mozarteumorchester spielt auf der Hinterbühne). Für den vorbeidonnernden Zug, der den Geiger Daniello überrollt, hat Watson eine – aus der Perspektive des Parketts – überzeugende Lösung gefunden. Auch die eleganten Kostüme von Regina Schill im Stil der zwanziger Jahre passen.

Die Salzburger Inszenierung versucht, die Balance zwischen durchaus angebrachter, operettenhafter Unmittelbarkeit und symbolhafter Distanzierung zu halten. Das misslingt in der Szene auf dem Gletscher im zweiten Teil, weil dem Bühnenbildner nichts anderes eingefallen ist als farbiges, kitschaffines Licht. Und es misslingt, wenn statt konsequenter Reduktion dann doch versucht wird, eine Szene wie den Skilift am Berg illustrativ zu vergegenwärtigen. Die Lacher aus dem Publikum über die Laubsäge-Liftbänke und die pantomimisch sich verrenkenden Skifahrer sind ein deutliches Zeichen.

Gergen schafft es auch nicht, alle seine Protagonisten zu aktivieren. Im Falle des Max ist das ein ernstes Problem für die Inszenierung: Franz Supper singt die schwere Partie zwar mit einer robusten, gut sitzenden, wenn auch stets gleichförmig gefärbten Stimme. Aber als Darsteller verströmt er die Aura eines mittleren Bankbeamten mit Fönfrisur. Von den inneren Kämpfen des Künstlers, dem Zerbrechen eines Lebenskonzepts, dem Verlust innerer Sicherheit ist wenig zu spüren. Das ist umso auffälliger, als die Anita von Christiane Boesiger ihre Rolle als mondäne Sängerin bis in die Nuancen auch der stimmlichen Gestik hinein ausfüllt: eine Frau, die sich im modernen Lebensgefühl eingerichtet hat und die dennoch in ihrem Leben nach einem Anker sucht und in einer verlässlichen Liebe finden will.

Jonny, der schwarze „Jazzband“-Geiger steht für das farbige, pulsierende Leben, das sich in der Gegenwart erschöpft. Eine ambivalente Figur: Nathan De’Shon Myers zeigt ihre „realistischen“ Seiten – nämlich die eines wendigen Über-Lebens-Künstlers, der bei den Frauen oder im Geschäft sofort seine Chancen wittert und rücksichtslos verfolgt. Aber auch den überhöhenden Aspekt der Symbolfigur, als die er im Spot auf stockdunkler Bühne das Stück eröffnet: Jonny verkörpert die „neue Zeit“, nicht nur die „neue Welt“, die Europas alte Kultur – die gestohlene Geige steht dafür – erbt und sich durch Tanz(musik) aneignet.

Aussagekräftig ist der Moment, in dem die Oper ins Surreale kippt und das Neue anbricht durch einen fiebrigen Tanz auf dem Bahnsteig. Gergen und Watson zeigen in diesem Moment die Uhr, die Fünf vor Zwölf zeigt – ein Zitat aus der legendären Leipziger Uraufführung. Das moritatenhafte Ensemble am Schluss erinnert an das „Don Giovanni“-Sextett; es überhöht die Handlung ins Gleichnishafte.

Der Regisseur deutet auch an, wohin die „neue Zeit“ führen wird, die 1927 noch einer guten Portion Zuversicht besungen werden konnte: Dem Stubenmädchen Yvonne – szenisch wie stimmlich überaus reizend: Laura Nicorescu – hängt ein junger Nazi das berüchtigte Plakat mit dem affenartigen, Saxophon blasenden Neger um: Er denunziert Yvonne als Hure der „Entarteten Musik“, die in der gleichnamigen Ausstellung, für die das Motiv geworben hat, gebrandmarkt wurde. Simon Schnorr verkörpert als Daniello mit markantem Bariton den Künstlertyp, der sich mit virtuoser Selbstdarstellung angenehm durchs Leben laviert. Alexey Birkus repräsentiert als Künstleragent die Gier des Kulturbetriebs: Das Engagement der Sängerin Anita in Amerika ist Millionen wert; was zählt da schon eine romantische Liebe.

Mit Adrian Kelly am Pult gibt das Mozarteumorchester hinter der Szene eine Kostprobe, wie gut sich die Musiker in die ungewohnte Welt der U-Musik der Zwanziger Jahre einfühlen: das verhaltene Feuer einer Rumba, die verschliffenen Foxtrot-Rhythmen oder das laszive Spiel mit Synkopen verursachen kein Problem. Eher schon der stark gedämpfte Klang: Das für den Salzburger Graben zu üppig besetzte Orchester bleibt zwar für die Sänger angenehm diskret. Aber Kelly kann mit einem – so weit zu sehen – präsenten Blick auf die Details nicht verhindern, dass die Akustik eine Reihe aparter Klangmixturen und schimmernder Zweideutigkeiten einfach wegschluckt. Dennoch: Das mutige Salzburger Experiment mit „Jonny spielt auf“ verdient Beachtung, weil dieses Stück weit mehr ist als ein Zeitspiegel der mittlerweile zum Mythos gewordenen „goldenen Zwanziger“.

 

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