Riga: GÖTTERDÄMMERUNG (Dievu mijkrēslis) – 9.6. 2013
Begrüßung im Doppelbett. Foto: Lettisches Nationaltheater Riga/Janaitis
Ähnlich wie der private Konflikt im Hause Hunding in der Inszenierung des Letten Viesturs Kairišs an die Öffentlichkeit gezerrt wird, verhält es sich mit der privaten Sphäre im Siegfried, die mit einem Male in der Götterdämmerung öffentlich und global wird. Der Regisseur wird auf dieser Zeitreise, wie schon im Siegfried, von Ausstatterin Ieve Jurjāne und Lichtdesigner Christophe Forey begleitet.
Im Vorspiel befinden wir uns noch in einer Blockhütte im Woodstock des Jahres 1969. Die Nornen knüpfen an einer Art Lichterkette, während sie sich für das happening des Festes Runen aufmalen. Das lenkt natürlich vom Knüpfen der seilartigen Lichterkette dermaßen ab, dass es zu einem Kurzschluss kommen muss. Jetzt sieht man nichts mehr, also ab zu Mama Erda, bevor es zum Fest geht…
Und jetzt wird es erst richtig schrill und trashig! Wir sind in der flower power Bewegung von Woodstock angelangt. Brünnhilde (die ja schon einige Jahre mit Siegfried glücklich vereint gelebt hat) wurde zum Hippie mit Stirnband und bemalt ein Tuch mit dem Motto der 60ger: „Make love, not war“. Und Siegfried mutierte äußerlich zum Rockbarden Joe Cocker, den es in die weite Welt zieht. Brünnhilde verabschiedet ihn zärtlich, sie kann sich ja jederzeit zur Zerstreuung einen Joint drehen…
Von den vielen Joints im Hirn bereits etwas zugedröhnt, wird Held Siegfried ein leichter Spielball der dekadenten Gibichungen, die sich zu Dritt in einem übergroßen Bett amüsieren. Der 60iger Jahre Look spiegelt sich auch an den kunststoffgetäfelten Wänden mit Hirschgeweihen wider, schließlich zählt ja die Jagd zur Lieblingsbeschäftigung der Halbbrüder. Gruppensex, ein Schlagwort der roaring 60ties, die noch nichts von HIV wussten, Inzest und zärtliche Halbbrüderliebe gehören schon mal dazu. Wer sollte es schon am Hofe Gunthers wagen, gestreng den Zeigefinger zu erheben? Und man wartet begierig auf Siegfried und blickt gespannt ins Publikum. Dieser springt aber von hinten durch ein Bild des Rheins, das über dem geräumigen Doppelbett hängt, samt einem Schreinerkasten in die Szene.
Als Gunther und Siegfried einander Blutsbrüderschaft schwören, stößt der wehleidige und vollkommen verweichlichte Gunther einen lauten „Au-Schrei“ aus, der natürlich nicht in der Partitur steht. Aber was soll‘s, Wagner hätte sicher seine Freude daran gehabt, sein opus magnum so lebendig und kraftvoll gestaltet zu sehen.
Auf tritt nun Waltraute, die gleich ein Holzscheit aus Walhalla mit sich bringt. Vergeblich beschwört sie Brünnhilde, ihr den Ring der Rheintöchter auszuhändigen. Diese dreht sich vorsorglich einen nervenberuhigenden Joint und noch einen für die quengelnde Schwester, die solche irdischen Laster in der Abgeschiedenheit der Götterwelt gar nicht kennt. Neugierig macht sie einige Züge, die ihre Wirkung nicht verfehlen…
Danach erscheint Siegfried in einer futuristisch silbernen Kleidung, geradewegs aus dem „Krieg der Sterne“ entnommen. Für seinen Auftritt zwängt er sich durch das Innere eines alten Schwarz-weiß Fernsehapparates, besiegt Brünnhilde und steckt sich ihren Ring wieder zurück an seinen Finger.
