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NEW YORK/ Metropolitan Opera: THE ENCHANTED ISLAND

22.01.2012 | KRITIKEN, Oper

The Enchanted Island“, Metropolitan Opera, 21. Januar 2012


Placido Domingo ist trotz Kurzauftritts der Star

Man nehme zwei bekannte Theaterstücke von William Shakespeare (in diesem Fall „The Tempest“ und „Ein Sommernachtstraum“), schreibe ein neues Libretto, füge Musik von Händel, Vivaldi und Rameau hinzu und besetze das Ganze mit internationalen Opernstars: Voilà The Enchanted Island. Uraufführung an der Metropolitan Opera war am 31. Dezember, die Vorstellungen laufen noch bis zum 30. Januar 2012.
The Enchanted Island (dt. Die verzauberte Insel) ist eine Pasticcio – Oper, also eine Oper, deren Musik aus verschiedenen Werken stammt. Pasticcio Opern waren im 18. Jahrhundert sehr beliebt, um den Zuschauern einen Querschnitt aus den bekanntesten aktuellen Werken zu bieten.

Für The Enchanted Island waren im Großen und Ganzen unbekannte Musikstücke ausgewählt worden, der Schwerpunkt lag auf Werken von Händel und Vivaldi, was dem Ganzen einen musikalisch einigermaßen einheitlichen Ablauf gab. So basierten die Arien und Rezitative beispielweise auf Musik aus Teseo, La Risurrezione, Susanna, Deidamia, Ariodante, Hercules oder Amadigi di Gaula (Händel) oder Cessate omai, cessate, Il Farnace, Griselda (Vivaldi) sowie einigen Stücken von Rameau oder Purcell u.a. Eine genaue Aufstellung der verarbeiteten Musik findet sich auf der Homepage der Metropolitan Opera. Ein paar bekannte musikalische Highlights hätten dem Abend allerdings gut getan.

Das Libretto zu The Enchanted Island schrieb der britische Regisseur, Autor und Komponist Jeremy Sams, der u.a. Werke wie Mozarts Zauberflöte, Puccinis La bohème oder Wagner’s RING für die ENO übersetzte.

Es schildert die Geschichte von Prospero (David Daniels), dem ehemaligen Herzog von Mailand, der seine Tochter Miranda (Lisette Oropesa) mit Ferdinand (Anthony Roh Costanzo), dem Sohn des Königs von Neapel verheiraten will. Prospero und Miranda sind vor Jahren auf einer Insel gestrandet, auf der die Hexe Sycorax (Joyce DiDonato) mit ihrem Sohn Caliban (Luca Pisaroni) lebt. Prospero entmachtet Sycorax und macht sich Caliban und den von ihr gefangenen Luftgeist Ariel (Danielle de Niese) untertan. Dann befielt er Ariel, einen Sturm zu entfachen, der Ferdinands Schiff auf der Insel stranden lassen soll. Leider erwischt Ariel das falsche Schiff, und so landen zwei Hochzeitspaare auf der Insel: Helena und Demetrius (Layla Claire / Paul Appleby) und Hermia und Lysander (Elizabeth DeShong / Elliot Madore). Es folgen zwei Stunden großes Liebeschaos und allgemeine Verwirrung, bis am Ende Neptun (Plácido Domingo) als Deus ex machina Prospero die Leviten liest, Sycorax die Insel zurückgibt und alle ganz wahnsinnig glücklich werden.

Wie einem der Abend gefällt, hängt von den eigenen Erwartungen ab. Wer Regietheater, Personenregie, ein aussagekräftiges Stück sucht, wird enttäuscht. Wer ein opulentes Austattungsstück sowie ein Märchen sehen will und keine hohen Ansprüche an die Handlung stellt, wird sich gut unterhalten fühlen.

Einerseits ist die Metropolitan Opera wohl auf Grund ihrer Größe das denkbar ungeeignetste Haus für eine Barockoper. Andererseits steckt kein anderes Opernhaus der Welt so viel Geld in Bühnenbild, Kostüme oder auch das Lichtdesign um dem Publikum eine echte Show zu bieten. Immerhin konkurriert man hier mit dem Broadway. The Enchanted Island ist eine Mischung aus barockem Kulissentheater kombiniert mit den technischen Möglichkeiten von heute, Kitsch à la Walt Disney, Videoprojektionen, Glitter und Glimmer. Die Personenregie ist nett, nichts Besonderes, aber sie stört nicht und die Special Effects wie untergehende Schiffe, Monster, Zauberwälder sorgen beim Publikum immerhin für viele Lacher. Im Programmheft wird demnach auch kein Regisseur genannt, dafür aber zahlreiche Designers und Animators. Das Bühnenbild stammt Phelim McDermott, die Kostüme von Julian Crouch.

