Anna Sushon, Alexander Kaimbacher. Foto: Andrea Masek
OSSIACH: Österreichische Erstaufführung „DER DOPPELGÄNGER – DVOINIK“ mit Alexander Kaimbacher beim Carinthischen Sommer
30.7. 2018 – Karl Masek
Im Jahr 1969 wurde das Kärntner Edelfestival gegründet. Damals schon mit dem Bestreben, sich von etablierten Festspielen programmatisch zu unterscheiden. Hier gab es schon immer viel zeitgenössische Musik mit bewussten Schwerpunkten. Der Begriff „Composer in Residence“ wurde, so scheint es fast, hier kreiert. Und mit Kirchenopern in der Stiftskirche machte sich Ossiach in besonderer Weise unverwechselbar.
Daraus ergibt sich für mich ein besonderes Erinnerungsblatt: Hier fanden in den späten 70er Jahren durch Kultaufführungen Initialzündungen für zwei lebenslange persönliche Lieblingskomponisten statt. Benjamin Britten (mit der Kirchenoper „Der verlorene Sohn“) und Johann Sebastian Bach (mit der h-Moll-Messe, aufgeführt von der Gächinger Kantorei unter Helmuth Rilling).
Unter der Intendanz von Holger Bleck hat das Festival nach einer gewissen „Durststrecke“ wieder Profil gewonnen. Mit einer Ausweitung und Verbreiterung auf „Klassik, Jazz, Crossover“ gibt es auch konzeptionell eine erfreulich große Bandbreite für ein, ja: breites Publikumssegment.
„Musik wie die Künste waren und sind ein Spiegel unserer Zeit. Der Blick in den Spiegel zeigt uns Vertrautes und durch die Spiegelung zugleich Unbekanntes. Und so ist das Motto der diesjährigen Festspielsaison einem der bekanntesten Kärntner Volkslieder entnommen: ‚Übarn See sing i ume, volla Freud, wia i bin, wia a Spiagl es Wassa, is di Welt uma drin‘ …“
Wia a Spiagl („Wie ein Spiegel“) lautet folgerichtig die Gesamtüberschrift des Carinthischen Sommers 2018.
Der Doppelgänger, die verzerrte und somit groteske Spiegelung, ausgehend von Schuberts Lied „Der Doppelgänger“ aus dem Zyklus ‚Schwanengesang‘, wurde dem Tenor Alexander Kaimbacher überantwortet. Der Kärntner Sänger mit großer internationaler Reputation ist ja quasi ums Eck, in Villach geboren worden und hat seine Kindheit und Jugendjahre hier verbracht, bis es ihn zur weiteren Ausbildung nach Wien zog.
Er darf hier in einem Heimspiel ein künstlerisches „Herzensanliegen“ als Österreichische Erstaufführung“ präsentieren: Das grenzüberschreitende Projekt DVOINIK des 41-jährigen St. Petersburger Komponisten Anton Tanonov, der sich, von Schubert ausgehend, mit dem Doppelgänger – Motiv beschäftigt hat. Es taucht bei Heine, E.T.A. Hoffmann, Jean Paul, Kafka, in einer Erzählung Dostojewskis, auf. Tanonov erzählt die Geschichte(n) in neuen Kompositionen und reichert die „ikonischen Vorbilder“ Schuberts paraphrasierend mit einem „Spaziergang durch die Musikgeschichte“ an. Da gibt es Jazzanklänge, dort wird munteres Crossover betrieben und man wähnt sich urplötzlich in Musicals von „Hair“ bis „Phantom der Oper“.
Aber auch ein Zeitgenosse der Giganten Franz Schubert und Ludwig van Beethoven wird vorgestellt. Johann Vesque von Püttlingen (Pseudonym: Johann Hoven) heißt das Multitalent mit Beamtenlaufbahn, die an Grillparzer erinnert. Eine veritable Entdeckung gleich zu Beginn! Vier Lieder (Der Doppelgänger/Ihr Bild/Die Stadt/ Am Meer) gestaltet Kaimbacher mit Emphase und tiefem Ausdruck, der unter die Haut geht. Da geht ein Sänger gefühls – und ausdrucksmäßig an absolute Grenzen. Da führt einer nicht eine schöne Stimme gepflegt spazieren. Dem gehts um alles, der singt ums Leben, das fühlt ein hingerissenes Publikum – und da gibts auch keine lästigen Rituale wie Hüsteln nach jedem Lied. Und man hat das Gefühl, dieser Johann Hoven, das war kein „Kleinmeister“!
Vokalquintett Pavel Sharomov. Foto: Andrea Masek
DVOINIK hatte die Uraufführung 2013 in Nowosibirsk und war eine Co-Produktion unter Freunden und (Ehe)partnern. Treibende Kräfte waren die Violinistin Anna Sharomova (Idee und Konzept) und Anna Sushon (Klavier und musikalische Leitung). Das sibirische Vokalquintett Pavel Sharomov (stilistische Alleskönner von alter A-capella-Literatur bis zum Musizieren in Pop-‚ Big Band-‚Rock- oder Jazz-Ensembles) stieß dazu. Kaimbacher, der Ehemann von Anna Sushon, war ebenso wie Komponist Tanonov für das Projekt sofort entflammt. Nach triumphalem Premierenerfolg folgten Reprisen in St. Petersburg und nun die ÖEA.
Das mittlerweile traditionsreiche Ensemble „die Reihe“, 1958 von Friedrich Cerha gegründet, bildete das orchestrale Rückgrat für Schubert, „Hoven“ und Tanonov und erwies sich in diesem vielfältigen Stilmix als höchst sattelfest und klanglich gut aufgelegt, gleichzeitig alle Stimmungsfacetten auslotend. „Der Leiermann“ etwa mit Klagegestus, wie er „russischer“ nicht sein kann. „Das Wandern“ mit heutig – witziger Attitüde. Tanonov scheint sich momentweise auch an Gustav Mahlers Montage-Technik orientiert zu haben, wenn Paraphrasen klingen, als würde Freund Hein in dessen 4. Symphonie „aufspielen.
Alexander Kaimbacher identifiziert sich auch hier bis zur Selbstentäußerung, singt in deutscher und russischer Sprache (mit verblüffend perfektem Idiom, wohl perfekt von seiner Frau gecoacht!), ob Wilhelm Müller, ob Ludwig Rellstab, oder die russischen Neudichtungen von Grigorij Arosev, aufwühlend, berührend. Von zart bis hart, von weich bis grell. Von introvertiert bis exzentrisch. Ästhetisch auch das Lichtdesign.
Ensemble „die Reihe“. Copyright: „die reihe“
Ein überaus gelungenes Crossover-Projekt war so richtig geeignet, auch „neues“ und junges Publikum anzuziehen – ohne „altes“ Publikum zu vertreiben. Der Alban Berg Konzertsaal Ossiach war bestens gefüllt, das überaus animierte Publikum jubelte hellauf, erklatschte sich rhythmisch-peitschend zwei a-Capella-Zugaben (á la russe) des formidablen Vokalquintetts. Der Abschluss war dann Schubert pur. Von Kaimbacher so herzbewegend gesungen (Frau Sushon begleitete gleichgestimmt), dass man künftig nicht nur (E.T.A.)Hoffmanns Erzählungen (die von Offenbach) mit ihm sehen und hören mag (gibts eine Opernintendanz, der das einfällt?), sondern auch die gesamte „Winterreise“…
Karl Masek