BERICHT VON DER HERBSTREISE DER „AMICI DEL BELCANTO“ ZUM VERDI-FESTIVAL NACH PARMA
Michael Tanzler fasst seine Eindrücke zusammen
Teatro Regio: 5.10. „Falstaff“
Jacopo Spirei zeichnete als Regisseur für eine perlend ablaufende Inszenierung von Verdis letzter Oper nach der Vorlage de „Lustigen Weiber von Windsor“ von „unser aller Papa“ – wie Verdi den großen William Shakespeare ehrfurchtsvoll und mit größter Bewunderung gerne titulierte. Nikolaus Webern hatte leicht verschieb- und wechselbare Szenenbilder geschaffen, die teils andeutungsweise, teils realistisch die Handlungsorte gut charakterisierten, Sylvia Aymonino zeichnete für die eher heutigen Kostüme verantwortlich : ein guter optischer Rahmen für einen spritzigen, musikalischen Abend.
Riccardo Frizza zog am Pult des delikaten Verdi bietenden Orchesters „Filarmonica Arturo Toscanini“ erfrischend und das Geschehen immer anspornend die Fäden , hatte hörbar eine präzise Einstudierungsarbeit geboten.
Ein spielfreudiges Ensemble war aufgeboten – geschlossen und ohne irgendwelche sich in den Vordergrund setzende du spielende Protagonisten. Roberto De Candia stand als Protagonist trotzdem im Mittelpunkt , mühelos durchmaß er mit seinem noblen Baßbariton die Partie, stieß in keinem Moment an Grenzen und war auch als Figur sehr überzeugend. Ein attackierender Ford mit kernigem Bariton war Giorgio Caoduro, während der Spanier Juan Francisco Gatell schöne Kantilenen und einen schlanken, und Gott sei Dank keineswegs säuselnden Tenor hören ließ, der die Rolle des Fenton aufwertete. Der „secondo tenore“ – Dr. Cajus war bei Gregory Bonfatti in guten Händen, die beiden „Schurken“ Bardolfo und Pistola wurden von Andrea Giovannini und Federico Benetti rollendeckend dargestellt.
Bei den Damen führte Amarilli Nizza als hervorragende Alice die Riege souverän an, vokal mit ihrem – unter anderem „Aida“ erprobten – Sopran vor keine Probleme gestellt, bot sie auch den so notwendigen, augenzwinkernden Humor und erwies sich als exzellente Darstellerin. Ihre Tochter Nanetta war bei Damiana Mizzi in besten Händen, der man die angesagte Indisposition nicht im Geringsten anhörte, und die mit ihrem frischen, höhensicheren Sopran liebliche Phrasen beisteuerte. Als Mrs. Quickly machte die eher als Spezialistin für Alte Musik bekannte Sonia Prina sehr gute Figur, orgelte ihr „Reverenza“ und war sehr bühnenpräsent; Jurgita Adamonyte komplettierte als Meg Page mit angenehm timbriertem Mezzo.
Freundlicher Beifall im fast ausverkauften „Teatro Regio“, der sich auf alle Mitwirkenden verteilte.
Teatro Farnese, 6.10. „Stiffelio“
Diese Produktion im herrlichen großen Holztheaterbau des „Teatro Farnese“ , das im Palazzo Pilotta integriert ist war ein „Experiment“, da das Publikum dazu eingeladen war „mitzumachen“! Das hieß im Konkreten, dass es keine Sitzplätze gab, man während des Ablaufes im „Parkett“ des unbestuhlten Hauses, wo drei fahrbare etwa 3 x3 Meter messende Podeste die Hauptspielfläche für die Protagonisten boten, nach Belieben herumspazieren oder einfach stehen bleiben konnte. Unter dieses Publikum mischten sich auch Choristen und Statisten, man wusste nie, mit wem man es als „Nachbarn“ zu tun hatte, da eben alle inclusive einem selbst mit Kärtchen „Mitwirkende“ gekennzeichnet waren. Mitglieder des Chores und Statisten bevölkerten aber auch die ansteigenden Stufen des ursprünglich für die Besucher vorgesehenen arena-artigen Areals, und große Plakate und Spruchbänder ließen schon beim Betrete erkennen, daß es sich um keine „normale“ Inszenierung handeln würde. Auf der einen Seite war: „Wir retten die Familie“ zu lesen, auf der gegenüberliegenden Seite wurde für die sogenannte „Freiheit“ geworben; welche damit gemeint war wurde klar, als während des Ablaufes zahlreiche homoerotische Pärchen „zur Sache kamen“ ( unmittelbar neben mir begannen sich zwei Mädchen intensiv zu umarmen und zu küssen , welche gleich von Interessierten mit Handys fotografiert und gefilmt wurden – auch das war möglich und niemand wurde daran gehindert. „Sektierer“ wandelte mit Gebetbüchern und Bibeln durch die Menge, zum Teil entrückt schauend, Männer fielen zu Boden und entkleideten sich unter Zuckungen, und bei „passenden