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MÜNSTER: PETER GRIMES – Requiem für eine Wasserleiche in spe – Premiere

26.03.2012 | KRITIKEN, Oper

Münster : Requiem für eine Wasserleiche in spe – Benjamin Britten : Peter Grimes; Städtische Bühnen Münster, Premiere 25.3.2012

Sanfte Wellen umkosen das Haupt des gerade ertrunkenen Peter Grimes, während die Dorfgemeinschaft ihren gewohnten Alltagstrott wieder aufnimmt. Stephan Komitschs Videoeinspielungen und Standbilder auf das Portal des großen Hauses der städtischen Bühnen Münster sind auf die Dauer zwar etwas enervierend, sind aber noch der lebendigste Part der ziemlich unterkühlt im Gefühlsstau daherkommenen Inszenierung Andreas Baeslers. Vom Meister der präzisen Personenführung hätte man sich eigentlich mehr erwarten dürfen, als das nüchterne, bloße Aufrollen einer Prozeßakte. So schleppte sich das Geschehen zähflüssig dahin, eine ausgefeilte Zeichnung von Charakteren bliebt auf der Strecke, die Masse wird blockartig als Masse geführt, kein Raum bleibt für die Entwicklung einzelner Individuen. Baeslers steifen Ansatz unterstreicht das zur Statik einladende Bühnenbild von Andreas Wilkens, das Anklänge an Lars von Trier analytischem Streifen Dogville sucht. Wenigstens die Kostüme Gabriele Heimanns sorgen für kleine Farbtupfer im vorherrschenden nebelgrauen Anthrazit.

Die Sänger hatten es so besonders schwer ihren Partien Format und Leben zu verleihen und das Publikum an ihren Schicksalen mitleiden zu lassen. Baeslers Figuren sind zu einförmig gezeichnet, sie berühren uns nicht. So vorverurteilt er den Fischer-Outlaw Grimes als raubeinigen Brutalo, zu wenig für den visionären Träumer. Dabei versucht Wolfgang Schwaninger gerade diese Charakteristika in „seinen“ Fischer zu legen. Grimes visionäre Phrasen vom „Großen Bär“ und den „Pleiaden“ gelingen Schwaninger mit seinem schlanken Heldentenor besonders eindrucksvoll und auch die finale –  von der Regie im Nebelschwall erstickte – Wahnsinnsszene überzeugt.

Nicht anfreunden konnte ich mich mit der herben Ellen Orford von Sonja Mühleck. Dass ihre Partie von der Regie fast überhaupt nicht gezeichent wurde, ist der Sopranistin nicht anzulasten, aber ihr in den Höhen zum Schneiden tendierender Sopran macht es der jungen Sängerin doppelt schwer als „Lichtgestalt“ zu überzeugen, zu grobmaschig gest(r)ickt kommt auch ihre Stickerei-Arie daher. Balstrode ist der lebensweise Seebär des Dorfes, eine Altersinstitution also. Problematisch, wenn man einem relativ jungen Bariton diese Partie überantwortet. Aber muß man ihn mit Silberkotelletten und Kapitänsmontur ausstaffieren wie Käpt’n Iglo auf Landgang? Balstrode dabei permanent durch ein Fernglas „glotzen“ zu lassen,  macht es seinem Singdarsteller auch nicht unbedingt einfacher. Der junge Koreaner Sang Lee schlug sich dabei aber recht wacker, was Regie und Ausstattung ihm durch die kuriose Ausstaffierung mißtraute, legte Sang Lee ganz in seine Stimme und mit virilem schön geführtem Bariton gelang ihm doch eine eindringliche  Zeichnung des Freundes von Peter Grimes. Tat sich die Regie in den Hauptrollen seltsam schwer, neigte sie in mancher Nebenrolle zur überdrehten Überzeichnung. Natürlich, die Opium abhängige Hobbykriminalistin Mrs. Sedley ist eine schrullige Alte, aber muß man sie dann auch noch als Mrs Marple Parodie a la Margaret Rutherford führen? Gundula Schneider überzeugte dennoch mit niedlichem s-Fehler in dieser Rolle. Methodist Bob Boles ist der kämpferische Agitator des Dorfes, das genügt schon kraft seiner blutlechzenden Parolen, dazu bedarf es nicht noch des gestreckten Armgefuchtels eines aus der Kontrolle geratenen Verkehrspolizisten. Fritz Steinbacher konnte da durchaus mit durchschlagendem Charaktertenor reüssieren. Stellvertretend für das recht homogene Ensemble seien erwähnt, der belcantistische Pastor Adams von Youn-Seong Shim, Suzanne MacLeod als resolute „Auntie“ und die Baß-Autoritäten des Dorfes Ollaf Plassa (Swallow), Donald Rutherford (Ned Keene), Plamen Hidhjov (Hobson).

Die von Karsten Sprenger präzis einstudierten Chöre der Städtischen Bühnen Münster hätten sich sicherlich neben ihrer grandiosen musikalischen Umsetzung auch im Spiel motivierter beweisen wollen, als es ihnen die Regie zugestand. 

Pulsierende Fieberkurven, aufwühlende Seelenbilder –  all‘ das, was uns die Regie vorenthalten möchte, Fabrizio Ventura präsentiert uns das vorbehaltlos mit seinem perfekt aufspielenden Sinfonieorchester Münster.

Schaltet man also die visuellen Eindrücke ab und konzentriert sich auf das musikalische Geschehen, so erlebt man mit der Münsteraner Erstaufführung von Brittens Meisterwerk eine Aufführung der Extraklasse. Ventura setzt auf die delikate Instrumentierung Brittens, zisiliert Motive und Phrasen besonders hervor. Wo hört man einmal Brittens Reminissenz an den großen Meister von Roncole mit dem Otello-Zitat so klangschön und fein herausgearbeitet, wie in Münster? Nicht zuletzt gehören die in orchestraler Brillanz vorgetragenen Sea-Interludes zu den absoluten Höhepunkten der Münsteraner Aufführung.

Auch in Westfalens Metropole ist das Meisterwerk des Orpheus Britannicus nun angekommen, wie der warmherzige Applaus des Publikums bewies, dessen größten Teil Fabrizio Ventura und seinen Sinfonikern mehr als verdient zuteil wurde. Allein wegen der grandiosen Leistung Venturas lohnt sich die Fahrt zu Münsters erstem Peter Grimes.

Dirk Altenaer

 

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