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NANNERL – DIE SCHWESTER VON W. AMADEUS MOZART

22.10.2012 | Allgemein, FILM/TV

Ab 26. Oktober 2012 in den österreichischen Kinos
NANNERL – DIE SCHWESTER VON W. AMADEUS MOZART
Nannerl, la soeur de Mozart / Frankreich / 2010
Regie und Drehbuch: René Féret
Mit: Marie Féret, Lisa Féret, Clovis Fouin u.a.

Es fängt so vielversprechend an, nämlich auf den rumpeligen Straßen des Jahres 1763, auf denen sich eine Reisekutsche dahinquält. Darin eine vierköpfige Familie: Leopold Mozart mit seiner devoten, ihn anbetenden Gattin, dem kleinen Sohn Wolfgang und der etwas älteren Tochter Nannerl. Tatsächlich war der Bub damals sechs, das Mädchen zwölf Jahre alt, der Film zeigt sie älter. Aber man hält diesem Streifen gerne zugute, dass er sich über etwas den Kopf zerbricht, worüber oft schnell hinweggeschrieben und –gedacht wird: Dass hier zwei Kinder in jahrelangen Reisen „vorgeführt“ wurden, um Ehrgeiz und Eitelkeit ihres Vaters zu befriedigen. Tatsächlich könnte man anfangs glauben, dass es um einen genauen Blick auf die Lebensumstände der Familie Mozart auf ihrer ersten großen Konzertreise geht – deren zahlreiche Härten und wenige Freuden fokusierend.

Aber der Film, der „Nannerl“ heißt und sich ihr so zentral widmet, dass der berühmte Bruder fast keinen Platz einnimmt, weicht bald vom Boden der realen Tatsachen ab. Es scheint fast, als habe Filmemacher René Féret, der hier auch sein eigener Drehbuchautor ist, eine „Was wäre gewesen, wenn…“-Geschichte erfunden, um Nannerl, der überaus begabten Frau im Schatten des genialen Bruders, endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Allerdings ist Maria Anna Mozart, geboren 1751 und somit fünfeinhalb Jahre älter als ihr Bruder, den sie lange überlebte (sie starb 1829), nicht gänzlich unbeachtet geblieben: eine vor allem feministische Musikwissenschaft und Geschichtsschreibung hat dieses besondere Talent, das unter dem Diktum, „nur eine Frau“ zu sein, um alle Möglichkeiten gebracht wurde, wahrlich gewürdigt. René Féret erzählt noch einmal und ganz richtig, wie Vater Leopold sein Interesse auf den Sohn, das „Wunderkind“, konzentrierte und Nannerl nur als „Beipack“ nahm: zwei begabte Kinder sind besser als eines. Am Ende lässt Féret in einem tiefgründigen Gespräch Nannerl und die Schwester des französischen Dauphins darüber nachdenken, wie anders ihre Schicksale verlaufen wären, wenn sie Männer – sprich: ihre Brüder – gewesen wären. Und wie kläglich das war, was man ihnen zudachte: die französische Prinzessin endete im Kloster (allerdings nicht gezwungen, wie der Film darstellt, sondern freiwillig), Nannerl wurde eine unglückliche Ehefrau und Stiefmutter und widmete davor einen großen Teil des Lebens jenem Vater, der ihr jegliche Kreativität untersagt hatte (Féret unterstellt, sie wäre eine große Komponistin geworden, wenn Leopold nicht nur Wolfgang, sondern auch sie darin unterrichtet hätte). Kurz, es stecken eine Menge richtiger Überlegungen in dem Film. Dies hätte sich allerdings auch innerhalb der realen Geschichte Nannerls, wie sie sich zugetragen hat, prächtig erzählen lassen.

Doch René Féret phantasiert sich ein Szenario zusammen, bei dem jedem, der die Materie auch nur wenig kennt, die Haare zu Berg stehen müssen. Zuerst sorgt er dafür, dass Nannerl sich bei einer Zwischenstation in einem Kloster mit Prinzessin Louise de France befreundet, einer der vielen Töchter von Ludwig XV., die hier ausgelagert wurden. Als sie für diese einen Liebesbrief an einen Musiker in Versailles abgeben soll, tut sie es (ganz logisch ist es nicht, die Szene erinnert dann an „Figaros Hochzeit“ und Cherubino) in Verkleidung eines jungen Mannes. Als solcher sticht sie dem Dauphin in die Augen, wobei nicht ganz klar ist, ob er homoerotische Gefühle hegt oder einfach musikalisch genug ist, von ihren besonderen Talenten bezaubert zu sein. Auch als sie ihre weibliche Identität preisgibt, ist er hingerissen, und nun ergibt sich tatsächlich eine Art Liebesgeschichte zwischen beiden. (Liest man bei Eva Rieger nach, der profundesten Nannerl-Biographin, erfährt man gerade, dass Nannerl und ihre Mutter bei einem Auftritt in Versailles einmal mit dem Dauphin gesprochen haben…)