Stellen“ konnte es schon vorkommen, daß einem eine Choristin um den Hals fiel – leider war es bei mir nicht eine der zahlreichen Attraktiven…! Aber Spaß beiseite, die Geschichte der verführten, ehebrecherischen Pastorsgattin Lina, der ihr Gemahl Stiffelio letztendlich doch verzeiht , indem er die Geschichte vom Werfen des ersten Steines der ohne Schuld sei zitiert, wurde von Regisseur Graham Vick da ziemlich mit Dingen überfrachtet, die mit dem Stück sehr schwer in direkte Verbindung zu bringen sind. Ausserdem gab es einige geschmackliche Entgleisungen – zu Beginn des dritten Aktes etwa ein auf der „Bühne“ wild über sich „herfallendes“ schwules Pärchen, das von heranstürmenden Priestern brutal getreten und gezüchtigt wird, dass der Mord vom Vater Stankar an dem Verführer seiner Tochter besonders „zelebriert wurde ( er schnitt ihm die Kehle durch , und stach mit dem Messer noch Dutzende Takte darin herum) oder der „Ritt“ der Lina auf Raffaele , während ihrer Cabaletta – nicht dem Libretto gemäß und mehr als entbehrlich! Lina hatte man außerdem in ein furchtbares Kleid gesteckt, das die Figur sehr unvorteilhaft betonte und eher zu einer Putzfrau gepasst hätte ( Szene und Kostüme: Mauro Tinti)
Interessant war jedoch, daß das Publikum so leise und konzentriert bei der Sache war wie schon lange nicht mehr von mir erlebt. Es war schon spannend, unbestritten. Begeisternd aber war die musikalische Seite! Das Orchester war in einem Eck ( links vorne vor der vorgesehenen Original-Bühne platziert, mit Maestro Garcia-Calvo mit dem Rücken zur Wand, sodass er den ganzen Raum überblicken konnte. Für die Sänger waren an einigen Stellen auch Bildschirme montiert, um den Kontakt – ähnlich einer großen Freilichtaufführung – zu behalten. Nun, um es vorweg zu nehmen, die zwei Monate Probenzeit waren offensichtlich toll genutzt worden, es gab keinen einzigen gröberen „Wackler“, trotz der extremen Entfernungen und den weiten Distanzen gelangen auch die im „Stiffelio“ zahlreichen und herrlichen Ensembles mitreissend und perfekt, auch dank der hervorragenden Akustik des Holzhauses, man fühlte sich in Verdischen, himmlischen Klangwolken geradezu schwebend. Das Orchester und der Chor des „Teatro Comunale Bologna“ – es handelt sich um eine Co-Produktion mit der Hauptstadt der Emilia-Romagna – spielte unheimlich konzentriert und mit Verve die zündenden Melodien, Guillermo Garcia Calvo zog mit sparsamen aber umso effizienteren Gesten die Fäden, koordinierte das Geschehen mit Geschick und Geschmack und so erschien alles völlig organisch, mit federnden Tempi und dem notwendigen „Drive“.
Mit der Interpretation des „Galeerenjahren Otellos“ – Stiffelio wurde 1850 nach „Luisa Miller“ und vor „Rigoletto“ als 16. Oper des Bussetaner Meisters in Trieste uraufgeführt – hat Luciano Ganci nachdrücklich bestätigt, dass er zur ersten Riege der heute auf den Bühnen tätigen Tenöre gehört. Sein mediterranes Timbre, sein bestens fokussierter Tenor, der ihn für sowohl „Lirico“ als auch „Lirico spinto“ Rollen prädestiniert wurde ohne Ermüdung mit bester Phrasierung, „grinta“ und Höhenglanz eingesetzt – die acuti gehen richtig auf –auch seine Gestaltung der Partie und seine Präsenz verdienen Achtung. Auch ohne Arie ! – erst in der umgearbeiteten Version als „Aroldo“ bedachte Verdi den Protagonisten mit einem kurzen Arioso ( „Sotto il sol di Siria ardente „) – bestach er in en Duetten und dominierte die zahlreichen Ensembles – bravo! Seine Ehefrau Lina , die mit dafür gleich mit zwei Arien und einer Cabaletta aufwarten kann, war mit Maria Katzarava ebenfalls hervorragend besetzt. Die kleingewachsene Mexikanerin, die mitten im Karriere Start ist, gefiel mit einem ausgewogenen, höhensicheren und qualitätsvollen Sopran, und versuchte auch der Figur Konturen zu geben, was unter den gegebenen Umständen nicht gerade leicht war. Dritter im Bunde der Protagonisten war Francesco Landolfi. Der aus Caserta stammende Bariton kam erst im Laufe des Abends voll in Fahrt, holte sich mit seiner Solo-Szene verdienten Applaus, davor klangen manche Passagen seines an sich kernigen Baritons ein wenig fahl. Der Verdi-Stil und eine engagierte Darstellung waren auch ihm zu Gute zu halten.
