Salzburger Festspiele: DIE SOLDATEN am 22.8.2012
Boaz Daniel, Daniel Brenna, Laura Aikin, Ingo Metzmacher, Tomasz Konieczny. Foto: Dr. Klaus Billand
‚Die Soldaten‘ von B.A. Zimmermann sind ein aberwitzig komplexes Werk, und es scheint die Mutter aller Opern seit der 2.Hälfte des 20.Jahrhunderts zu sein. Während A.Berg über die 12-Ton- Musik von Schönberg mit ähnlich literarischen Opern wie Wozzeck und Lulu noch eine deutsch-österreichische Tradition mit melodienhaften Gebilden fortführte, sieht man in Zimmermanns Werk auf sein eigenes Libretto nach dem gleichnamigen Schauspiel von J.M.R. Lenz eine erste große Oper, die sich vielleicht anderen Idiomen der seriellen Musik widmet, sicherlich auch in Verbindung mit Bestrebungen der Darmstädter Schule seit den 50er Jahren steht, auch wenn diese auf die traditionelle Form der Oper nichts gab. In ihren gewaltigen Klangeruptionen, die sich oft auf Cluster (zufällige Tonkombinationen) aufbauen, zum großen Teil Blechbläser- und Schlagwerk gestützt, dann wieder in nur als ätherisch bis schwindlig zu bezeichnenden klangwolkenartigen Partien, scheint sie besonders als Grundlage für den späteren Ligeti und noch später für Wolfgang Rihm zu wirken, der mit einem frühen Stück wie Tutuguri für Schlagzeug ganz in dieser Richtung liegt. Als sehr schwer zu realisierendes Stück mit einer wahnsinnigen Besetzung, haben Die Soldaten nur bedingt Eingang ins Repertoire gefunden, werden eher bei Festivals gespielt und können doch getrost als moderner Klassiker durchgehen. Nicht von ungefähr greift Zimmermann auf den Sturm & Drang-Dichter Lenz zurück, der ein äußerst milieu- und gesellschaftskritisches Stück vorgelegt hat, das in seiner Radikalität an den späteren Büchner mit Woyzeck und an Lulu heranreicht. Auch wenn es ganz im Milieu des 18.Jahrhunderts im französischen Lille und in Flandern spielt, stellt Zimmermann dagegen die Zeitlosigkeit ins Bild, in der eine Bürgerliche als Hure ins Soldatenmilieu abdriftet. Für ihn ist die Zeit eine ‚Kugel‘ die sich fortwährend dreht, es kann sich immer alles zu jedem Zeitpunkt abspielen.
Es ist sicher ein Verdienst des neuen Festspielchefs Alexander Pereira, dass er Die Soldaten nun bei den Salzburger Festspielen bringt. In den nächsten Jahren will er aber nur noch Uraufführungen von bereits arrivierten Komponisten kommissionieren. Fast jedes heutige Festival muss anscheinend seine eigen UA haben. Besser wäre es, gute wichtige moderne Opern nachzuspielen – auf hohem Niveau.
Ingo Metzmacher macht am Pult der Wiener Philharmoniker den Eindruck, dass die Partitur keine Schwierigkeiten mehr bereitet, er setzt mit ruhigen Schlägen die Klangblöcke in Bewegung. Die Wiener entwickeln immer wieder einen aufgehellten bis extatischen Klang im Zentrum, während die „Flügel“ links und rechts den grandiosen Schlagapparaten vorbehalten sind. Dazu kommt noch eine Jazzcombo, die zeigt, wie schon in den 60er Jahren Zimmermann in diesen Genres zuhause war. Wegen der der ungeheueren Breitpostierung der Musiker vor der Bühne gibt es noch einen ‚Hilfsdirigenten‘ der die Klangmassen mit im Zaum hält.
Die Inszenierung von Alvis Hermanis (Regie & Bühne) hat keine Bühnentiefe in der Felsenreitschule, muss mit den dortigen Umständen auskommen. Der vordere bühnenfüllende Längsstreifen beherbergt nebeneinander alle Szenenbilder, so das Stockbett für die Wesener-Töchter in der Mitte, eine kleine verglaste fahrbare Kabine, die zum ‚Herumzeigen‘ Maries oder des jeweiligen Paars verwendet wird, sowie den Wohnplatz Stolzius‘ und links und rechts anschließend Soldatenkeipen. Dahinter sieht man hinter verschließbaren Fenstern ein Pferdegehege, wo die Pferde, später auch von Soldatenhuren beritten, herumgeführt werden. Ganz oben ein Seil für Marie am Abrund als Trapezkünstlerin. Vor den Glasscheiben werden Fotos mit Huren aus der Jahrhundertwende eingeblendet. Die Kostüme von Eva Dessecker sind für die Damen phantasievoll und an frühbürgerlicher Mode inspiriert, während die Männer/Soldaten eine graue Einheitskluft bevorzugen. Katharina Dröscher ist die Artistin, bei der man den Atem anhält. 18 Offiziere bilden ein Ensemble, das sich bei der ausgeklügelten Musik achtbar schlägt. Weiters treten noch mindestens 10 Nebenchargen auf. In der gerafften Zeit von nur 2 Stunden für die 4 Akte fragt man sich, ob nicht doch die eine oder andre Szene weggelassen wurde. Beim Abstieg der Marie bleibt z.B: die Episode mit Gräfin La Roche (Gabriela Benackova) und ihrem Sohn (Matthias Klink) etwas unterbelichtet. Auffällig dagegen der Charaktertenor des Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Pirzel. Alfred Muff singt mit gut placiertem voluminösem Baß den Wesener, der seine Tochter letztlich auf den falschen Weg bringt. Tanja Ariane Baumgartner kann als die ältere Tochter mit gutem Mezzo besonders zusammen mit der zirzensisch singenden schöntimbrierten Sopran der Laura Aikin auftrumpfen. Cornelia Kallisch rundet als Weseners alte Mutter mit weiterer Mezzofarbe die Weseners ab. Tomasz Konieczny gibt dem Stolzius gediegenes dunkel timbriertes Profil mit Tendenz zur Selbsterniedrigung. Brillant als seine Mutter reussiert die Altistin Renee Morloc. Morgan Moody /Baßbariton und Matjaz Robavs/Tenor charakterisieren stimmlich auch ganz abgefeimt, die Soldatenseite. Der Clou erscheint aber der Deportes des Daniel Brenna. Er hat hier gigantisch Heldentenorales zu leisten. Und es klingt immer suggestiv, kaum mal gestemmt. Interessant auch das plötzliche Umschlagen der Stimme ins gut hörbare Falsett. Der glatte Wahnsinn stellt sein ‚Liebesduett‘ mit L.Aikin in den Heuballen dar. Schöngesang in den höchsten Verrenkungen ist dieser ekstatische Zwiegesang mit erotischer Komponente.
Friedeon Rosén