Aber Féret spinnt Nannerls Aufbegehren noch weiter aus: Sie verlässt die Familie (! undenkbar!), kehrt nach Paris zurück, während die anderen weiterreisen, gibt Klavierstunden, verkehrt weiterhin mit dem Dauphin, der zwar mittlerweile geheiratet hat, sie aber dennoch immer noch liebt, und gebärdet sich sogar wie Yentel, als sie in Männerkleidern das Musikkonservatorium besucht, weil es anders nicht möglich wäre… Und sie komponiert.

Um Nannerl schließlich doch in die Arme ihrer Familie und in ihr medioker-tragisches Frauenschicksal zurückzuführen, hat sich der Regisseur schließlich etwas völlig Schräges ausgedacht (für dessen historische Wahrheit man sich nicht verbürgen möchte, bedenkt man, wie er angesichts Nannerls mit dieser umgeht): Da erleben wir den Dauphin plötzlich, in Ablehnung der Sittenlosigkeit seines Vaters, in nekrophilen Gefilden, gemeinsam mit seiner Gattin spielt er Sterbeszenen (mit sich selbst auf dem Totenbett), Nannerl muss dazu musizieren, und als er sie einmal küsst, wirft er sie in einem Anfall von Raserei als Verführerin und Verbreiterin unheiliger Musik hinaus… Kurz, er ist pervers oder verrückt (tatsächlich war er, selbst früh verstorben, Vater jenes Ludwig XVI., den Marie Antoinette später geheiratet hat).

Damit schließt sich der Kreis von Nannerls erfundener französischer Emanzipation, sie verbrennt ihre Kompositionen, und nach schwerer Krankheit ist sie wieder mit Eltern und Bruder in der Kutsche und fährt ihrer Heimat zu. Der Nachspann erzählt, wie schlecht es ihr in ihrem weiteren Leben erging…

Inhaltlich ist das Ganze nicht ernst zu nehmen, weil man einem Bio-Pic zwar Freiheiten der Interpretation erlaubt, aber doch nicht die gänzliche Unwahrscheinlichkeit einer erfundenen Geschichte. Dass diese mit Geschmack erzählt wird und schön gespielt ist, muss man dem Regisseur zugestehen, der Nannerl auch deshalb älter gemacht hat, um sie mit seiner älteren Tochter Marie Féret (hübsch, tiefgründig, von Traurigkeit durchwirkt) zu besetzen. Seine jüngere Tochter Lisa Féret (weniger hübsch, aber mit einem tiefen inneren Strahlen) ist jene Louise de France, die so bald das Nonnengewand anlegen muss und so überzeugend klug über das Leben nachdenkt. Der Dauphin, der in der realen Geschichte eine so geringe Rolle gespielt hat, bekommt von Clovis Fouin das Irrlichtern der kranken Seele. (Tatsächlich würde er in jeden Vampir-Film passen.)

Dass Leopold Mozart und seine Frau bei dieser Reise noch relativ jung waren, vergisst man auch deshalb, weil man sie in der bildlichen Überlieferung nur als ältere Herrschaften kennt. Hier erfüllt Marc Barbé die Funktion des überehrgeizigen Mannes, der sich allerdings nicht bewusst ist, was er seinen Kindern antut, und Delphine Chuillot die der devoten Ehefrau dieser Epoche, die immer noch versucht, auch auf der Seite der Kinder zu stehen, sich im Zweifelsfall aber auf jene des Gatten schlägt. Von David Moreau als kleinem Wolferl bekommt man nicht viel zu sehen, ahnt aber, dass er vielleicht als Teuferl angelegt wäre.

Hier ist sehr viel Potential verschwendet worden, das man richtig hätte einsetzen können. Und dennoch: Immerhin kann man dem Film zweierlei zugute halten – er fängt das Milieu der Epoche gut ein. Und das erfundene Nannerl ist in der Tiefe seiner Seele, unter all dem aufgebotenen Kitsch, doch das echte, unterdrückte, erstickte Nannerl, dem der Regisseur seine ganze Anteilnahme zuwendet und dies auch auf den Kinobesucher überträgt.

Renate Wagner

 

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