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NIZZA: TRISTAN UND ISOLDE – Neuinszenierung

13.04.2012 | KRITIKEN, Oper

NIZZA: TRISTAN UND ISOLDE – Neuinszenierung –  6. und 8.4.2012


Jon Frederic West, Catherine Foster, Jukka Rasilainen, Michelle deYoung. Foto: D. Jaussein

Wagner-Regie-Altmeister Hans-Peter Lehmann, von 1959-66 Regieassistent von Wieland Wagner und bis 1973 von Wolfgang Wagner in Bayreuth, inszenierte einen neuen „Tristan“ an der Opéra de Nice. Es war mittlerweile seine 9. Inszenierung dieses Werkes. Auch in Nizza blieb er seiner Maxime treu, die Musikdramen des Bayreuther Meisters aus dem Werk und seiner Aussage heraus zu interpretieren. Dabei lehnt er sich insbesondere an Peter Wapnewski an. Dieser bezeichnet in seinem Buch „Tristan der Held Richard Wagners“ den „Tristan“ als „Wagners persönlichstes Werk, am wenigsten bestimmt von Ideologie und Weltspekulation, am mächtigsten bewegt von innerem Aufruhr und privater Mythologie.“ Grundlage für Lehmanns Regiekonzept waren dabei Gedanken, die er bei einer früheren Inszenierung 2004 in Stockholm aufgezeichnet hatte und mir bei einem Essen im Opern-Bistro vor den Aufführungen übergab: „Die Handlung im „Tristan“ ist die Gefühlspartitur aller aktiv und passiv Beteiligten. Die Aktion heißt Gefühl. Das muss inszeniert werden!“ Und „‚In ungemessenen Räumen’ ereignet sich die Handlung ebenso wie in Traumräumen, die die Liebenden im Sinne von Novalis’ Nachtgedanken durchwandern.“ Hieraus leitete Lehmann mit Olaf Zombeck eine fantasievolle Licht- und Projektionskonzeption als tragendes Stilelement der Regie ab, die mit abstrakten und meist dezenten Pastelltönen arbeitete. Es entstanden die „Handlung in drei Aufzügen“ sinnhaft unterstützende Stimmungs-Bilder bei einer guten und auf die persönlichen Schicksale konzentrierten Personenregie. Herrschten zunächst helle Blautöne als Assoziation zur Überfahrt über die Irische See vor, verdunkelten sich die Farben zu tiefen Rotschattierungen, wenn die Liebenden im 1. Aufzug zueinander finden. Erfreulich war es, Brangäne einmal bei einer ganz normalen Handhabung des Todes- und Liebestrankes zu erleben, wo sich manche Regisseure zuletzt oft allzu Abwegiges einfallen haben lassen.

Zombeck schuf auch die einfachen  Bühnenbilder. Sie beschränkten sich in ihrer Wirkung im Wesentlichen auf die Unterstützung der dominanten Licht-Ästhetik und die Schaffung unterschiedlicher und dramaturgisch sinnvoller Spielebenen. So sang Brangäne die Rufe im 2. Aufzug effektvoll von einer hohen Warte aus, während unten die Liebenden wie einst bei Wieland Wagner im Dunkel auf einer Bank lagerten. Und Isolde erhob sich bei ihrem Liebestod wie eine Göttin in wunderbarer Verklärung langsam über alle anderen. Zombecks Kostüme waren bei den Damen von gediegener Eleganz, bei den Herren eher konventionell und leider wieder einmal vornehmlich militärischer Ästhetik verhaftet – und bei Tristan zeitweise gar unvorteilhaft. Lehmann spitzte die relativ bewegungsarme Dramaturgie schlüssig auf das Drama der beiden Liebenden und König Markes zu. Die allzu emsig auf die Bühne stürmenden mittelaterlichen Soldaten und der angesichts der ansonsten weitgehenden Ruhe der Bilder doch etwas zu martialische Kampf am Ende wirkten dramaturgisch wie optisch etwas störend.

