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SAAREMAA/Estland: OPERNFESTIVAL: DON CARLO /NATALKA VON POLTAVA

26.07.2014 | KRITIKEN, Oper

Saaremaa / Estland: Opernfestival 20. – 27. Juli 2014

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Copyright: Operafestival

In der Zeit der sowjetischen Besetzung galt Saaremaa, die größte estnische Insel, als Grenzregion der Sowjetunion. Die gesamte Insel war zur Sperrzone ernannt, und erlaubt war vorwiegend nur ein streng kontrollierter und geregelter Inlandtourismus. Dies hat sich nach der Wiederherstellung der Selbständigkeit grundlegend geändert; wie das ganze Land ist auch Saaremaa ganzjähriges Ziel für Wellness-Touristen vor allem aus dem Nachbarland Finnland. Doch nicht nur Natur- und Gesundheitsliebhaber kommen hier auf ihre Kosten, auch Musikfreunde brauchen auf ihr Hobby nicht zu verzichten. Neben vielen kleineren Musikereignissen ist das Saaremaa Opernfestival die Attraktion für Zuschauer aus Nah und Fern. Hervorgegangen aus den 1999 erstmalig veranstalteten Kuressaare Operntagen, steht dieses kleine, aber feine Festival seit 2008 unter der Künstlerischen Leitung ARNE MIKKs, eines interessanten Mannes mit einer noch interessanteren Karriere. Begonnen als Chorsänger an der Estnischen Nationaloper, wurde er an dieser traditionsreichen Institution Solist, Dramaturg, Regisseur und schließlich dessen Direktor, nachdem er in den siebziger Jahren bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin und bei Boris Pokrovsky am Moskauer Bolshoi-Theater assistiert hatte. Eine wahrhaft interessante Karriere, die nun in die Leitung des Saaremaa Opernfestivals einmündete, für das die Vielzahl seiner internationalen Kontakte von unschätzbarem Nutzen ist.

Kuressaare, die größte (und einzige) Stadt der Insel, die bereits 1988 ihren historischen Namen zurück erhielt, steht natürlich im Mittelpunkt mit der Bischofsburg aus dem 13. Jahrhundert, die die Hauptattraktion für Touristen bildet. Doch auch kleinere Kirchen in Kuressaare und außerhalb werden als Austragungsorte für gut besuchte Konzerte genutzt, so die St. Laurentius-Kirche, in der am 22.7. Mozarts Requiem eine bewegende Wiedergabe erfuhr mit dem Estnischen Philharmonischen Kammerchor, dem Tallinn Kammerorchester unter dem jungen Dirigenten RICO JOOST und einem gemischt estnisch-ukrainischen Solistenquartett (LILIA GREVTSOVA, ANGELINA ŠVATŠKA, OLIVER KUUSIK, AIN ANGER). Wiener Musikfreunden werden die Namen zweier estnischen Solisten dieses Festivals natürlich ein Begriff sein: die estnische Mezzosopranistin ANNELY PEEBO (Wiener Volksoper) und der aus Saaremaa stammende Bassist AIN ANGER (Wiener Staatsoper) dürften die auch über Estlands Grenzen hinaus bekanntesten estnischen Gesangssolisten sein, die es sich nicht nehmen ließen, an diesem Festival teilzunehmen, Ain Anger sogar als Leiter einer Meisterklasse.

 Die sich bescheiden nennenden Saaremaa Operntage (so die Ûbersetzung aus dem Estnischen) sahen in der Vergangenheit Gastspiele von Bühnen vom Broadway, aus Lettland, Russland, Georgien und der Türkei. Dieses Jahr wurde die Ukrainische Nationaloper aus Kiev eingeladen, zwei italienische Opern (Don Carlos, Norma) und die außerhalb der Ukraine selten zu hörende Oper Natalka Poltavka des Komponisten Mykola Lysenko aufzuführen. Diese szenischen Produktionen fanden im eigens aufgebauten, 2000 Zuschauer fassenden Zelt im Vorhof der Bischofsburg statt, was natürlich die akustische Verstärkung der Musiker, also auch des Orchesters, zur Folge hatte. Dies macht eine abschließende Bewertung der Gesangsleistungen schwierig, die hier also mit allergrößter Vorsicht vorgenommen werden sollte.