Außergewöhnlich positiv fielen die Comprimarii auf! So war als Raffaele der junge, aus Como stammende Tenor Giovanni Sala eine veritable Entdeckung, schönes Stimmaterial und dessen gute Behandlung und Führung lassen auf ein Wiederhören gespannt sein, und mit markanten Basstönen begann Emanuele Cordaro als Jorg den Abend sehr vielversprechend. Auch der aus Mazedonien stammende Blagoj Nacoski als Federico und Cecilia Bernini als Dorotea waren Luxus-Besetzungen.
Ein außergewöhnlicher Theaterabend wurde frenetisch gefeiert! Natürlich ist anzumerken, daß es für das doch mehrheitlich aus reiferen Jahrgängen bestehende Publikum anstrengend war ( für besonders Gebrechliche gab es ein paar Sitzgelegenheiten , die waren allerdings limitiert, und als eine Dame aus unserer Gruppe aufgrund einer Operation nach der Pause bereits ermattet war und sich auch setzen wollte, wurde sie gnadenlos abgewiesen !! ) und Preise von 155 Euro für „Stehplätze“ doch ein wenig hoch erscheinen.
Teatro Regio , 7.10. „Messa da Requiem“
Als „Verdis beste Oper“ bezeichnen manche das am 22.Mai 1874 in der Mailänder Kirche San Marco am ersten Todestag des von Verdi besonders verehrten Dichters Alessandro Manzoni , einer besonderen Identifikationsfigur des „Risorgimento“, uraufgeführte Requiem. Ein wahrhaft außergewöhnliches Werk mit außergewöhnlichen Ansprüchen an alle Ausführenden.
Es war eine sehr gute, aber – leider – keine „besondere“ Aufführung, soviel sei vorweg genommen.
Der „Coro del Teatro Regio di Parma“ unter Martino Faggiani war mit Volldampf bei der Sache und machte seine Sache sehr gut. Die „Filarmonica Arturo Toscanini“ entfalteten auch gewaltige Klangeruptionen, in denen die Solisten manchmal ein wenig untergingen beziehungsweise leise erschienen. Außerdem waren von meinem Platz in einer zentralen Loge des dritten Ranges die Blechbläser zeitweilig zu sehr dominant. Der von mir sehr geschätzte Daniele Callegari versuchte sein Möglichstes und koordinierte die Klangmassen, versuchte auch Akzente zu setzen, die „letzte Erfüllung“ blieb diesmal jedoch verwehrt. Auch das Solistenquartett war zu inhomogen. Die beiden Frauenstimmen waren von der Klangfarbe kaum zu unterscheiden, die hochgelobte und im Dauereinsatz befindliche Anna Pirozzi sang ohne Probleme, aber auch ohne besondere Höhepunkte den Sopran-Part, während Veronica Simeoni leider zu blass blieb, ihr sehr „sopraniler“ Mezzo blieb einiges schuldig. Positiv überraschte mich Antonio Poli, seine Stimme ist gewachsen, sehr schön auch das piano im „Hostias“. Mit Abstand bester Solist war damit Riccardo Zanellato, der mit pastosem Baß und bester Phrasierung eine exzellente Leistung bot.
Viel Applaus für alle Mitwirkenden.
Teatro Regio, 8.10. „Jerusaleme“
Es gibt sie noch, Gott sei Dank, Regisseure die ein Werk aufregend und werkgetreu auf die Bühne stellen können, die dem Auge etwas bieten, woran man sich geradezu ergötzen kann! Das ist nichts Schlechtes und schon gar nichts „Verstaubtes“ , wie uns so viele „fortschrittliche“ Besserwisser einzureden versuchen! Hugo de Ana ist dieser Meister, ein wahrer Künstler – Kunst kommt immer auch von Können ! – ein Magier, der einen Rahme zaubert, in dem sich die Musik -musikalischer Magier war Daniele Callegari am Pult ! – entfalten kann, wo eine Symbiose stattfindet, wo tatsächlich „Musiktheater“ passiert!
