8. – 12. 6. 2013: Pärnu / Estland: 8. Klaudia-Taev-Gesangswettbewerb vom 8.-12.6.2013
Es gibt Gesangswettbewerbe wie Sand am Meer, so dass sowohl von Seiten der Teilnehmer als auch der Juroren eine Art Wettbewerbstourismus zu beobachten ist. Wenn sich zu dem 8. Klaudia-Taev-Gesangswettbewerb im kleinen Pärnu, der estnischen Sommermetropole, junge Sänger selbst aus Süd-Korea, Kanada oder den USA angemeldet haben und von ihnen 35 Kandidaten aus 17 Nationen akzeptiert wurden, gibt es offensichtlich etwas, was die jungen Künstler anlockt. Der Geldpreis wird es weniger sein; der hält sich mit 4000, 3200 bzw. 2400 € für die drei Erstplacierten im Rahmen. Attraktiv ist natürlich die Aussicht für den Gewinner, sich in zwei Jahren beim Promfest (Pärnu International Opera Music Festival), in dessen Rahmen dieser Wettbewerb veranstaltet wird, in einer Oper seiner/ihrer Wahl in einer Hauptrolle präsentieren zu können. Die Namen der bisherigen Jury-Vorsitzenden sind ein weiteres Kriterium, bei dem Pärnu punkten kann: Berühmte Sänger wie z.B. Irina Arkhipova, Ileana Cotrubas, Barbara Hendricks, Teresa Zylis-Gara oder (in diesem Jahr) Edda Moser bilden eine nicht zu unterschätzende Attraktion, zu der sich „Abnehmer“ wie Intendanten, Agenten oder Leiter von Opernstudios gesellen. Und wenn man dann noch weiß, welche Karriere die bisherigen Teilnehmer (und nicht nur die Gewinner gemacht haben), ist dies ein weiterer Grund, sich für diesen attraktiven Wettbewerb zu interessieren. Anna Samuil, Veronika Dzhioeva, Angelina Shvachka sind bekannte Namen, und der Gewinner von 2009, der gerade erst 26jährige weißrussische Bass Anatoli Sivko gewann erst kürzlich den Stanislaw-Moniuszko-Gesangswettbewerb in Warschau und erhielt sogleich ein Angebot für das Royal Opera House Covent Garden.
von links: Anna Denisova, Jomante Šležaite, Leo Radoslavljevic.
Nachdem in der 2. Runde, der ersten, die öffentlich ausgetragen wurde, vom Kandidaten eine Arie aus dem 18. Jahrhundert sowie ein Lied vorzutragen waren, bestand das Pflichtrepertoire der 3. Runde aus Schuberts Ave Maria, für dessen Vortrag ein Sonderpreis vergeben wurde, einem nach 1930 komponierten Werk sowie einer Arie nach eigener Wahl. Danach qualifizierten sich für das Finale, das am 12. Juni in der Konzerthalle von Pärnu ausgetragen wurde, sechs junge Sänger: die 25jährige lyrische Koloratursopranistin KSENIA KUCHUKOVA aus Estland, mit demselben Fach die 30jährige Süd-Koreanerin JIN HEE LEE, die 28jährige OLGA NIKOLSKAYA-HEIKKILÄ aus Finnland, ebenso lyrischer Sopran wie die 24jährige ANNA DENISOVA aus Russland, die gleichaltrige Mezzosopranistin JOMANTE ŠLEŽAITE aus Litauen sowie als einziger männlicher Kandidat der 23jährige Bariton LEO RADOSLAVLJEVIC aus den USA.
Viele der Sänger hätten eine eingehende Wettbewerbsberatung benötigt. So präsentierten sich einige der Teilnehmer trotz guten Materials mit einem ungeeigneten Stück, um der Jury gleich in den ersten Minuten den besten Eindruck zu verschaffen. Einige schienen sich auch noch nicht darüber im Klaren zu sein, wer bzw. was sie eigentlich waren. So bezeichnete sich die mit einem attraktiven Material gesegnete Jomante Šležaite als dramatischer Sopran, zeigte in der 2. Runde mit einer Sopran-Arie (Come scoglio aus „Cosi fan tutte“) mehr die Schwächen ihrer Stimme, überzeugte aber in der nächsten Runde mit Mezzosopran-Arien, in der ihre Stimme am interessantesten wirkte. Auch der US-Bariton Leo Radoslavljevic sollte sich nicht als dramatischen Bariton bezeichnen, wenn er Mozart-Figaro, Posa oder Malatesta anbietet. So war eine den Sängern angebotene Meisterklasse hoch willkommen, in der Hans Nieuwenhuis, der lange Jahre das berühmte Opernstudio in Amsterdam geleitet hatte, unter dem Titel „Audition: magical five minutes“ Tipps aus der Praxis für die Praxis gab.
