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PARIS Opera National DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL 24.10.2014

25.10.2014 | KRITIKEN, Oper

PARIS : Opéra National de Paris     24. 10. 2014
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

 L’Enlèvement au sérail

 

 Eine Operninszenierung einer Filmschauspielerin für Kino-Publikum

 Wer erinnert sich noch an die wunderbare Inszenierung von Giorgio Strehler, die 1965 bei den Salzburger Festspielen ganz neue Maßstäbe setzte in den Inszenierungen der Mozart-Opern und viele Jahre an den großen europäischen Opernhäusern nachgespielt wurde? So auch 1984 im Palais Garnier. Nach einer solchen Perfektion hat sich in Paris kein Intendant mehr an die „Entführung“ gewagt. Es ist also sehr zu begrüßen, dass Nicolas Joël dreißig Jahre später eine neue Inszenierung angesetzt hat. Er wählte dafür die Schauspielerin  Zabou Breitman, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass sie – gleichzeitig auch Film- und Theaterregisseurin – etwas anfangen könnte mit den vielen gesprochenen Dialogen dieses nicht leicht zu inszenierenden „Singspiels“.

 Der Anfang des Abends ist originell und vielversprechend. Vor dem geschlossenen Vorhang nehmen drei Musiker in orientalischer Kleidung Platz und spielen während der Ouvertüre die „türkischen“ Instrumente, an denen Mozart so viel lag (und worüber er in seinen Briefen an seinen Vater so ausführlich berichtet). Noch nie haben wir sie so gut gehört (denn sonst spielen sie mit dem ganzen Orchester im Graben). Dazu gab es Film-Projektionen wie in einem Stummfilm der Zwanziger Jahre, in denen die Protagonisten vorgestellt werden. Wir sehen durch ein Fernrohr „die schöne Konstanze“, „Blonde“ und den „treuen Diener Pedrillo“, wie sie gut gelaunt auf ihren Kamelen durch die Wüste reiten. Doch dann wird ihre Karawane überfallen… Alle Szenen und Motive passen perfekt zur Musik, in der „der mutige Belmonte“ aufbricht, um seine Geliebte zu befreien. Bei hochfahrendem Vorhang sehen wir den jungen Mann auf einem Boot ankommen in einem orientalischen Palast wie aus dem Bilderbuch. Es ist das letzte Bühnenbild von Jean-Marc Stehlé, der ein Jahr vor Probenanfang verstarb und so seinem Entwurf nicht den letzten Schliff geben konnte. Aber dafür sind die Kostüme von Arielle Chanty wirklich perfekt. So genaue Charakterisierungen der Figuren haben wir schon seit Jahren nicht mehr auf einer Opernbühne gesehen. Und eine optisch so schöne Besetzung ist auch eine Seltenheit: Jeder Sänger sieht genau so aus wie man sich seine Figur vorstellt. So nimmt man dem blonden Bernard Richter seine anfängliche Unsicherheit nicht übel, Belmonte steigt ja gerade aus seinem Boot und weiß bei seiner ersten Arie „Hier soll ich dich denn sehen“ ja nicht, wo genau er gelandet ist. Doch bei dem folgenden Lied des Osmin schlägt die Stimmung um. Osmin wurde im Prolog als „sehr grausam“ vorgestellt und Lars Woldt hatte vor der Kamera furchterregend mit seinen Augen gerollt. Doch nun steht er mit seinem Körbchen Feigen an der Rampe und singt seine drei Strophen genau so brav und unbeweglich wie Belmonte vor ihm. Spätestens jetzt hat der ganze Saal begriffen, dass die Regisseurin nicht die leiseste Ahnung von Opernregie hat und vollkommen unfähig ist, den Arien einen tieferen Sinn und eine Entwicklung zu geben. Zugegeben, es ist nicht leicht, und sie hat keinerlei Erfahrung damit (es ist ihr Debüt an der Oper). Um diese Unfähigkeit zu kaschieren, wird ein ganzes Arsenal an Tänzern und Statisten auf die Bühne geholt, die für viel „Bewegung“ sorgen, die aber leider von der eigentlichen Handlung ablenkt. So treten im Vorspiel von „Martern aller Arten“ zwei Bauchtänzerinnen auf, die auch dafür sorgen dass man Konstanze in dieser, für die Figur so wichtigen Arie, nicht mehr ernst nimmt.

