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PARIS/ Opéra Bastille: ARABELLA – Liebe zweier Schwestern im Designerhotel –

25.06.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

PARIS Opéra de Bastille « ARABELLA » 24.6. 2012. Liebe zweier Schwestern im Designerhotel – Fleming und Kleiter triumphieren


René Fleming als Arabella und Michael Volle als Mandryka. Opéra de Paris, Foto Ian Patrick

Ich gebe es zu: Ja, schlussendlich hat mich diese Vorstellung sehr bewegt. Musiziert wurde auf allen Ebenen luxuriös, nuanciert und sogar raffiniert. Ein Fest der Stimmen und (schrägen) Typen. Bémol: Einfallslos inszeniert wird inmitten einer bedauerlicherweise allzu geschmäcklerischen kahlen Einheitsszenerie und in (zu) schicken Kostümen (Dagmar Niefind) à la Designerhotel Barcelona oder Moskau (Marc Arturo Marelli). Im glatten Ikea/Leiner Look lässt sich wohl kaum die dekadent aristokratische Monarchie Kaiser Franz-Josephs erfühlen.

Moment. Alles der Reihe nach. Arabella ist die sechste und letzte Zusammenarbeit des genialen Duos Richard Strauss – Hugo von Hofmannsthal. Da ist diese vordergründig märchenhafte Geschichte, die in der Belle Epoque rund um eine in jeder Hinsicht bankrotte bürgerliche Familie in einem frivolen Wien des Tanzes und Glücksspiels angesiedelt ist. Der Stadt, die nach Karl Kraus die Wetterstation des Weltuntergangs ist, an einem ,orientalischen‘ Faschingsdienstag. Junge Mädchen aus sogenannt gutem Hause tanzen ihren letzten Walzer in die gar nicht so lustige Geld-Beziehung. Der materielle Wohlstand ist gesichert und das eigene Lebensglück begraben. Auch dann, wenn es sich um einen reichen Erben und groben Holzfällertypen aus der Wallachei (heutiges Rumänien) im Bärenfell handelt. Damit ist Arabella auch ein politisches Statement im Europa der Versailler Verträge um 1920, final eine europäische und historische Reflexion, die uns gar nicht so fremd ist. Dennoch: Am Ende der Geschichte wird geheiratet und alles ist so spießig wie gut? Oder aber sind Vernunft, Gefühl und Tradition Retter im düsteren Nachkriegseuropa?

Die Oper Arabella handelt aus meiner Sicht letztlich nur vom geträumten flüchtigen Glück zweier unglücklicher Frauen, die sich entschlossen haben, allem Schicksal zum Trotz zueinander zu halten. Das ist die eigentlich schöne Botschaft der Oper. Denn dass die beiden Ehen alles andere als harmonisch sein werden, daran kann kein Zweifel bestehen. Zdenka wird mit Matteo einen Mann heiraten, der nach ihrer Schwester Arabella verrückt ist. Die Titelheldin Arabella nimmt wissentlich einen unsympathischen brachialen eifersüchtigen Macho, der schon seiner jungen Braut im ersten Zweifel nicht glaubt. Ihre existenzielle Prüfung, die sie für Zdenka und niemanden sonst besteht. Wie wird das erst in der Ehe sein, fragt man sich bang. Keine leichtgewichtige romantische ironische Komödie aber auch keine bürgerliche Tragödie, zu sehr bewegt sich alles im streng engen sozialen Rahmen.

Was macht die Faszination dieser Oper aus? Ist es das rührselige Duett „Und Du sollst mein Gebieter sein“ oder der Schlussmonolog der Arabella „Das war sehr gut, Mandryka“? Wahrscheinlich ist es die unendlich rührende Zdenka-Geschichte. Ein von romantischer Liebe träumendes Mädel, die in männlichen Dienerkleidern herum irrend, ihre große Liebe lebt, natürlich in der Illusion wie schön das sein könnte, so eine Liebe, wenn alles auf Gegenseitigkeit beruhen würde. Und in einer zynischen Welt der oberflächlichen Gefühle tut sie wirklich alles hin bis zum schier Unmöglichen, was der Ehrlichkeit ihres einzigartigen, nicht korrumpierten Charakters entspricht. Und so würden wir doch alle gerne sein wollen. Weinen wir in Arabella daher vielleicht gerade um diese eigene unwiederbringlich verlorene Unschuld, weil wir wie Arabella wissen, wie das Leben läuft?


