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PARIS/ Salle Pleyel: WAGNER KONZERTANT mit Marek Janowski

PARIS „WAGNER KONZERT mit MAREK JANOWSKI“ Salle Pleyel 6.1.2013

Noble Hymnen an Erd- und Luftgeister, Wasser und Feuer


Violeta Urmana (hier als „Norma“ in Dresden). Foto: Matthias Creutziger

 Ein Riesenblumenstrauss für Marek Janowski: Das in Höchstform aufspielende Orchestre Philharmonique de Radio France dankt dem großen polnisch-deutschen Kapellmeister nach zwei außerordentlichen Wagner Konzerten im 200. Geburtstagsjahr des Bayreuther Meisters mit weißen Rosen. Violeta Urmana singt einen überwältigenden Götterdämmerungs-Schlussgesang.

 Paris startet mit einem musikalischen Höhepunkt das Wagner-Jahr 2013. Es ist noch einige Zeit hin bis zum 22. Mai. Dennoch darf die Salle Pleyel für sich in Anspruch nehmen, früh im Jahr mit Ausschnitten aus Der fliegende Holländer, Lohengrin, Tannhäuser und Tristan (4.1.) und aus Parsifal, Siegfried-Idyll und Götterdämmerung (6.1.) Wagner und seinem Pariser Publikum eine vollendete Reverenz erwiesen zu haben.

 Spiritus Rector des Unterfangens ist der Dirigent Marek Janowski, der in dem vom Rezensenten besuchten Konzert am Stephanitag die Goldene Wagner-Mastercard ohne Kreditlimit gezückt hat. Selten noch hat man den Karfreitagszauber und das Siegfried Idyll so transparent im ruhigen Fluss, in seiner thematischen Klar- und Kühnheit so voll von zauberhaften Geheimnissen, im Wissen um musikalische Strukturen so unerhört erblüht wie einen paradiesischen Blumengarten vernommen. Und das nicht mit einem der weltberühmten europäischen Klangkörper, sondern mit dem an diesem Winter-Sonntagnachmittag bestens vorbereiteten und disponierten Pariser Rundfunkorchester. Mir sind sofort Horst Stein und Heinrich Hollreiser eingefallen, beide ebenso Edelkapellmeister, die auf ähnlich unaufgeregte Weise wie Janowski an der Wiener Staatsoper etwa bei Parsifal oder Tristan für große Wirkung gesorgt haben.

 „Das dankt dann alle Kreatur, was all da blüht und bald erstirbt, da die entsündigte Natur heut ihren Unschuldstag erwirbt…“ Mit diesen programmatischen Worten endet etwas abrupt wie ein ungeschriebenes Motto des Konzerts der an dessen Beginn stehende Ausschnitt aus Parsifal. Alles beschwört in den dargebotenen Partien die Natur. Wagner hat es wie kein zweiter vor ihm und nur wenige nach ihm verstanden, den Elementen gewaltige musikalische Denkmäler zu errichten und die Menschen im Universum an ihren Platz zu (ver)weisen. Die Natur wird uns alle überstehen. Das Werden und Blühen, das mächtige Rauschen von Wasser, das Momento Mori im Trauermarsch, von Flammen verzehrte Götter sind des klingende Symbole.

 Dem Orchester und seinem Dirigenten, der bald einen neuen vielbeachteten Wagner-Zyklus für CD vollendet haben wird, gelingen magische Hörbilder. Die Farben der Instrumente sind an der Seine, am Mittelmehr und Atlantik freilich heller als am Rhein, der Elbe oder der Spree. Das tut der Wirkung keinen Abbruch. Die lichte Transparenz der Streicher vermählt sich mit dem dunkleren Kupfer der Posaunen und Hörner. Flöten, Oboen, Klarinette und Fagott tragen behutsam den hellblauen Schleier. Pauken und Harfen edeln kontrapunktisch eine leider viel zu wenig gerühmte französische Orchesterkultur, die dem Konzertbesucher unvergessliche Eindrücke vermittelt.

 Dafür sorgen auch exzellente Solisten. Der heute im schwersten Fach wohl unüberbotene Wagner-Heldentenor Stephen Gould überzeugt auch, wenn er lyrische Piani und mezza voce singt. Man würde sich von ihm mehr Lohengrin und Parsifal, vielleicht auch italienische Partien wünschen. Das würde dem für Tannhäuser, Siegfried und Tristan prädestinierten Material sicher nicht schaden. Albert Dohmen steht ihm als Gurnemanz gekonnt zur Seite. Vom Stimmvolumen her weniger leistungsfähig, gelingt ihm dennoch der schöne Karfreitagszauber-Ton. Die beeindruckendste Leistung bietet Violeta Urmana als Brünnhilde. Ihr mezzogestählter Spintosopran meistert alle vokalen Hürden des Götterdämmerungsschlusses, im musikalischen Ausdruck bleibt kein Wunsch offen. Um klar zu sein: klassisch hochdramatisch ist Urmanas Stimme nicht und wird sie auch nicht werden. Ein Schicksal, das sie mit vielen Brünnhilden und Isolden von heute teilt. Dennoch sind ihre ruhige Stimmführung, die sichere Mittellage und expansive Höhe, die musikdramatisch kluge Disposition und Phrasierung wesentliche Qualitätssiegel für die vokal genuine Gestaltung einer Brünnhilde. Letztlich geht es darum, ob es einer Stimme gelingt, als Figur zu berühren. Und das tut die Sängerin Urmana allemal, zumal ihr vokales Können immer im Dienste einer künstlerisch klugen Interpretation steht.

 Insgesamt konnte man also ein hervorragendes, außerordentliches Wagner-Konzert erleben. Musik pur unbeeinträchtigt von abstrusen Regieeinfällen oder optischer Ablenkung. Herrlich!

 Ingobert Waltenberger

 

 

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