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PARIS/Bastille: SIEGFRIED – Wiederaufnahme

10.04.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

PARIS / BASTILLE: SIEGFRIED WA am 3.4.2013


Torsten Kerl (Siegfried) und Peter Lobert (Fafner) im 2. Aufzug. Foto: Elisa Haberer

 Selten ist einem „Ring“-Regisseur beim „Siegfried“, dem (vermeintlichen) Scherzo der Tetralogie von Richard Wagner, dermaßen die gestalterische Luft ausgegangen, wie Günther Krämer mit seiner Inszenierung des zweiten Tages des „Ring des Nibelungen“ an der Opéra de la Bastille in Paris. Nachdem schon in der „Walküre“ der im „Rheingold“ noch ganz ansprechend und nachvollziehbar gesponnene Faden der deutschen Großmannssucht, im Hinblick auf die neidvoll betrachteten Metropolen Paris und London der Franzosen und Engländer ein GERMANIA zu schaffen, langsam aber sicher in szenischer Banalität und Beliebigkeit verpuffte, setzte er zumindest mit den ersten beiden Aufzügen des „Siegfried“ noch eins drauf an konzeptionsloser bzw. -verlustiger Theatralik. Diese „Siegfried“-Inszenierung wurde vom Rezensenten schon im April 2011 hier ausführlich besprochen. Krämer verfiel in den Bühnenbildern von Jürgen Bäckmann, die von Diego Leetz beleuchtet wurden, und mit den recht gewöhnungsbedürftigen Kostümen von Falk Bauer im 1. Aufzug in eine klamottenartig trivialisierende Ästhetik. Er zeigte so ziemlich alles, was einem an Stereotypen zum Deutschtum nur einfallen kann: Die obligaten Gartenzwerge im deutschen Schrebergarten-Idyll, Fliegenpilze, rot-weiß-karierte Tischdecken, der deutsche Tannen- bzw. Weihnachtsbaum, rote Hütchen-Lampenschirme – adrett auf einer Deckenlampe auf Hirschgeweihen platziert, welche nach mannhaft bestandener „Großwildjagd“ heimgebracht worden waren. Auch wenn Siegfrieds Kostüm sich von der unansehnlichen 68er Latzhose 2011 nun in jenes der „Parsifal“ Herheim-Produktion in Bayreuth gewandelt hat, also eine Art Matrosenanzug mit kurzen Hosen und Ringelsocken – lag dies doch nur im Trend von Krämers verballhornendem Regiekonzept, das (nur) nebenbei immer wieder auch in krassem Gegensatz zur „Siegfried“-Musik steht. Hier galt wohl das Prinzip “Prima la caricatura, doppio la sostanza.” Allerhand déjà vus aus anderen Inszenierungen laufen vor uns ab, die das Erlebte nicht unbedingt abwechslungsreicher gestalten, zumal wenn man die anderen Produktionen kennt…

 Im 2. Aufzug geht es in diesem Stil mehr oder weniger weiter. Fafner, ein bräsiger amerikanischer GI im Afghanistan-Einsatz, lässt sein Gold, MPs in Waffenkisten, von einer Gruppe nackter Männer bewachen, um sich schließlich doch nur mit einem Holzbrett gegen Siegfried zu verteidigen und von diesem in Kasperl-Manier abgepiekst zu werden. Das Enthaupten Mimes durch den Ziehsohn und die Herumspielerei mit seinem Kopf fällt in die Kategorie „abstoßend“, en fait – dégoûtant. Der sich langsam hebende und senkende Waldvorhang erinnert zudem an die Theater-Ästhetik vor 100 Jahren. Auch die junge Dame im Soldatenanzug mit Schaffnerkappe, die Siegfrieds Blas-Versuche am Rohr dirigiert, erscheint entbehrlich. Der Waldvogel wird zudem von Elena Tsallagova etwas piepsig und damit noch erschwerend aus dem Off gesungen. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke mit blonder Damenperücke, Holzschuhen und schlampig getragenen Jeans spielt den Mime offenbar als Zwitter – differenziert und agil, seine tenorale Ausstrahlung bleibt etwas blass. Peter Lobert singt den Fafner mit profundem Bass und guter Diktion. Peter Sidhom liefert als Alberich zwar eine interessante Charakterstudie. Stimmlich neigt er über die Maßen zum Sprechgesang bei wenig Resonanz, ja er klingt bisweilen gar etwas abgesungen.

