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PARIS/ Théâtre du Chatelet: ORLANDO PALADINO

26.03.2012 | KRITIKEN, Oper

Paris „ORLANDO PALADINO“ Théâtre du Châtelet 25.3. 2012.: Joseph Haydns Opernschalk in einem knallig wilden Manga-Fantasy-Spektakel – ein Fest für Groß und Klein

 Kostümentwurf für Orlando (Nicolas Buffe). Foto: Marie-Noelle Robert

 Der französische Fernsehmoderator und Choreograph der Star Academy Kamel Ouali und der in Japan lebenden Bühnen- und Kostümbildner Nicolas Buffe haben einen Hit gelandet. Sie haben das komisch-heroische Drama um den Konflikt Christen gegen Heiden zur Zeit Karls des Großen samt den aus unerfüllter Liebe dem Wahnsinn verfallenen mittelalterlichen Ritter Orlando in eine Comics-Science-Fiction Parodie der Sonderklasse verpackt. Die optischen Anspielungen auf die Welt der Videospiele, der japanischen Populärkultur und Comics sind so phantasievoll und passend wie die grellen Kostüme aus zitronengelbem, erdbeerrotem und apfelgrünem Lack. Im künstlerischen Universum des innovativen Duos gibt es überdies barockes Maschinentheater und prachtvolle flach-graphische Prospekte zu bestaunen. Das Meisterwerk der italienischen Renaissance „Der wilde Roland“ des Ariost in der Fassung des Textbuchautors Nunziato Porta hat so eine heute mustergültige Interpretation gefunden. Nicolas Buffe hat sich für seine üppig knalligen Dekors und Kostüme frei bei japanischen Super-Helden der 70er wie Kamen Rider, Rider Man oder Go Rangers bzw. bei Videospielen wie Final Fantasy, Super Mario oder Wonder Boy bedient. Die optischen Referenzen erstrecken sich aber auch auf Filme wie Godzilla und Star Wars sowie amerikanische Cartoons wie Tex Avery, Disney oder Fleischer. Ein Artistentrupp, Kampf-Pantomimen und die Handlung doppelt illustrierende Balletteinlagen ergänzen den überschäumenden Kosmos, der arriviertes Opernpublikum und die auffallend vielen Kinder im Publikum gleichermaßen bezaubert.


Pascal Charbonneau (Medoro) und Ekaterinam Bokanova (Angelica). Foto: Marie-Noelle Robert

„Aber passt dieses faszinierende Panoptikum zur Musik von Joseph Haydn?“ werden Sie sich fragen. Lassen Sie den Altmeister Nikolaus Harnoncourt selbst dazu die Antwort geben: “Der witzigste Komponist der Wiener Klassik schrieb diese total durchgedrehte, moderne Oper. Die Verquickung von Pathos mit Ironie, echtem Gefühl mit Parodie, aufgeblasenem Heroismus mit Feigheit, Irrsinn mit dämpfenden Drogen, echten Gefühlen mit Emotionsentgleisungen und schließlich rescher Volkstümlichkeit mit echt überdrehtem Liebeswerben wird durch Haydns geniale Deutung auf die Spitze getrieben. Er mischt sich musikalisch derart ein in das Verwirrspiel, dass gesund oder krank oder drängende Liebesleidenschaft und lebensgefährlicher Wahnsinn nicht mehr unterscheidbar sind. Eine krasse Parodie, die dem Hörer zugleich einen unerbittlichen, schonungslosen Spiegel vorhält. Diese Oper gehört zu dem Besten, ja wenn man es richtig versteht, zeitlos Gültigsten, was es damals im Musiktheater gab.“ Ich meine daher, dass auch der Großteil des Wiener Publikums diese sehr französische Deutung des Meisters aus Rohrau heftig akklamiert hätte.

Ein Grundproblem bei Haydns musikalischem Ernst und Komik, dramatischer Überzeichnung und eigentümlich psychologisierender Musiksprache ist das heutige Fehlen der Zugangsschlüssel und des Wissens des Publikums von 1782 (Uraufführungsdatum). Bei aller Pracht der Musik, der Ensembles, Finali und trotz pemanenter „déjà entendu“ Erlebnisse – vor allem Mozart hat daraus für seine Opern Don Giovanni (1787) und Zauberflöte (1791) jede Menge an Anregungen geschöpft – fehlt dem Hörer im Hier und Jetzt ein vergleichbarer unmittelbarer Zugang zu den musikalischen Affekten wie etwa bei Vivaldi („Orlando furioso“) oder Händel („Orlando“). Nicht à priori wegen der (fragwürdigen bis schlechten) Libretti gehören Haydns Opern nicht zum Welt-Standardrepertoire. Auch nicht aus Mangel an kompositorischer Qualität oder Originalität der Partituren. Es ist vielmehr die Musik mit ihrer schwer nachvollziehbaren Ironie, ihrem kokett dreideutigen Augenzwinkern und ihren dramaturgischen Rösselsprüngen, die nicht selbstverständlich zu Herzen geht. Zu fein, zu gut getarnt ist der Witz, zu „intellektuell“ der Funke. Das wird umso ohrenfälliger, als die musikalische Umsetzung nicht über solides Mittelmaß hinauskommt. Die Stück-Ensembleleistung als Ganzes ist zu rühmen, wenn gleich nur der Pasquale des interessant klingenden und spielfreudigen italienischen Baritons Bruno Taddia über echte Klasse verfügt. Gemeinsam mit seiner giftgrün gewandeten Eurilla (Raquel Camarinha) lassen sie bereits Mozarts Papageno und Papagena erahnen. Der furchterregende Frankenritter Orlando im Kabuki-Theater Habitus, der Angelica (achtbar Ekaterina Bakanova) als einziger echt und aufrecht liebt, liegt beim aus Kroatien stammenden Tenor Kresimir Spicer in guten, wenn auch nicht in besten Händen. Der sanfte Liebling der Angelica, der schöne Sarazenenkrieger Medoro, findet in Pascal Charbonneau einen rollenadäquaten Interpreten in Mister Bean Allüre. Der blindwütig metzelnde heidnische Sarazene Rodomonte wird von Joan Martín-Royo augenrollend und im Samurai-Outfit gar fürchterlich in Szene gesetzt. Last but not least die Fee Alcina in einem spektakulären Cruella-Kostüm wie dem Film „101 Dalmatiner“ entsprungen (Anna Goryachova), die dem Liebespaar Angelica und Medoro stets hilfreich zur Seite steht. Zuerst verwandelt sie Orlando in Stein, zuletzt lässt sie ihm vom Fährmann Caronte (Adam Palka) einen Trank verabreichen, der ihn seine Liebe zu Angelika schlicht und einfach vergessen lässt.


Orlando kämpft mit dem Drachen. Foto: Marie-Noelle Robert

Im Graben gibt Jean-Christophe Spinosi mit seinem Ensemble Matheus, schon das sechste Jahr in Residenz im Châtelet, den Ton an. Mit großer Geste liegen ihm die schrillen, rasanten Phrasen mehr als die lyrisch empfindsamen Arien. Die Entwicklung und das Ausschwingen Lassen musikalischer Bögen sind seine Sache nicht. Insgesamt gefällt mir Spinosis Haydn aber dennoch besser als etwa seine Sichtweise von Mozarts Cosi fan tutte. Wie dem auch sei, allein für die Programmierung der Haydn Rarität und den großen Teamgeist ist ihm hohe Anerkennung zu zollen. Wann erlebt man schon, dass gerade bei einer Haydn Oper ein durchwegs junges Publikum die (Pariser) Opernkassen stürmt.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

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