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SALZBURG / Felsenreitschule: GAWAIN

28.07.2013 | Oper

SALZBURGER FESTSPIELE / Felsenreitschule:
GAWAIN von Harrison Birtwistle
Premiere: 26. Juli 2013

Vor etwa zwei Jahrzehnten konnte man in Londons Royal Opera die spannende, dynamische Uraufführungs-Inszenierung von Harrison Birtwistles „Gawain“-Oper sehen. Dort erzählte man die Geschichte ihrem Inhalt nach – in der Artus-Welt verhaftet. Der runde Tisch stellte in Variationen das Raumelement, die Kostüme zeigten vage die Ritterwelt, um deren innere und auch äußere Zerstörung es in diesem Werk geht.

Die Rituale einer Heldendämmerung erster Ordnung haben sich Birtwistle und sein Librettist David Harsent aus dem englischen Sagenkreis geholt. Der „grüne Ritter“ fordert die Artus-Welt zu einer Wette auf Leben und Tod, Gawain stellt sich dem Spiel, dem er sich dann doch entzieht. Es ist eine nahezu absurde Geschichte von exzeptioneller Vielschichtigkeit und Tiefgründigkeit, in der immer wieder auch gelacht werden darf. Das alles zu packender, intensiver, aufwühlender, auch ohrenverstörender Musik.

Die Aufführung bei den Salzburger Festspielen ist, wie man liest, erst die zweite große von „Gawain“. Und wer die Uraufführung kennt, wird nichts wieder erkennen. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis hat im Vorjahr in der Felsenreitschule schon ein Werk der klassischen Moderne inszeniert. Und die Realisiserung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ ist besonders gut ausgefallen, nahe am Werk, gelungen auch in der Bewältigung des spezifischen Raums. Für „Gawain“ spielt die Felsenreitschule weniger Rolle, einzig die Lichtregie (Gleb Filshtinsky) nimmt sich gelegentlich der Arkaden an. Aber vor allem wurde die Oper selbst einer so radikalen Neudeutung unterzogen, dass die sterbende Welt der Artus-Ritter (hier gäbe es ja eine Verwandtschaft mit „Parsifal“!) zu einer Hommage auf Joseph Beuys wurde.

Der Gedankensprung wäre kaum nachzuvollziehen, hätte ihn der Regisseur nicht in Interviews dargelegt. Auch das Programmheft leistet seinen Beitrag. Dort wird Beuys zu einer Art Lichtgestalt verklärt, potentieller Menschheitsretter aus seiner spirituellen Verbindung mit der Natur.

Nichts allerdings findet sich davon auf der Bühne, die Hermanis selbst gestaltete. In kühner Zeitverschiebung versetzte er die zeitlos-metaphorische Ritterwelt in das Jahr 2021, das für ihn schon ein Zeitalter „nach der Bombe“ ist. Eindeutig hat sich der Regisseur optisch von vielen Science-Fiction-Filmen inspirieren lassen, die ein absolut chaotisches, gesetzloses Vegetieren der übrig gebliebenen Menschen zeigen.

Der rechte Teil der Bühne besteht aus einem Autofriedhof aus zerschmolzenen, zerbröckelnden Wracks, die allerdings später erstaunlicherweise noch mit ihren Lichtern blinken können. Im linken Teil der Bühne wanken die kannibalistischen Endzeit-Menschen herum (Kostüm-Fetzen: Eva Dessecker). „King Arthur“ steht als solcher im Programm, ist aber hier kein König mehr, sondern ein bärtiger Brillenträger im Rollstuhl. Die Damen Morgan le Fay und Lady de Hautdesert haben zu Beginn viel von der gegebenen Situation zu erzählen. Dazu sitzen sie in Form geschmolzener grünspaniger Statuen unbeweglich im rechten Teil der Szene und liefern die lebhaftesten Stellen wie tote Nornen ab. Das Volk links erschlägt einen der Ihren und frisst ihn auf. (Übrigens hat Hermanis zwar keine Pferde wie in den „Soldaten“, aber zumindest noch Hunde auf die Bühne geschickt.)