 Der 3. Aufzug – endlich – ist um so viel besser gelungen, dass man meinen könnte, Krämer habe ähnlich dem Komponisten eine längere Schaffenspause eingelegt. Die düstere Szene in einer Bibliothek, wo offenbar nach Sinn, Vergangenheit und Zukunft der Welt geforscht wird, und in der Erda über einem Folianten tief in existenziellen Gedanken versunken ist, hat eine starke Ausstrahlung. Durch die exzellent dramatisierte Auseinandersetzung zwischen Urmutter und Wanderer um das Symbol seiner (verfallenden) Macht herum, den Speer, entwickelt sie große Fallhöhe. Die Szene ist aber auch deshalb so stark, weil hier die beiden besten SängerInnen des Abends agieren. Egils Silins ist ein Wanderer mit sehr kultiviertem Bassbariton, blendenden Höhen, bester Diktion, guter Phrasierung und entsprechender Mimik. Es fehlt der Stimme gelegentlich noch etwas an bassbaritonaler Tiefe. Qiu Lin Zhang ist weiterhin eine Erda der Extraklasse, mit einem profunden und farbigen Alt, der an die große Marga Hoeffgen erinnert. Darstellerisch verleiht sie der Urmutter tiefgründige Bedeutungsschwere, sie war ein Erlebnis!

 Im Finale zwischen Brünhilde und Siegfried ist wieder die optisch eindrucksvolle Riesentreppe zu sehen, auf der neben Brünnhilde auch Wotan schläft – er will wohl auf Nummer Sicher gehen… Eine Gruppe kampfbereiter Germanen-Krieger kauert zur Verteidigung an der Seite. Immerhin sieht man noch das GER, offenbar ein Restbestand aus GERMANIA und dem damit verbundenen Anspruch deutscher Großmannssucht. Siegfried und Brünnhilde finden in der Banalität um einen Küchentisch zusammen – die Entwicklung der Wunschmaid wird uns also von Krämer mit dem Zaunpfahl nahe gebracht. Wo bleibt da die von ihm propagierte Realisierung des „enigmatischen Spiels um Liebe und Tod“?!

 Torsten Kerl als Siegfried verfügt durchaus über heldentenorale Qualitäten. Aber seine Stimme sitzt relativ fest und ist wenig variationsfähig, neigt in der Höhe zur Verhärtung im Klang. Es fehlt auch an Resonanz, die die nötige Klangfülle bescheren würde. Er agiert sehr engagiert und setzt das hier angeforderte, nicht besonders dankbare Rollenprofil bestens um. Eigentlich war nach der enttäuschenden Katharina Dalayman in der Premierenserie Janice Baird für die Pariser „Ring“-Zyklen von Februar bis Juni alternierend mit Alwyn Mellor in der „Walküre“ und im „Siegfried“ sowie Petra Lang in der „Götterdämmerung“ angesetzt. Letztere wird in Paris im Mai ihre erste szenische „Götterdämmerung“-Brünnhilde geben. Alwyn Mellor übernahm nun wohl die Brünnhilde in allen Vorstellungen von „Walküre“ und „Siegfried“. Sie gab die Wotanstochter an diesem Abend darstellerisch überzeugend, viel Emphase und gutem stimmlichem Ausdruck, wenngleich die vier fordernden Höhen gegen Ende der Partie doch aufgesetzt klangen.

 Philippe Jordan stand wieder am Pult des Orchestre de L´Opéra National de Paris und überraschte nun mit einem viel intensiveren und beherzteren Dirigat als noch in der Premierenserie. Bei jener schien er sich nach Dafürhalten des Rezensenten eher an Wagner anzunähern, obwohl auch damals bereits eine klare Steigerung von „Rheingold“ zu „Götterdämmerung“ zu hören war. Vielleicht wirkte nun seine musikalische Leitung des „Parsifal“ in Bayreuth im letzten Sommer nach, den man ja im „Mystischen Abgrund“ wahrlich nicht zu leise dirigieren kann. Nun setzte Jordan wichtige dramatische Akzente, arbeitete intensiver einzelne musikalische Themenkomplexe heraus, sorgte für üppige Dramatik in den rein orchestralen Passagen wie den Vorspielen, dem Zwischenspiel im 3. Aufzug und im emotionalen Finale. Manchmal ging das etwas zu Lasten der Sänger. Aber es scheint, dass Philippe Jordan nach diesen Erfahrungen nun bei Wagner angekommen ist.

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

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