 Und gerade in dieser Situation hat der Dirigent und musikalische Direktor der Oper Philippe Jordan die Entscheidung getroffen, eine möglichst vollständig Fassung des Werkes zu spielen. Er dirigierte alle meist ausgelassenen Reprisen und nahm auch die jüngst wiedergefundenen Noten in die Partitur auf. Das war musikalisch nicht uninteressant, denn es erlaubte ihm, viel mit Nuancen zu spielen und uns zu demonstrieren wie gut er inzwischen mit dem Orchester umgehen kann. Doch damit wurden die Regisseurin und die Sänger völlig überfordert. Sie fragten am Ende den Dirigenten – es gehörte zur Inszenierung – ob man diese Reprise wirklich noch singen sollte“. Dann setzten sich alle, die nicht sangen, auf der Bühne einige Minuten hin, offensichtlich gelangweilt. Was soll man auch noch inszenieren, wenn das Schlussquartett des zweiten Aktes (N°16) mit allen Reprisen mehr als eine Viertelstunde dauert? Die Besetzung war – offensichtlich auch im Hinblick auf die Kinoübertragungen und der geplanten Verfilmung – sehr fotogen, jung, spielfreudig und sah in jeder Hinsicht blendend aus.

 Doch gesanglich wurde keiner der fünf Solisten seiner Rolle wirklich gerecht. Constanze ist eine berüchtigte Partie, an der viele große Sängerinnen regelrecht gescheitert sind. Lynne Dawson ist als Constanze eingesprungen für Aga Winska, der allerersten Finalistin des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs für Gesang, die den größten Vertrag bekam, den je eine Sängerin an der Monnaie in Brüssel unterschrieben hat. Denn Winskas Constanze war ein solches Desaster, dass ihre so vielversprechende Karriere nach nur einer gescheiterten Rolle schon beendet war. Dawson sollte die Constanze danach noch an der Wiener Staatsoper singen, doch sie sagte klugerweise kurz vorher ab – „aus stimmlichen Gründen“. So raten wir Erin Morley, die eine sehr ähnliche Stimme wie Lynne Dawson hat, unbedingt weiter von Konstanze zu lassen. Morley wird bald in Wien als Sophie und an der Met als Olympia debütieren – Rollen die ihr sicher sehr viel besser liegen. Das gilt auch für den Belmonte von Bernard Richter, der teilweise sehr hart an seine stimmlichen und technischen Grenzen stieß, auch wenn er erstaunlich gut durch die „Baumeisterarie“ kam. Anna Prohaska war – zumindest an diesem Abend – die überzeugendste Sängerin auf der Bühne, eine äußerst spielfreudige Blonde, mit allen Spitzentönen, aber leider ohne die nötige Mittellage. Paul Schweinester, auch aus Wien, war ein ungeheuer sympathischer Pedrillo, passte perfekt zu Prohaska, aber auch er kam kaum über das Orchester (nur in der durch die „Mandoline“ begleiteten „Mohrenland“-Arie). Über Lars Woldt haben wir viel Gutes geschrieben (siehe Merker-Interview VII/2013). Er ist und bleibt ein wunderbarer Baculus, für den er unlängste den Österreichischen Theaterpreis bekam. Doch der Osmin liegt, zumindest im Augenblick, noch zu tief für ihn. So kamen seine tiefen Töne trotz „mogeln“ (aus „Ruh“ machte er „dann“) einfach nicht über den Orchestergraben. Der Burgschauspieler Jürgen Maurer spielte nicht den ab- und aufgeklärten Fürsten, den man meistens erlebt (und so wie die Figur wohl gedacht war), sondern einen jungen, kräftigen Bassa Selim voll „Fleisch und Blut“. So überzeugend, dass man am Ende nicht begreift, warum Konstanze nicht bei ihm bleibt…

 Kaiser Joseph II sagte 1782 zu Mozart, nach der Première der „Entführung“ im Burgtheater: „gewaltig viel Noten, lieber Mozart“, worauf der Komponist erwiderte: „Gerade so viel, Eure Majestät, als nötig ist“. Um all diese vielen Noten zu inszenieren braucht man einen Regisseur mit einem soliden Handwerk, der die Sänger durch ihre schwierigen Partien führt. Und nicht eine bekannte Filmschauspielerin, die offensichtlich ohne wirkliche Vorbereitung an der Oper debütiert. Ihr in Frankreich bekannter Name wird für volle Kino-Säle und für ordentliche Film-Einnahmen sorgen. Und mit Mikrophonen auf der Bühne und dauernd wechselnden Kameraeinstellungen wird es vielleicht sogar ein schöner Film. Denn eigentlich wurde diese Produktion fürs Kino inszeniert und nicht für die Oper. Dort hatten die Besucher am Ende der dreistündigen Vorstellung schon zum Grossteil den Saal verlassen…

 
Waldemar Kamer/Paris

Foto: Agathe Poupeney/Opera National de Paris

NACHTRAG der REDAKTION: Die Konstanze der oben beschriebenen Vorstellung in Paris, ERIN MORLEY wird im Dezember auch die GILDA in der Neuinszenierung des Rigoletto an der Wiener Staatsoper singen.

 

 

Fernseh- und Filmübertragung in den (französischen) Kinos am 27. Oktober 2014
Radio-Übertragung am 1. November 2014 (u. a. auf France Musique)
Bis zum 8. November in der Pariser Oper (Palais Garnier): www.operadeparis.fr
Wiederaufnahme vom 21 Januar bis 15 Februar 2015 (mit anderer Besetzung)

 

 

 

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