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NEURUPPIN / 7. AEQUINOX MUSIKTGAGE: SWINGING PURCELL“ und „LANGE NACHT DER OPER“

20.03.2016 | Konzert/Liederabende

Neuruppin/ 7. Aequinox Musiktage:SWINGING PURCELL“ und „LANGE NACHT DER OPER“, 18./19. März 2016

 Das verflixte 7. Jahr – hat es auch für die Lautten Compagney Berlin, die nun zum 7. Mal die Aequinox Musiktage zur Tag- und Nachtgleiche im Fontane-Städtchen Neuruppin veranstaltet, eine Bedeutung? Durchaus. Für die in Perfektion gebotene Barockmusik ebenso wie fürs Publikum, das die KulturKirche – die frühere Pfarrkirche St. Marien – und diverse Säle bei insgesamt 8 Veranstaltungen bis auf den letzten Platz füllt.

Portal der Siechenhauskapelle von 1491 mit Aequinox-Plakat
Portal der Siechenhauskapelle von 1491 mit Aequinox-Plakat, Foto Ursula Wiegand

Erfreulicherweise stehen die Zeichen nicht auf Sturm, sondern auf Aufbruch zu neuen Ufern und hoffentlich auf Fortsetzung. Denn Wolfgang Katschner, Künstlerischer Leiter dieser international geschätzten Spezialisten für Alte Musik, bleibt nicht stehen. Das Alte in Vollendung zu bewahren, aber auch Neues zu integrieren – dieses Bestreben verdeutlichen seine drei Premieren.

Aequinox 7, David Orlowsky mit der Lautten Compagney. Foto dawid baltzer, bildbuehne.de
Aequinox 7, David Orlowsky mit der Lautten Compagney. Foto: dawid baltzer/bildbuehne.de.

Zu Wolfgang Katschner geht dann auch einer wie der Klarinettisten David Orlowsky, der mit seinem Trio von Klezmer, Jazz und Pop bis zur Klassik vorgedrungen ist. Einer, der aber auch mal Barockmusik spielen möchte, obwohl es zu jenen Zeiten noch keine Klarinetten gab.

„Doch der Wolfgang ist wach im Kopf,“ lobt Orlowsky im Kurzinterview. Sein Wunsch stieß auf offene Ohren und Wagemut. Also wurde Henry Purcells Barockmusik in „Swinging Purcell“ umarrangiert, und Robert Matthes nimmt nun statt der tieftonigen Barockoboe eine moderne, die besser zur Klarinette passt.

Aequinox 7, David Orlowsky und Wolfgang Katschner, Lautten Compagney. Foto dawid baltzer, bildbuehne.de
Aequinox 7, David Orlowsky und Wolfgang Katschner, Lautten Compagney. Foto dawid baltzer/bildbuehne.de

Ansonsten bleibt bei dieser Premiere fast alles beim Alten. Und um es gleich vorweg zu nehmen: das Experiment gelingt so gut und erhält einen solch kräftigen Applaus, dass Katschner und Orlowsky diese Zusammenarbeit fortsetzen sollten, woran wohl beide Interesse haben.

Inhaltlich ist „Swinging Purcell“ eine wohl mundende Assemblage von Purcell-Instrumentalstücken und Arien aus fünf seiner Opern. Den Gesangspart übernimmt hier die Klarinette, die so wunderschön melancholisch klagen, aber genau so munter zum Tanz aufspielen kann. Dann swingt auch Orlowsky locker auf dem Podium.

Peter A. Bauer, der „Spaßvogel“ vom Dienst, bietet auf seine Weise Amüsement. Mal spielt er grinsend auf einer tatsächlichen Mundharmonika, mal sorgt er für sanfte oder knackige Rhythmen, schlägt dabei jedoch nicht nur die Trommeln, sondern klappert auch beidhändig mit zwei Brettchen. Die klingen wie Kastagnetten.„Richtig“, erklärt er, „die Brettchen sind die Frühform der spanischen Kastagnetten, eine Erfindung aus Radjastan.“ Ein Inder habe ihm auf einer Tournee diese Technik gezeigt.

Was die Technik generell betrifft, so erstaunt die Lautten Compagney immer wieder durch Klangreichtum und Perfektion. Alte Instrumente müssen nicht verstimmt klingen, beweisen diese Könner. Wolfgang Katschner als Leiter an der Laute treibt sein Ensemble mit Schwung voran. Alle sind sichtlich mit Herz und Seele dabei. Insbesondere die Geigerinnen Birgit Schnurpfeil (Konzertmeisterin) und Anne von Hoff werfen sich in die Noten. Beim dissonant arrangierten Stück „Old Genius“ fiedeln sie mit teuflischem Spaß.

Fazit: Purcell vertraut und neu zugleich, mit barocker Liebessehnsucht, klagendem Schmerz, frechem Schabernack und fröhlichen Tänzen. Alles da und mittenmang Orlowskys meisterhaft gespielte Klarinette. Das passt! Wer’s nicht weiß, könnte glauben, sie hätte schon zu Zeiten des jung verstorbenen Musikgenies Purcell (1659-1695) dazu gehört.

Silvio Schneider bei der Probe in der Siechenhauskapelle (2)
Silvio Schneider bei der Probe in der Siechenhauskapelle, Foto Ursula Wiegand

Um 22.30 Uhr startet noch der Gitarrist Silvio Schneider in der mit viel Aufwand restaurierten Siechenhauskapelle von 1491, dem ich ein wenig bei der Probe zuhöre. Das Konzert selbst ist bereits total ausverkauft.