Julia Kleiter (Zdenka), Renée Fleming (Arabella). Foto: Ian Patrick

Zur Musik: Julia Kleiter ist diese wunderbare Zdenka, ein perfekt fokussierter lyrischer Sopran, leicht aber nicht leichtfüßig. Rührend weil unspektakulär so gut die Zweite verkörpernd und damit zur Ersten werdend. Freunde der Musik, freuen Sie sich auf ihre Pamina bei den Salzburger Festspielen 2012 unter Harnoncourt. Es ist sicherlich nicht einfach zu bestehen neben Kultsopran René Fleming als Arabella. Sie ist derzeit sicherlich in dieser Rolle weltweit unübertroffen. Ich kann und will mich nicht in die Reihe der Kritiker mischen, die Wortundeutlichkeit und Kälte monieren, vergessend, dass jeder erste Qualitätssopran ein eigenes Blütenarrangement präsentiert und darin manche Farben halt stärker leuchten als andere. Fleming ist eine Kategorie für sich, die unendliche Linienführung in den lyrischen Kantilenen samt Einbindung der höchsten Töne gelingt ihr besser als manchem historischen Vorbild. Natürlich gibt es Abstriche bei den rezitativischen Passagen, aber was soll‘s. Auch darstellerisch in ihrer Mischung aus Hollywood und „Brettldiva“ ist Fleming eine Referenz. Enttäuschend die piepsige Fiakermilli der Iride Martinez aus Costa Rica. Ein kleiner Sonderapplaus für die Kartenaufschlägerin der Iréne Friedli. Adelaide wird von Doris Soffel mit einer guten Portion Klytämnestra ausgestattet, was der Partie erstaunlich gut tut. Beim Ball amüsiert sie sich blendend mit Graf Dominik, der nächste Liebhaber steht damit ins Haus.

Die Männer sind den Frauen als Gesamtmannschaft in dieser Aufführung eine kleine Nasenlänge voraus. Allen voran der Mandryka des Michael Volle. Ein gesellschaftlich unsicherer bis in der Geschlechterrolle grauslich brutaler Landjunker, Elefant im Porzellankasten des Wiener Bagatelladels. Mit kernigem Bassbariton à la Theo Adam ist Volle seinen großen Vorgängern Eberhard Wächter oder Bernd Weikl absolut ebenbürtig. Der Wienerischste in der gesamten Besetzung ist Kurt Rydl als Graf Waldner. Mit nach wie vor Riesenbass verkörpert Rydl als Rittmeister dieses dekadente Wien 1866, eine gescheiterte Spieler- und Alkoholikerexistenz mit Reststücken militärischer Ehre. Welch wohltuend urtümliches Schauspieltalent in dieser sonst ach so blutleeren Inszenierung. Als Matteo einmal kein unterbesetzter Charaktertenor, sondern der tapfere kanadische Tenor Joseph Kaiser. Echter Gegenspieler Mandrykas, im Spiel der bürgerlichen Mächte und Liebesarithmetik jedoch klar unterliegend. Das andere männliche Dreigestirn, die Grafen Elemer, Dominik und Lamoral sind mit Erich Huchet, Edwin Crossley-Mercer und Thomas Dear sehr gut besetzt.

Das Orchester der Oper von Paris wird von Philippe Jordan im Riesenhaus umsichtig geführt. Als präziser Anwalt der Partitur trägt er René Fleming auf Flügeln, gerade weil das akustisch für die Sänger nachteilige Bühnenbild Rücksichtnahme fordert. Jordan hält bei Richard Strauss das, was Thielemann oftmals leider nur verspricht. Ein echter Sängerbegleiter, aber auch ein sinnlicher Tänzer im Reigen des bajuwarischen Wienbarden Richard Strauss. Jordan ist ebenso der Meister der Raum-Klangbalance und führt „seinen“ Klangkörper nunmehr bereits seit Jahren von einem Höhenflug zum anderen. Nur zu wünschen, dass sich diese fruchtbare Chemie auch mit den Wiener Symphonikern einstellt. Einstweilen ist Jordan das absolute Atout und DER Joker der Pariser Oper. Der frenetische Schlussapplaus ist dessen unbestechlicher Zeuge.

Die Regie und Bühne des in Wien seit dem Da Ponte Zyklus an der Volksoper bekannten Marco Arturo Marelli können da beileibe nicht mithalten. Die offene Einheitsszene ist zu glatt, zu leer, farbig allzu „passend gemischt“. Die unvermeidlichen Koffer stehen herum, ein Minitisch für die Briefe. Die Bühne dreht sich, die weißen bis hellblau wolkigen Wandpanele eines 0-8-15 Designer-Hotels gleiten derart frenetisch um die eigene Achse, dass dramaturgisch nichts Überzeugendes entstehen kann. Guten Einfällen, wie die Vervielfachung von Arabella in der Ball Szene als veritable Alptraumsequenz für Mandryka stehen manche Unstimmigkeiten gegenüber. Warum etwa ein Fauteuil aus einem Hotelzimmer von den Pfandleihern weggetragen wird, weil dessen Mieter seine Rechnungen nicht bezahlen kann, soll mir juristisch mal einer erklären. Insgesamt also keine dramaturgischen Erhellungen. Die Musik ist aber so überwältigend, dass (mir) das nicht viel ausgemacht hat. Nicht auszudenken jedoch, sollte diese dem Libretto nicht gerecht werdende Neu-Produktion mit weniger starken Sängern und einem weniger genialen Dirigenten wieder aufgenommen werden.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

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