Soll ich zudem vom Niveau der beiden von mir besuchten Opernvorstellungen auf den derzeitigen Standard der Ukrainischen Nationaloper schließen? Mit Lyudmila Monastytyrska, Dmytro Popov und Taras Štonda weist das Ensemble dieser Bühne nur drei Sänger auf, die sich auch international einen Namen gemacht haben; andere ukrainische Sänger wie Oksana Dyka scheinen nicht zum Fest- bzw. Gast-Ensemble zu gehören. Nachdem im „Don Carlos“ (23.7.) Gehörten würde ich diesem Opernhaus nur durchschnittliches Niveau bescheinigen. Niemand, der richtig schlecht war, aber auch niemand (vielleicht mit Ausnahme des Rodrigo von GENNADI VAŠTŠENKO mit wohlklingendem Material), der aus diesem Mittelmaß herausragte – selbst der Großinquisitor von TARAS ŠTONDA bildete keine Ausnahme, ein Sänger, der immerhin schon am Bolshoi-Theater und gerade kürzlich in Glyndebourne (Gremin) gastiert hatte. Mag sein, dass er, der am Mariinsky-Theater Walküre-Wotan gesungen hatte, sich in Heldenbaritonrollen wohler fühlt als in reinen Basspartien. Jedenfalls schien seine mächtige Stimme sich erst in der Höhenlage richtig zu öffnen, während sie in der tieferen Lage recht resonanzarm klang. Die beiden Damen (VIKTORIA TŠENSKA als Elisabetta, TETJANA PIMINOVA als Eboli) hatten eher „unfreundliche“ Stimmen, während der Titelheld von SERGI PAŠTŠUK sich nur im Forte wohl zu fühlen schien und sein Piano „terra incognita“ war. Doch das größte Manko dieses Opernabends war das Fehlen eines echten vokalen Zentrums. SERGI MAGERAs Filippo besaß zwar alle nötigen Töne, war jedoch als Figur nicht vorhanden. Die Bebilderung der Szene (von einer Inszenierung möchte ich lieber nicht sprechen) schmeichelte mit ihrer Farbenfreude dem Auge, war leider nicht immer logisch. Ein Filippo, der zu den Worten auftritt „Warum ist die Königin allein?“, sollte diese nicht bereits mit ihrem Hofstaat vorfinden. Allein die dirigentische Leitung durch MYKOLA DJADJURA vermochte höheren Ansprüchen zu genügen; ob die starken Kürzungen (am schmerzlichsten das Fehlen des Quartetts in der Kabinettsszene) zu seinen Lasten gehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Trotzdem bleibt positiv festzuhalten, wie gekonnt er mit allen Tugenden eines guten Theater-Kapellmeisters diese Aufführung leitete.

Am folgenden Tag (24.7.) galt es, die ukrainische Nationaloper Natalka von Poltava des Komponisten Mykola Lysenko zu entdecken, wie auch seine zweite Oper Taras Bulba eher ein Singspiel oder eine Operette denn eine Oper. Diese lang ausgedehnten Dialoge waren denn auch das Manko der Aufführung; reichliche Kürzungen wären meiner Ansicht nach angebracht gewesen, um die Aufmerksamkeit besser aufrecht halten zu können. Wie schon bei Carlos war Mykola Djadjura ein umsichtiger Leiter einer Aufführung, die in TAMARA KILINKINA eine schönstimmige Titelrollen-Sängerin hatte, während für ANGELINA ŠVATŠKA die Partie von Natalkas Mutter zu klein war, um auf ihr prächtiges Mezzosopran-Material aufmerksam zu machen. Leider war DMYTRO KUZMIN als Petro, einer Rolle, die früher immerhin von einem Ivan Kozlovsky gesungen wurde, der Schwachpunkt der Besetzung mit einem Material von eher „krähigem“ Timbre. Laut Programmbuch soll die Rolle des Tetervanovsky von demselben Sänger (Sergi Paštšuk) gesungen worden sein, der am Abend zuvor den Carlos verkörpert hatte, was ich allerdings bezweifeln möchte – zu verschieden in Größe der Figur und Art der Stimme. OLEKSANDR BOIKO und BOGDAN TARASS komplettierten in komischen Rollen.

Fazit: Musikfreaks, die sich Erlebnisse auf dem Niveau einer Wiener Staatsoper erhoffen, sind für die Saaremaa Opernfestspiele nicht die richtige Zielgruppe. Doch wer sich für die Schönheiten einer noch weithin unberührten Landschaft interessiert und darüber hinaus Natur mit Kultur kombinieren möchte, ist in Kuressare richtig. Die Kartenpreise halten sich in vernünftigem Rahmen und sind klug gestaffelt. Selbst an zukünftige Operngänger ist gedacht. So bildete eine Gala extra für Kinder (auf der Burgbühne) den Abschluss eines Besuchens werten Festivals, das im nächsten Jahr vor allem die Freunde italienischer Musik anzieht, wenn vom 21. bis 26. Juli das Teatro di Milano mit Rigoletto, Madama Butterfly und dem Barbiere di Siviglia gastieren wird.

 Sune Manninen

 

 

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