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PHOENIX

03.12.2014 | FILM/TV

FilmPlakat Pheonix~1

Ab 5. Dezember 2014 in den österreichischen Kinos
PHOENIX
Deutschland / 2014
Drehbuch und Regie: Christian Petzold
Mit: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Imogen Kogge u.a.

Der deutsche Regisseur Christian Petzold hat bereits eine ganze Reihe von Filmen zu spezifischen „deutschen“ Themen geliefert, wobei es ihm stets gelungen ist, die gewählte Problematik – so heikel sie gewesen sein mag – auf dem Umweg über Geschichten zu erzählen, statt dem Publikum trocken etwas vorzudozieren, wie schlimm es in der DDR oder im Dritten Reich war. Das hat dem Niveau seiner Filme nie Abbruch getan. Und das gilt auch für „Phoenix“, wenn er das Thema einer aus dem Konzentrationslager geretteten und nach Berlin heimgekehrten Jüdin in eine echte, spannende, auf dem persönlichen Gefühlslevel hoch ergreifende Kriminal-Handlung verpackt.

Wieder ist es Petzolds Lieblingsdarstellerin Nina Hoss mit ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit zur Stille und Verinnerlichung, die im Zentrum steht und uns hier das Schicksal der ehemaligen Sängerin Nelly Lenz vorstellt, die wie Phoenix aus der Asche steigt – aber nicht mehr in den Himmel fliegen darf. Schon zu Beginn findet der Regisseur starke Bilder für die doppelte Zerstörung dieser deutschen Nachkriegswelt – die zerbombten Städte, aber auch Nelly gänzlich verbandagiertes Gesicht. Was in Auschwitz durch Brutalität zerstört wurde, hat ein Chirurg (eine bemerkenswerte Charge von Michael Maertens) einigermaßen in die alte Form gebracht.

Und als Nelly von der Jewish Agency (und der sie mehr als üblich liebenden Freundin Lene – großartig: Nina Kunzendorf) heim nach Berlin gebracht wird, hat sie nur ein Interesse: Ihren Exmann Johnny wieder zu finden, an dessen Liebe und Treue sie unerschütterlich glaubt, obwohl Lene weiß, dass er sie verraten, ja, wahrscheinlich sogar den Nazis ausgeliefert hat…

Nelly und Lene Winter, die Jüdinnen, die nun bei den Deutschen einquartiert sind (in Berlin nur auf Zwischenstation nach Palästina, wie Lene hofft), erleben nun, wie die Deutschen sich ihnen gegenüber verhalten (eine starke Studie: die missgelaunte, abweisende Distanziertheit der Imogen Kogge). Oder auch nicht verhalten, weil sie (und das ist verständlich) eben nicht wissen, wie sie mit den Verbrechen, die geschehen sind, umgehen sollen. (Leugnen ist da eine fast begreifliche Selbstschutz-Reaktion, auch Einsicht braucht Zeit.)

Petzold zeichnet aber auch das Bild der Stadt Berlin, die Besatzer, von denen einige bis zum Wahnsinn arbeiten, um Verbrechen zu dokumentieren und sich dabei durch Hekatomben von Akten und Papier kämpfen, andere sich nur durch die Stadt grölen und so übel aufführen, wie Besatzer es eben tun… Und durch diese Stadt schleicht Nelly, immer auf der Suche nach ihrem Johnny, der einst ihr Pianist war und sie beide ein strahlendes Paar in der Berliner Szene.

Wenn nicht Nina Hoss sie spielte, könnte man Petzold vorwerfen, er erzähle einfach wieder einmal die Geschichte über die Blindheit von liebenden Frauen, die nicht begreifen wollen, dass sie hintergangen und weggeworfen wurden, als sie eine Last wurden statt ein Gewinn zu sein… Johnny, der seine jüdische Frau einst preisgegeben hat, duckt sich nun, damit man nicht auf seine Nazi-Beziehungen kommt, lebt in einem Kellerloch, serviert in einer Bar. Und als Nelly ihn dort aufstöbert, sieht er zwar eine Frau, die seiner ähnlich sieht, kommt aber nie auf die Idee, es könnte Nelly sein: Die ist, das weiß er felsenfest, in Auschwitz vergast worden…

Ronald Zehrfeld (in einer seiner besten Leistungen je) spielt Johnny nicht als Verbrecher, aber als verbitterten Überlebenskünstler, zielstrebig und rücksichtslos. Was ihn interessiert, ist Nellys Geld (schließlich hat sie ja viele im KZ ermordeten Verwandten beerbt!), aber wie soll er dazu kommen? (Selbst wenn die Scheidungspapiere, die er sich zum Schutz noch rasch und leicht besorgte, nicht gefunden würden?) Könnte die schäbige Frau, die da in den Straßen herumstreicht und Nelly so seltsam ähnlich sieht, diese nicht einfach spielen, bei den Behörden erscheinen und das Geld beanspruchen?

Der Psycho-Krimi, den Christian Petzold in der Folge inszeniert, ist über weite Strecken atemberaubend. Er besteht in den Gefühlen der Frau, die sich auf das Spiel einlässt, weil sie immer hofft, dass ihr Mann sie erkennt, wenn sie scheinbar lernt, „Nelly“ (also sie selbst) zu sein – und in der Unsicherheit des Mannes, der doch nie auf die Idee kommt, die „Echte“ könnte vor ihm stehen, auch wenn sie Nellys Schrift verblüffend nachmacht, auch wenn ihr Nellys Sachen passen… Zehrfeld macht begreiflich, dass er mit der echten, lebenden Nelly nicht umgehen könnte.

Zu den vielen Details aus dem „unmittelbaren“ Nachkriegs-Deutschland, das Petzold zeichnet, gehört auch die Erkenntnis, dass die Menschen damals lieber nichts wissen wollten. Wenn Johnny die, wie er meint, „falsche Nelly“ ein paar Bekannten als „echt“ vorstellt, würden diese doch fragen, was im Lager war, meint Nelly. Was solle sie dann sagen? Sie möge sich keine Sorgen machen, sagt Johnny: Niemand würde fragen. Und tatsächlich – niemand fragt…

Es ist eine private Tragödie mit Krimi-Spannung und einem wunderbar verhaltenen Ende, die hier gezeichnet wird. Und überdies entfaltet sich nie demonstrativ, immer intensiv rund um Nellys Schicksal auch das Zeitbild: Deutschland, Mitte 1945…

Renate Wagner

 

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