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NAPOLI/ Teatro San Carlo: CHARODEJKA von Pjotr Iljitsch Tschaikovsky

27.02.2017 | Allgemein, Oper

NAPOLI/ Teatro San Carlo: CHARODEJKA von Pjotr Iljitsch Tschaikovsky am 24.2.2017

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Copyright: Teatro San Carlo

 Tschaikovsky hielt sie fúr seine beste Oper, die Nachwelt schloss sich seinem Urteil nicht unbedingt an. Woran das gelegen haben mag ? Vielleicht daran, dass die CHARODEJKA (auf deutsch etwa Zauberin, Verfúhrerin oder gar Hexe) ein äusserst kühnes Werk ist: mit einer Hauptperson, die nicht unbedingt eine Sympathieträgerin ist und vier Akten, die sich in Form und Stil so fundamental unterscheiden wie sonst nur vier Sätze einer Symphonie.

Aber vielleicht ist ja jetzt gerade aufgrund ihres „Avantgardismuses“ und ihrer „Modernität“ die Zeit der „Zauberin“ gekommen. Anlässlich der äusserst mutigen und verdienstvollen Aufführungsserie am Teatro San Carlo in Neapel (in Coproduktion mit dem Mariinsky Theater in Sankt Petersburg und dem São Carlos in Lissabon) konnte man sich jedenfalls soeben davon überzeugen, dass der Komponist mit seiner Selbst-Einschätzung möglicherweise doch recht gehabt haben könnte…

Die Handlung, kurz nacherzählt: Der alte Fürst Nikita verliebt sich Natascha, genannt Kuma, die Wirtin eines anrüchigen Etablissements. Die eifersüchtige Gattin sendet ihren Sohn Jurij, um die Ehestörerin umzubringen. Dieser verliebt sich jedoch unsterblich in jene „Verführerin“, und die beiden beschließen, zu fliehen. Auf dieser Flucht wird Natascha-Kuma jedoch von der Fürstin vergiftet, der Vater ermordet den Sohn und wird daraufhin wahnsinnig…Ende.

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Marija Bajakina. Copyright: Teatro San Carlo

Die Charodejka wird oft als russische Carmen bezeichnet, sie wirkt aber eher wie eine komplett aus den Fugen geratene russische Traviata…

Tschaikovsky beste Oper ? Vielleicht deshalb, weil sie seine persönlichste zu sein scheint…

Jedenfalls läuft einem am Ende des letzten Aktes, wenn die „Hexe“ an einem Glas vergifteten Quellwassers stirbt, die kalte Gänsehaut herunter. Denn als Nachgeborener weiss man ja, dass Tschaikovsky wenige Jahre später dasselbe Schicksal ereilte…Vorahnung oder bewusste Nachahmung einer von ihm selbst vertonten Todesart ? Wer vermöchte das zu sagen…Es mag vielleicht als zu weit hergeholt klingen, in der Figur der „Verführerin“ mit den „leichten Sitten“ und den „liberalen Ansichten“ ein verschleiertes Selbstportrait des nichtgeouteten Homosexuellen Pjotr Iljitsch T. zu erblicken….An einen wirklichen Zufall ohne Bedeutung vermag man jedoch angesichts dieser Übereinstimmungen nicht zu glauben …

David Pountney, der Exintendant der Bregenzer Festpiele, der im Laufe seiner Karriere mit pompösen und unnötig provokanten Produktionen durchaus auch zu verärgern wusste, widersteht nicht nur der naheliegenden Versuchung, diesen Zusammenhang zu thematisieren, sondern er liefert hier überhaupt einer seiner geglücktesten, konzentriertesten, minimalistischsten, genauesten Inszenierungen ab, die man je von ihm gesehen hat…

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Nikolaj Emcov. Copyright: Teatro San Carlo

Dank seiner hervorragenden Personenfúhrung wissen alle Darsteller/innen zu jedem Zeitpunkt, was, warum und zu wem sie singen, und bewerben sich im exzellenten Bühnenbild von Robert Innes Hopkinsin jeder Sekunde mit atemberaubender, millimetergenauer Präzision.

Erwähnt seien zumindest : Marija Bajankina (Kuma), Jaroslav Petrjanik (der alte Fürst) und Nikolaj Emcov (der junge Fürst).

DIe Musik mag (zumindest beim ersten Anhören) nicht die Schlagerqualität des „Onegin“ besitzen, aber selbst beim ersten Anhören bleiben zwei Passagen sofort in unauslöschlicher Erinnerung: das nahezu aktlange Duett zwischen Jurij und Kuma (wegen dieser Szene hat Tschaikovsky die Vorlage überhaupt erst komponiert) und der plötzliche Auftritt des russische Kirchenlieder anstimmenden Trauerchors im Finale – ein in der gesamten Opernliteratur unerhörter Effekt und Kunstgriff.

Gergiev-Schüler Zaurbek Gugkaevanze leitete die gesamte Unternehmung mit nie nachlassender Verve, und das neapolitanische Publikum, am Anfang noch etwas skeptisch gegenüber dieser unbekannten, fremden und noch dazu auch noch russischen Zauberinverführerinhexe, dankte es ihm und allen Beteilgten am Ende mit enthusiastischem Applaus.

 Robert Quitta, Neapel

 

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