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NIZZA: IL TIGRANE von Alessandro Scarlatti

03.06.2012 | KRITIKEN, Oper

NICE : IL TIGRANE von Alessandro Scarlatti am 1.6.2012 (Robert Quitta)


Das Gefängnis. Foto: Opéra de Nice

Es wurde aber auch höchste Zeit, dass nach der grossen Händel – und Vivaldi – Renaissance jetzt endlich auch die Wiederentdeckung Alessandro Scarlattis einsetzt.
115 Opern hat der Meister, der zu seiner Zeit in Neapel auf diesem Gebiet fast ein Monopol besessen hat, immerhin verfasst (abgesehen von seinen 799 ! Kantaten), und alles, was man bisher sehr sporadisch zu Gehör bekam (auf Cecilia Bartolis Arien CD, beim mittlerweile leider wieder eingestellten Scarlatti-Festival in seiner Geburtsstadt Palermo, auf gelegentlichen Aufnahmen von Rene Jacobs, Fabio Biondi, William Christie) vermittelte den Eindruck allerhöchster Qualität.
Insofern ist es der Opera de Nice gar nicht hoch genug anzurechnen, dass sie Gilbert Bezzina und seinem Ensemble Baroque de Nice immer wieder Gelegenheit gibt, seine gehobenen Raritätenschätze zu präsentieren. Nach drei Vivaldis (Dorilla in Tempe, L’Incoronazione di Dario und Rosmira fedele) und einem Scarlatti (Telemaco) war jetzt wieder die Reihe an dem (in der Zwischenzeit mehr als Vater des populäreren Cembalogenies Domenico bekannten) sizilianischen Komponisten.

Auf dem Spielplan stand die 1715 uraufgeführte Oper IL TIGRANE nach einem damals sehr beliebten (und auch von Albinoni, Vivaldi etc.vertonten) Libretto mit dem („Semiramide“ – ähnlichen) ödipalen Sujet einer Königin, die partout ihren (nach der Geburt verschollenen und ihr daher unbekannten ) Sohn ehelichen will….bevor dann in der allerletzten Szene ein reitender Bote dessen wahre Identität enthüllt….Eine „schwerwiegende“ Handlung, die aber immer wieder auf typisch neapoltanische Weise mit commedia dell’arte-Szenen „erleichtert“ wird.

Das Besondere an dieser Produktion war sicher, dass hier nicht nur die historische Aufführungspraxis der Musik zu re-konstruieren versucht wurde (was ja heutzutage bereits die Regel ist), sondern auch die der Inszenierung,der Bühnenbilder und der Kostüme (was hingegen ganz selten geschieht – wie zb. zuletzt von Sigrid T’Hooft in Karlsruhe ).

Regisseur Gilbert Blin forscht seit Jahren mit seiner in Versailles ansässigen „Academie Duprez“ in diese Richtung. Besonderes Vorbild dabei ist ihm das einzige noch funktionstüchtige Barocktheater der Welt, das Schlosstheater von Drottningholm (Schweden), in dem sogar noch die originale Bühnenmaschinerie und die originalen Prospekte erhalten sind.

Die Absichten waren also die besten. Unglückseligerweise haperte es jedoch mit der Ausführung beträchtlich.
Gilbert Bezzina konnte – ausser in einigen wenigen besonders elegischen Pianosequenzen – die Faszination dieser Musik, ihre grosse Architektur nahezu nie vermitteln, sodass einem die viereinhalb Stunden Spielzeit dann doch nicht zum reinen Glück gereichten. Da ist man anno 2012 anderes gewohnt.
Und wenn die historische szenische Aufführungspraxis wirklich darin bestanden haben sollte, dass bis zur Unkenntlichkeit weissgepuderte Darsteller steif und leblos in der Gegend herumstehen wie in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, und das dazu noch in unförmigen, in den allerscheußlichsten Farben (altrosa, minzgrün, gagerlgelb) gehaltenen Kostümen – dann würde einem doch eine „historische Informiertheit“ vollauf genügen und man würde sie einer, oder zumindest dieser, „historischen Rekonstruktion“ auf jeden Fall vorziehen.

Von dem jungen, aber engagierten, Sängerensemble wehrten sich Yulia Van Doren (Meroe), Mireille Lebel (Dorilla) und Jose Lemos (Policare) am erfolgreichsten gegen ihre Eingipsung und Zombieisierung.

Eine leider vertane Chance. Aber die nächste Etappe der Alessandro Scarlatti-Renaissance folgt auf dem Fuss : seine erste Erfolgsoper „Gli equivoci nel sembiante“ hat am 14.Juli beim Opera Barga Festival (nahe Lucca) Premiere.

Dr. Robert Quitta, Nizza
 

 

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