Auch der grüne Ritter erscheint auf einem Riesenpferd als kaputte Statue. Und dann lernt man Gawain als Joseph Beuys kennen. Wie er leibt und lebt, in dem Gewand, mit dem charakteristischen Filzhut. In einer Szene wird er, wie man es von einem Foto kennt, einen toten Hasen streicheln. Im Lauf der Handlung wird er zahlreiche der bekannten kleinen Holzschlitten auf die Bühne bringen, auch gerollte Filzdecken, und sein Schlussauftritt erfolgt dann im Beuys-Mantel. Da lehnt auch schon sein berühmtes Selbstbildnis überdimensional an der Wand. Das „Erlöser“-Motiv hat Hermanis dann zu Ende gedacht: Mit der originalen Erkenntnis, dass er kein Held sei, und mit der von David Harsent und Harrison Birtwistle vorgesehenen Hoffnungslosigkeit endet es hier nicht. Vielmehr wird Beuys-Gawain von seinen Mitmenschen aufgefressen. Dafür quält sich König Artus aus seinem Rollstuhl und steht auf – wiedererstarkter Herrschaftsanspruch durch das Blutopfer?

Der Text von „Gawain“ ist, wenn man in liest (im Programmheft gänzlich abgedruckt) von poetischer Kraft. Die Musik ist nicht dazu angetan, dass er verständlich wird. Aber es gibt Übertitel, und es gibt eine Handlung. Und die neue, von Hermanis erfundene, ist um kein Deut besser oder überzeugender als die originale. Diese hätte es verdient, umgesetzt zu werden – wie jeder Kenner des „Originals“ nur betrübt feststellen kann.

Immerhin fügt sich das Geschehen mehr oder minder zur Musik, wobei der Regisseur sichtlich versucht, „akustisch“ zu inszenieren. Immer wieder stellt sich der szenische und der musikalische Zusammenhang ein. Dabei läuft diese klassisch „moderne“ Musik in ihrer Schrille, ihrem oft aggressiven Duktus, in ihrem klanglichen Reichtum parallel zu dem, was man auf der Bühne sieht. Ingo Metzmacher dirigiert als Herr der Heerscharen ein gewaltiges Orchester, wobei Schlagzeug (enorme Trommeln links) noch auf beiden Seiten erhöht zusätzlich postiert ist. Gewöhnt man sich an Harrison Birtwistles Musiksprache, so ist sie an diesem Abend, vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien realisiert, so mitreißend wie eh und je. Wie riesig der mitwirkende Salzburger Bachchor war, sah man erst, als sich die Damen und Herren im Abendgewand verbeugten: Die Menschen auf der Bühne, die verdreckt, zuckend, wankend herumirren, waren Schauspielern anvertraut.

Zu Beginn des Abends kam Alexander Pereira auf die Bühne und empfahl einen verkühlten Christopher Maltman der „positiven Energie“ des Publikums. Es war nicht nötig, denn er gab den Beuys-Gawain-Verschnitt als zweifelndes Männchen mit nötigem Stimmaufwand. Der grüne Ritter ist seit der Londoner Uraufführung fest in den Händen von John Tomlinson. Stimmlich und mit darstellerischer Ironie ist er auf voller Höhe seiner Aufgabe. Die Londoner Pointe, dass er mit seinem Kopf unter dem Arm wegreitet und weitersingt, hat man sich in Salzburg geschenkt.

Die Damen sind mit Laura Aikin als Morgan le Fay, Jennifer Johnston als Lady de Hautdesert (nicht so sexy wie eigentlich vorgesehen) und Gun-Brit Barkmin als Guinevere besetzt, drei stimmbandzerrende Rollen. Jeffrey Lloyd-Roberts als King Arthur und der Narr von Brian Galliford blieben als Figuren eher im Hintergrund, noch mehr die anderen Nebengestalten. Sie hatten ja auch alle keine erkennbare Funktion mehr.

„Gawain“ war die erste große Opernpremiere der Salzburger Festspiele und keinesfalls ausverkauft. Moderne Oper ist beim Luxusfestival letztendlich nicht so gefragt wie das obligate Kulinarische. Viele Sitze blieben leer, nach der Pause waren es noch mehr (auch ORF-Prominenz war dann auf Nimmerwiedersehen verschwunden). Der Beifall war allerdings stark und ungeteilt. Auch David Harsent und Harrison Birtwistle nahmen ihn entgegen. Sie ihrerseits applaudierten den Interpreten. Offenbar und erstaunlicherweise (wenn man die Abneigung der Briten gegen Regietheater kennt) hatten die Herren gegen die gänzliche Neu- und Umdeutung ihres Werks nichts einzuwenden.

Heiner Wesemann

 

 

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