Im Finale, das in der Pärnuer Konzerthalle ausgetragen wurde, hatte jeder Teilnehmer zwei Arien zu singen, sehr feinfühlig begleitet vom Stadtorchester Pärnu unter Leitung ERKI PEHKs, dem Künstlerischen Leiters des Promfests, der den Sängern einen fein gesponnenen Klangteppich unterlegte. Nachdem 2009 und 2011 der Gewinner dieses Gesangswettbewerbs sich jeweils mit dem 2. Preis begnügen musste (ein 1. Preis wurde nicht vergeben), einigte sich die Jury diesmal darauf, die Gewinnerin mit dem 1. Preis zu bedenken. Wenn man nicht außer Acht lässt, dass die Preisträgerin, die junge Litauerin Jomante Šležaite, Jury und Publikum dadurch irritierte, dass sie im ersten Durchgang eine Sopranarie sang (Senza mamma aus „Suor Angelica“) und erst im zweiten Durchgang mit einer Arie aus der „Zarenbraut“ zu ihrem eigentlichen Fach, dem des Mezzosoprans, fand; wenn man ferner berücksichtigt, dass technische Mängel (Intonationstrübungen, unruhige Tonproduktion) nicht zu überhören waren, dann muss es etwas gegeben haben, was sowohl Jury als auch Publikum (sie erhielt ebenfalls den Publikumspreis) ungeachtet dieser Defizite überzeugt hatte. Gewiss, es gab Sänger, die technisch sauberer sangen, aber in der heutigen Zeit des visuellen Eindrucks reicht das Nur-Singen nicht aus. In dem Feld der Finalisten war Jomante Šležaite eine Ausnahmeerscheinung: ihr interessant gefärbter Mezzosopran entfaltete in diesem Bereich seine ganze Schönheit, aber sie ist darüber hinaus in ihren jungen Jahren bereits eine Künstlerin, die auf Grund ihrer Persönlichkeit, ihrer dramatischen Intensität, mit der sie ihre Szenen gestaltete, nicht nur zum Zuhören, sondern auch zum Zusehen zwingt. Wenn es ihr gelänge, ihre technischen Probleme in den Griff zu bekommen, dürfte einer überdurchschnittlichen Karriere nichts im Wege stehen. Die gleichfalls noch junge Russin Anna Denisova wurde mit dem 2. Preis bedacht. Mit einer Despina-Arie aus „Cosi fan tutte“ fiel sie weniger auf als mit einer Arie aus Donizettis „Regimentstochter“, bei der sie durch die Klangschönheit ihres filigran geführten Soprans für sich einnahm. Wie seine beiden Kolleginnen gehört auch Leo Radoslavljevic zum Jahrgang 1989. Er verfügt über einen schön timbrierten lyrischen Bariton. Leichte Höhenprobleme waren vielleicht durch eine nicht so optimale Abendverfassung bedingt, die sich hoffentlich ausbügeln lassen. Er sollte jedoch an seiner Bühnenpräsenz arbeiten. Wenn diese (neben Timbre, Technik und Musikalität / Interpretation / Diktion) eines der zu beurteilenden Kriterien ist, fällt seine Leistung gerade im Vergleich zu einer Jomante Šležaite ab, die das Publikum durch die kleinste Geste in den Bann zog. Die Finnin OLGA NIKOLSKAYA HEIKKILÄ erhielt den Preis für die beste Interpretation von Schuberts Ave Maria, dem Pflichtstück der 3. Runde, jedoch gefiel sie mir auch im Finale durch ihre stimmschöne und ausgereifte Interpretation von Pamina und Manon-Arien. Sie, die schon im Engagement an der Königlichen Oper Kopenhagen steht, wird sicher auch ohne einen Preis in diesem Wettbewerb ihren Weg machen.
Fazit: Für alle Stimmfreunde, die die Entdeckung neuer Talente lieben, ist dieser Wettbewerb in der estnischen Sommermetropole eine willkommene Bereicherung. Es dürfte interessant, mit welcher Oper sich die drei Erstplacierten in zwei Jahren präsentieren werden, und ob eine Ausnahmeerscheinung wie Jomante Šležaite das Versprechen dieses Sieges einlösen wird.
Sune Manninen