Eine Annäherung an die großen altgriechischen Tragödienheroinen findet Regisseur Kairišs dann im zweiten Akt. Zunächst schärft der an eine Infusion gefesselte greise Alberich seinem Sohn Hagen ein, den Ring für ihn zu gewinnen. Allein Hagen hat andere Pläne…
Die Mannenszene erhält durch Tierschädel eine tragische Note, während sie zugleich durch das Heeranstürmen ans vorbereitete Büffet wieder ins Komische gleitet. Von dieser Ambivalenz lebt auch ein großer Teil dieser Inszenierung, indem die Grenze zwischen Tragödie und Komödie nicht nur zu verschwimmen droht, sondern geradezu durchbrochen und bisweilen sogar völlig aufgehoben erscheint.
Die Verzweiflung Brünnhildes, nachdem Siegfried sie nicht erkennt, ist grenzenlos. Aus einst glühender Liebe entsteht nun durch getäuschte Hoffnung glühender Hass. Auf beiden Gefühlsebenen ist die reisige Maid aber bereit, bis ans Äußerste zu gehen. Siegfrieds Tod, für Hagen bereits beschlossene Sache, wird nun auch zu ihrem einzigen Ziel.
Hagen und die Mannen im Dampfbad. Foto: Lettische Nationaloper Riga
Im dritten Akt befindet sich die ausgelassene Männergesellschaft in einem etwas ramponierten Dampfbad, in dem alle Wasserleitungen verstopft sind. Die drei Rheintöchter fristen hier (wohl zur Strafe, weil sie das Gold so schlecht bewacht hatten) ein tristes Dasein als Badewärterinnen. Siegfried kann mit seinen Klempnerutensilien wenigstens die Wasserhähne wieder reparieren. Den Ring würde der zugekiffte Hallodri ihnen aber nur gegen fleischliche Liebe geben, von der seine erst kurz zuvor angetraute Gattin Gutrune ja nichts wissen muss… Auf einen solchen Handel aber gehen die ehrbaren Töchter nicht ein.
Nach dem Schwitzbad gibt es Grillwürstchen auf einem Spieß, die Hagen zubereitet, während Siegfried in seinen Erinnerungen schwelgt… Nicht vergessen soll dabei werden, dass Gunther sich schon mal umständlich auf Grund seiner Leibesfülle umzieht. Süß ist so ein rosafarbenes Nackedei anzusehen und dem Sänger Marcus Jupither muss großer Respekt gezollt werden, sich vor völliger Entblößung nicht zu scheuen. Der Würstchenspieß aber landet in Siegfrieds Rücken. Ein herbei eilender stummer alter Mann, wohl der greise Großvater Wotan, hält ihm einen Spiegel vor, um kopfschüttelnd dessen Tod zu konstatieren. Siegfried überlegt es sich aber anders, sammelt noch einmal seine Kräfte um mit den letzten Worten scheidend festzustellen: „Süßes Vergehen – seliges Grauen: Brünnhild‘ bietet mir – Gruß!“
Der Trauermarsch leitet zum wuchtigen Finale über. Wotans Raben treten während der Orchesterzwischenspiele in menschlicher Gestalt als junges Mädchen mit einer Glühbirne in der Hand und als Rad fahrender Knabe auf. Kränze und Bilder werden um den Leichnam des hehrsten Helden ausgebreitet. Brünnhilde tötet sich mit Siegfrieds Schwert und legt sich als Mannesgemahl an seine Seite. Die Rheintöchter ergreifen noch rasch den Ring und flüchten, während die Mannen Hagen, den gewissenlosen Machtpolitiker und Manipulator, unter Geschrei erschlagen.
Der von Aigars Meri verdienstvoll einstudierte Chor der Lettischen Nationaloper trug mit seinen kräftigen Stimmen bei großer Transparenz maßgeblich am Erfolg dieses Abends bei.
Besonders interessant ist, dass Cornelius Meister im Prolog, dem Vorspiel und dem ersten Akt das Lettische Nationale Sinfonieorchester (Latvijas Nacionālais simfoniskais orkestris) und im zweiten und dritten Akt dann das Lettische Nationale Opernorchester (Latvijas Nacionālās operas orkestris) dirigierte. Meist werden ja nur manche Musiker ausgewechselt, aber gleich einen kompletten Orchesterwechsel, das ist etwas Einzigartiges. Jedenfalls war dieser Abend von der musikalischen Seite der dichteste und beste. Da wählte der junge Kapellmeister die passenden tempi und setzte die erforderlichen dynamischen Akzente beim Trauermarsch und dem Finale, die unter seiner umsichtigen Leitung zu regelrechten sinfonischen Höhepunkten gerieten.