Der in Buenos Aires geborene Regisseur , meistens wie hier auch für Szene und Kostüme verantwortlich bot hier eine Traumausstattung , farbenprächtige, geschmackvolle zu Ort und Zeit passende Kostüme ( heute ja erschreckenderweise zur Ausnahme geworden!) die die Charaktere unterstützten und Stimmung erzeugen. Mit Hilfe von Licht – Valerio Alfieri – und Projektionen auf Gazevorhängen – Sergio Metalli – wurden hier die Schauplätze der Kreuzfahrergeschichte, die Verdi ja ursprünglich schon 1843 in seinem vierten Werk, den „Lombardi alla prima crociata“ komponiert hatte, und die dann vier Jahre später in Paris umgearbeitet und mit neuen Teilen angereichert als „Jerusaleme“ herauskam, bestens illustriert. Die Wüste Palästinas etwa war so phantastisch nachgebildet, sogar Sand wurde auf den glatten, spiegelnden Boden heruntergekippt, die Spuren der agierenden Personen wurden sichtbar, jedes Detail war stimmig – es ist kaum zu beschreiben, das muss man einfach gesehen haben ( Erfreulicherweise ist es eine Coproduktion, man wird das Spettacolo auch in Monte Carlo sehen können! ).
Die „Filarmonica Arturo Toscanini“ präsentierten sich von ihrer besten Seite, unter Maestro Callegari, der die Gruppen mit Verdischer Glut geradezu befeuerte und den Solisten auf der Bühne ein gefühlvoller Begleiter war ( warum er noch nie in Wien dirigiert hat, ist mir ein unverständliches Rätsel! ) . Der „Coro del Teatro Regio di Parma“ unter Martino Faggiani agierte in Hochform und erhielt für „O signore“ nicht nur Ovationen sondern auch zahlreiche – leider nicht erfüllte – „Bis“-Rufe !
Sensationell gestaltete Michele Pertusi den bösen und dann geläuterten Roger. Niemand kann ihm wohl diese Partie mit der gleichen Intensität, der Stimmschönheit, dem perfekten Verdi-Stil so nachsingen. Dabei benötigt die Rolle vom Heldenbariton bis zum Basso profondo alle Noten, die er tatsächlich auch „hatte“ –sein Baß strömte und hatte auch die Kraft gehörig aufzutrumpfen. Als Akteur war er bühnenbeherrschend und ließ auch hier keinen Wunsch offen – superb! Erfreulicherweise war auch Ramon Vargas, der zum ersten mal die Rolle des Gaston gesungen hat auf der vollen Höhe seines Könnens. Sein Tenor klang ausgeruht und frisch, mit der einzig bekannten Arie des Werkes „räumte“ er ab. Einzig Annick Massis konnte da nicht mithalten. Zwar durchdrang sie mit scharfen Tönen die Ensembles und hatte die Höhen, aber es fehlte der sympathischen Sängerin, die ich bisher eher mit Koloraturpartien in Verbindung gebracht hatte die stimmliche Fülle und Wärme, die diese komplexe Verdirolle verlangt hätte. Wiederum durchwegs sehr gut die Comprimarii , angeführt von Pablo Galvez als Comte di Toulouse. Auch Valentina Boi ließ mit fülligem Material in der kleinen Rolle der Isaure aufhorchen, sehr gut ergänzten weiters Deyan Vatchkov – Ademar und Paolo Antognetti – Raymond, als auch Massimiliano Catellani als Emir von Ramla.
Großer Jubel und viele „Bravi“ beendeten diesen erfüllenden Nachmittag!
Abschliessend ein großes Kompliment an die Leiterin des Festivals Anna Maria Meo, die neben den grossen Aufführungen – in Busseto wurde im „Teatro Verdi“ noch eine „Traviata“ mit jungen Sängern gegeben – auch jede Menge kleine Konzerte, Serenaden, Aktionen für Alt und Jung auf die Füsse gestellt hat. Außerdem scheint es ihr endlich gelungen zu sein, der ganzen Stadt einen gewisen „Festival-Anstrich“ zu verpassen: überall wird auf das Festival hingewiesen, auch in diversen Auslegen , etc. Brava! Bitte weiter so!
In diese Sinne: Viva Verdi!
Michael Tanzler