Das gesamte Ensemble singt und spielt auf hohem Niveau, auch wenn die Barockspezialisten unter den Sängern doch sehr kleine Stimmen für das Haus besitzen. Den größten Applaus erhielten Joyce DiDonato (Sycorax), Danielle  DeNiese (Ariel) und Plácido Domingo (Neptun), der an dem Tag seinen 71.Geburtstag feierte (öffentlich gesungen wurde nicht, backstage dann aber schon).
DiDonato, Daniels und DeNiese merkt man in Phrasierung, Umgang mit den Koloraturen, dynamischer Gestaltung und vorallem stimmlicher Sicherheit ihre Erfahrung mit dem Barock-Repertoire an, auch wenn die Stimmen in der großen Metropolitan Opera verloren wirken.  Der erst 26-jährige Bassbariton Luca Pisaroni (Caliban), der 2011 bei den Salzburger Festspielen den Figaro gesungen hat, wurde ebenfalls bejubelt, seine Stimme ist auch groß genug für die Met. Wirklich ein großes Talent auf dem Weg zur Weltkarriere, mit einer schönen, warm timbrierten Stimme. Auch Anthony Roh Costanzo in seiner kurzen Counterpartie als Ferdinand erhielt viel Applaus, sein Counter liegt im Mezzobereich, während David Daniels zu den hohen Stimmen, fast im Sopranfach, zählt.

Drei Mitglieder der Liebespaare sind Mitglieder des Young Artist Program der Met: Layla Claire (Helena), Paul Appleby (Demetrius) und Elliot Mardore (Lysander). Alle drei sind viel versprechende junge Sänger,  alle drei besitzen klare, schöne Stimmen und sind musikalisch, aber vielleicht noch etwas einfarbig.

Plácido Domingo ist natürlich eine Luxusbesetzung für den Neptun (seine 126. Rolle) und bekommt bei seinem Auftritt Szenenapplaus (Zitat einer Dame in der Pause am Campagnerstand: „Hoffentlich wird’s im zweiten Teil etwas fröhlicher. Der Neptun hat wenigstens Schwung rein gebracht“). Domingos Rolle ist sehr kurz; der ganze Abend dauerte inklusive Pause über drei Stunden, ich schätze, er ist davon etwa zwanzig Minuten auf der Bühne. Seine erste Szene hat Domingo nach etwa einer Stunde, wenn Ariel in Neptuns Reich abtaucht. Im Publikum ist die Spannung geradezu spürbar, nach dem Motto „Aha, jetzt kommt Domingo“. Diese Unterwasserszene gehört zu den beliebtesten des Abends. Vier lebendige Meerjungfrauen schweben hoch über Neptuns Muschel-Thron, Fische schwimmen auf der Leinwand hin und her, der halbnackte verzauberte Chor ist von Seeschlangen umgeben. Ich dachte sofort an Disneys Verfilmung von „Arielle, die Meerjungfrau“. Domingo mit Dreizack, Krone, Bart war ein beeindruckender Meeresgott, seine Szenen basierten auf Musik aus Tamerlano, Hippolyte et Aricie sowie Castor et Pollux und kommen ohne Koloraturen aus.

Mit William Christie hat Intendant Peter Gelb einen erfahrenen Barockexperten ans Pult geholt, spielt doch das Met Orchester so gut wie nie Barock. Trotzdem war ich vom Orchester etwas enttäuscht. Es klang nicht nur sehr leise, sondern es fehlte auch das lebendige Spiel zwischen Laut und Leise, dass für die Barockmusik so essentiell ist und sie so lebendig macht. Mein Eindruck könnte allerdings am Platz gelegen haben, das Orchester ist im Parkett der Metropolitan Opera oft nicht sehr gut zu hören.

Die FAZ hat sehr ironisch und teilweise sarkastisch über die Produktion berichtet, die amerikanischen Zeitungen positiv. Natürlich kann man die Frage stellen, ob man so ein Werk braucht. Vermutlich nicht. Andererseits sorgt es für einen unterhaltsamen Opernabend, den Amerikanern gefällt es. Es müssen ja nicht immer Nazis, Vergewaltigungen und Koffer auf der Bühne sein. Ich hätte allerdings die Musikauswahl etwas anders gestaltet, lebendiger und auch mit bekannteren Werken.

Im Kino in Wien begann die Übertragung mit Verspätung. Vermutlich hatte ein echter Schneesturm die Übertragung gestört. Vielleicht haben Ariel und Prospero doch mehr Macht, als man glaubt!

Marie von Baumbach


 

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