Auch auf die Sänger nahm der Dirigent sehr viel Rücksicht. Die drei Nornen wurden prägnant in der Tongebung und bester Diktion von Liubov Sokolova, Aira Rūrāne und Liene Kinča gesungen.
Die Russine Liubov Sokolova trat dann noch im Vorspiel als Waltraute mit fülliger Stimme in Joint Ekstase angenehm in Erscheinung.
Die beiden jungen Lettinnen Aira Rūrāne und Kristīne Zadovska ergänzten dann noch rollengerecht und stimmlich einwandfrei als Rheintöchter Wellgunde und Floßhilde mit ihrem gut geführten Sopran bzw. Mezzosopran.
Katrin Gerstenberger konnte an ihre gute Leistung in der Walküre leider nicht anschließen. Sie begann einst als Mezzosopran. Ihr bereits im Jahre 2002 vollzogener Wechsel zum dramatischen Sopran konnte an diesem Abend nicht so Recht nachvollzogen werden. Zu grell und schrill war ihre Höhe und zu scharf ihre Spitzentöne. Man könnte aber auch der Meinung sein, dass ihre Stimme infolge des Treuebruchs Siegfrieds einfach aus allen Fugen geriet und sie zu einer regelrechten Furie wie Fricka wurde. Ein hysterisches Kreischen wäre an dieser Stelle wohl nicht von der Hand zu weisen, mag es auch vom Bayreuther Meister „versehentlich“ nicht mitkomponiert worden sein…
Der schwedischen Tenor Lars Clevemann, Bayreuther Tannhäuser, wiederum verfügt zwar über eine kräftige höhensichere Stimme, was aber fehlt, ist ein ansprechendes schönes Timbre. Dafür punktet er aber darstellerisch als Rockbarde Joe Cocker.
Ein Bariton mit passendem lyrischem Timbre war Marcus Jupither in der Gestalt König Gunthers gegeben. Geschickt versteht er es, seine stattliche Leibesfülle auf witzige Weise in das tragisch-komische Rollenprofil einflechten. Er hat jedenfalls die Lacher stets auf seiner Seite, ob beim Gruppensex oder in, besser gesagt, außerhalb der Dampfkammer.
Den besten stimmlichen Eindruck hinterließ wieder einmal der schwedische Bass Johan Schinkler. Ein Hüne eines Mannes, der seine Umgebung geschickt manipuliert.
Liene Kinča trat neben der dritten Norn noch als Badefrau Woglinde und als flatterhafte Gutrune, die billig auf den unerhörten Reichtum Siegfrieds pocht, auf. Ihr jugendlich dramatischer Sopran setzte dabei schöne Akzente. Nur in der Höhe wurde er fallweise etwas scharf.
Der Schwede Kosma Ranuer gab den zum Invaliden gewordenen und an einer Infusionsflasche hängenden Alberich mit eindringlichem Bariton.
Erwähnt muss noch der Choreograph Agris Daņiļēvičs werden, der bereits im Siegfried den Drachenleib herrlich in Szene gesetzt hatte und dem die ausgezeichnete Bewegungsregie der Mannen anvertraut wurde.
Der lettische Ring, der seinesgleichen in Europa sucht, ging mit der Götterdämmerung würdevoll zu Ende. Er hatte zwar nur zwei, nicht vier, wie ursprünglich vorgesehen, Regisseure. Die einzelnen Teile wurden jedoch als selbstständige Werke aufgefasst und in Szene gesetzt. Keiner der Teile erwuchs damit organisch aus dem vorhergehenden. Schließlich liegen ja auf viele Jahre zwischen den einzelnen Teilen, in denen sowohl räumliche als auch zeitliche Konstellationen dem ewigen Fluss von Werden und Vergehen unterworfen sind. Dem Publikum hat es jedenfalls gefallen. Ein Ring, bei dem man sich beim aller intellektuellen Herausforderung endlich einmal auch richtig auslachen durfte. Und Lachen ist ja bekanntlich die beste Medizin, wenn man bei Wagner gewöhnlich schon so lange sitzen muss!
Harald Lacina