Total Neues bringt auch die Premiere Die Abenteuer des Don Quichote am nächsten Morgen in Neumühle. Es ist eine Hommage für den spanischen Dichter Miguel de Cervantes anlässlich seines 400. Todestages in Form einer mit Renaissance-Musik untermalten Lesung. Die Schauspielerin Mechthild Großmann, rd. 40 Jahre lang Mitglied im Tanztheater Pina Bausch, auf zahlreichen Bühnen zu erleben und vielen als Staatsanwältin aus dem Münster-Tatort bekannt, hat dabei das Sagen.

Aequinox 7, Mechthild Großmann liest Die Abenteuer des Don Quichote, Foto Markus Lieberenz
Aequinox 7, Mechthild Großmann liest Die Abenteuer des Don Quichote, Foto Markus Lieberenz

Mit ihrer rauchig tiefen Stimme und lebhafter Mimik macht sie alle „Personen“ in dieser bearbeiteten, witzig-schlüpfrigen Text-Variante lebendig: den vom Wahnsinn befallenen Ritter, der gegen Windmühlenflügel kämpft, seinen hier stets besoffenen, geilen Begleiter Sancho Pansa und vor allem die klapprige Stute Rosinante. Sie ist es, die nun die sonderbaren Erlebnisse höchst anschaulich erzählt. Bis zum traurigen Ende. Lacher en masse und große Begeisterung.

KulturKirche, früher Pfarrkirche  St. Marien von 1806
KulturKirche, früher Pfarrkirche St. Marien von 1806, Foto Ursula Wiegand

Die 3. Premiere am 19. März ist das wohl anspruchsvollste Unterfangen und ein echtes Highlight: die Oper „Orfeo“ von Claudio Monteverdi konzertant. Tatort ist erneut die KulturKirche, doch das ist nicht alles. Anschließend wird das Werk noch von einem echten Staatsanwalt juristisch durchleuchtet. Der Titel, „Die lange Nacht der Oper“ hat, wie sich später herausstellt, seine Berechtigung.

 

Aequinox 7, Wolfgang Katschner dirigiert Orfeo mit Gyula Orendt, Foto Markus Lieberenz
Aequinox 7, Wolfgang Katschner dirigiert Orfeo mit Gyula Orendt, Foto Markus Lieberenz

Doch kurz vor dem Start der große Schreck: ausgerechnet der Titelheld (Florian Götz) ist erkrankt. Glück im Unglück – Gyula Orendt von der Staatsoper Berlin springt ein, obwohl er dort gerade den Papageno in der Zauberflöte singt und sich auf seine Rolle in „Amor vien dal Destino“, Premiere am 23. April unter der Leitung von René Jacobs, vorbereitet.

In Neuruppin gibt er sich bescheiden, singt aber mit spürbarem Vergnügen und Engagement. Vermutlich kennt er diese Partie.

Als Opernsänger bringt er jedoch weit mehr an Emotionen in diese Barockoper, als es üblicherweise der Fall ist. Die anfängliche Fröhlichkeit des in seine Euridice (Dana Hoffmann !) verliebten Sängers, dann die abgrundtiefe Trauer mit fahlem Stimmklang bei der Nachricht über den tödlichen Schlangenbiss, seine Verzweiflung, gefolgt vom mutvollen Aufbruch in die Unterwelt – das alles wird deutlich hörbar. Sein Gesang, mit dem er den Hadesfährmann Caronte zur Überfahrt überreden will, könnte einen Stein erweichen.

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Aequinox 7, Gyula Orendt (Orfeo) und Wolfgang Katschner, Foto Markus Lieberenz

Zuviel Effet für ein Barockwerk, zumal eines von Monteverdi, dem Vater der Oper? Die Kühle, die vielen Barocksängern aus der Kehle kommt, ist Orendts Sache nicht. Vielleicht entspricht sein gefühlsbetontes Singen weit besser der einstigen barocken Lebensart.-

Zweifellos dominiert Gyula Orendts warmer, klangreicher und dennoch gelenkiger Bariton das Geschehen. Er reißt Ludwig Obst mit, dem die tieferen Baritonpartien von Caronte, Plutone und Apollo anvertraut sind. Ausdrucksstark auch Julia Böhme mit ihrem Saal füllenden, fein nuancierenden Alt als Messagiera und Proserpina, ein weiterer Stern dieser Aufführung.

Eine Sternstunde haben auch die Posaunen oben auf der Empore, zu Monteverdis Zeiten eine Neuheit, mit der er die Hörer verblüffte. Bei der Aufführung in Neuruppin ist also die Unterwelt oben, und das macht Effekt. Zuletzt Ovationen für alle und speziell für Gyula Orendt.

Anschließend befragt noch Moderator David Ortmann den echten Staatsanwalt Gunnar von Wolffersdorff. Der betrachtet das Geschehen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten, und schon das Paragraphendeutsch ist ein Gag für sich. Zuletzt die erstaunliche Frage, ob Orfeo, der sich im Hades verbotenerweise nach Euridice umblickte, ihren endgültigen Tod verursacht habe. „Nein, der war im Liebesrausch und daher schuldunfähig,“ urteilt der Jurist. Ende gut, alles gut, nicht nur Monteverdis Orfeo.      

Ursula Wiegand

 

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