Die englische hochdramatische Sopranistin Catherine Foster hat mit der Isolde offenbar eine weitere Paraderolle in ihrem ohnehin schon eindrucksvollen Wagner-Repertoire hinzugewonnen. Sie sang sie in Nizza erst in der dritten Produktion nach Frankfurt und Weimar 2011 und gestaltete die Iren-Königin mit betörender Klangschönheit in allen Lagen, natürlichem Spiel und einer schier unbegrenzten Kondition. Dabei besticht sie durch vorbildliche Intonation. Eine kleine Phrase wie „Dies süße Wörtlein ,und’“ bekommt bei ihr den Klang einer kleinen Ewigkeit. Ihre Wortdeutlichkeit ist nahezu perfekt. Catherine Foster wird bei Wagner immer mehr zu einem Erlebnis. Jon Frederic West konnte zwar mit immer noch eindrucksvollen heldentenoralen Qualitäten überzeugen, gab auch darstellerisch sein Letztes und berührte auch zeitweise. Immer wieder schmetterte er heldische Stentor-Töne. Aber der vokale Vortrag blieb bei durchaus guter Diktion zu unausgewogen. Bisweilen neigte West zu übertriebener Deklamation, und sein Spiel wirkte zu stereotyp. Michelle de Young schien es mit ihrem dramatischen Aplomb Catherine Foster nachmachen zu wollen, was nicht immer zu einer klaren stimmlichen Abgrenzung beider Rollen beitrug. Sie konnte durch ihre engagierte Rolleninterpretation und die farbige, eher helle Mezzo-Mittellage überzeugen, ließ aber in den Höhen einige Schärfen hören. Die Stimme verlor hier schnell an Klang, und ihre Diktion ließ zu wünschen übrig. Wunderschön gelangen Young allerdings die Brangäne-Rufe in der Nacht des 2. Aufzugs mit ihrer farbigen Mittellage. Matti Salminen war einmal mehr ein souveräner und mit warmem und immer noch voluminösem Bass singender Marke, der auch zu zarten Piani und gefühlvoller Phrasierung in seinem großen Monolog fähig ist. Dieser Ausnahmesänger bzw. seine Stimme scheint kein Alter zu kennen… Wunderbar, wie er immer noch stimmliche Nuancen aus seinem großen und Wort für Wort verständlichen Monolog hervorhob.

Ein weiterer Finne, Jukka Rasilainen, gab einen wackeren und betont gesanglich agierenden Kurvenal mit seinem prägnanten Bassbariton, wenngleich bisweilen etwas rustikal. Seine besten Momente hatte er mit heldentenoralen Klängen gegen Ende des 3. Aufzugs. Aufhorchen ließen ferner Clemens Unterreiner mit einer sehr guten gesanglichen wie darstellerischen Leistung als baritonaler Melot und Stanislas de Barbeyrac mit seinem klangschönen und gut geführten, lyrisch prägnanten Tenor als Junger Seemann und später auch als Hirt. Als Seemann ist er bei Lehmann auch in Isolde verliebt: „Irische Maid, du wilde minnige Maid!“ Bei ihm klang bereits der David in den „Meistersingern“ an. Der auch szenisch auftretende Chor der Opéra de Nice sang kräftig und transparent. Besonders positiv fielen die Tenöre auf.

Nachdem Philippe Auguin aus der Produktion ausgestiegen war, hatte Sir Richard Armstrong die musikalische Leitung übernommen und dirigierte das Philharmonische Orchester von Nizza mit ruhiger Hand und viel Übersicht. Das Vorspiel erklang getragen mit viel Melos, und im 2. Aufzug konnte Armstrong wichtige dynamische Akzente setzen, blieb aber immer sängerfreundlich. Er konnte das in allen Instrumentengruppen sehr präsente und transparent spielende Ensemble zu einer guten Gesamtleistung motivieren. Ein Grund für das harmonische Klangbild dürfte auch darin liegen, dass ein wesentlicher Teil des Orchesters, also  insbesondere die Bläser und das Schlagwerk, tief unter die Bühne reicht. Dieser neue „Tristan“ bescherte zwei beeindruckende Wagner-Abende an der Côte d’Azur, die für das Publikum von Nizza außergewöhnliche Ovationen bekamen.      (Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

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