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MÜNCHEN/Bayerische Staatsoper: DON CARLO – Reines Opernglück

20.01.2017 | Oper

München / Bayerische Staatsoper: “DON CARLO”, 19.01. 2017 – Reines Opernglück


Christian Gerhaher. Copyright: Florian Kalotey

Wenn Don Carlo auf dem Spielplan steht, ist das immer ein Ereignis. Schließlich benötigt man für diese Oper nicht nur die vier besten Verdi-Sänger, sie es vom Troubadour kolportiert wird, sondern gleich fünf davon. Für die meisten Besucher gestern war wahrscheinlich das Deutschland-Debut von Christian Gerhaher als Marquis Posa der Grund, gerade jetzt diese Oper zu besuchen. Mich hatte zusätzlich noch Ildar Abdrazakov neugierig gemacht, von dem ich vor zwei Jahren bei einem Konzert am Königsplatz tief beeindruckt war. Diese beiden Sänger waren es, die zusammen mit Tamara Wilson als Elisabeth von Valois jedenfalls nahe an das eingangs genannte Ideal herankamen. Kleine Abstriche musste man bei Nadia Krasteva als Prinzessin Eboli machen und stärkere bei Yonghoon Lee als Don Carlo.

Bei letztgenanntem weiß ich nicht genau, was ich von ihm halten soll. Seine kraftvolle Stimme hat ein nicht unangenehmes, trompetenhaftes Timbre, vor allem wenn er im Forte singt. Aber er singt immer mit immensem Druck und sobald er ins Piano wechselt klingt die Stimme fahl und dumpf, der Glanz ist weg. Was aber noch schwerer wiegt: eine natürliche Phrasierung, Binnendynamik in Phrasen, geschweige denn in lang gehaltenen Tönen, sucht man bei ihm vergebens. Er zeigt eindimensionales Singen, einen Carlo, der musikalisch so aufgesetzt und ausgestellt wirkt, wie darstellerisch. Schade.

Das glatte Gegenteil stellt Christian Gerhaher dar: wie er vor allem in den rezitativischen Stellen den Gesang aus der Sprache entwickelt, die Gesangslinie so natürlich aufbaut als würde er sprechen, das ist allererste Sahne. Er ist aus dem Liedgesang für leise Zwischentöne und einen eher intellektuellen Zugriff auf den Text bekannt und diese Qualitäten wendet er auch auf die schillernde Figur des Posa an. Dass er seine Stimme auch zum großen Ausbruch raumfüllend und orchesterübertönend einsetzen kann, hat er nun eindrucksvoll bewiesen. Großartig und bewegend die Sterbeszene.

Ildar Abdrazakov als König Philipp hat die hohen Erwartungen, die ich in ihn gesetzt hatte, noch übertroffen. In der Behandlung von Text und Gesangslinie ebenso perfekt, wie Gerhaher, bietet er sowohl stimmlich als auch darstellerisch ein beeindruckendes Portrait des alternden Königs. Sein „Ella giammai m’amo!“ und die nachfolgende Szene mit dem Großinquisitor charakterisieren den in den Zwängen von Staatsraison und Kirche gefangenen mächtig-machtlosen Herrscher auf das eindrucksvollste. Die Arie Philipps – und später der Beginn des Duetts im fünften Akt (als Carlo noch nicht sang) waren Momente reinen Opernglücks.

Die Rolle der Elisabeth von Valois wurde Tamara Wilson anvertraut, die ihrer Stimme die mädchenhaften Farben für den Fontainebleau -Akt ebenso verleihen kann, wie die hoheitsvollen, königlichen bei „Tu, che le vanitá“. Ihr himmlisch leuchtendes Piano führte zum dem oben erwähnten Glücksmoment.

Nadja Krasteva gefiel mir im Schleierlied nicht so besonders, hier ließ die Stimme Beweglichkeit vermissen und klang in den Höhen etwas trocken, aber im Quartett und in der Arie des vierten Aktes konnte sie ihr dramatisches Potential ausloten.

Den Großinquisitor muss man als Luxusbesetzung bezeichnen: Günther Groissböck gab dem Kirchenmann und heimlichen Herrscher mit an den richtigen Stellen donnernder Stimme jugendlich dramatische Wucht.

Eine wuchtige, wenn auch leicht flackernde Stimme zeigte auch Peter Lobert als Mönch in seiner kurzen Partie. Sein tiefes „F“ war jedenfalls beeindruckend.

Selene Zanetti vom Opernstudio, die übrigens heute (Samstag) früh den tapferen Anstehern für den Erstverkauf zu den Opernfestspielen ein Ständchen gab, sang mit schönem, rundem, allerdings auch erdverbundenem Sopran die Stimme von oben.

Auch die übrigen kleineren Rollen waren hervorragend besetzt: Eri Nakamura als Page Tebaldo und Galeano Salas vom Opernstudio als Herold und Graf Lerma, um nur diese beiden beispielhaft zu nennen.

Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper wurde wie immer von Sören Eckhoff hervorragend einstudiert.

Das Herz der Aufführung schlug im Graben: Paolo Carignani zeigte wieder einmal seine Qualitäten als Verdi-Dirigent: immer genau das richtige Tempo und die richtige Lautstärke, nie die Sänger zudeckend, sorgte er für einen spannenden Opernabend.

Weil in letzter Zeit so oft von „demokratischen“ Sälen (Elbphilharmonie) die Rede war: Die inzwischen 16 Jahre alte Inszenierung von Jürgen Rose; der auch für Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzept verantwortlich ist, ist eine der demokratischsten an der Bayerischen Staatsoper. Ich habe sie inzwischen acht Mal von den „billigen“, d.h. den weit entfernten Plätzen gesehen, und kann jetzt, nachdem ich sie aus dem Parkett gesehen habe, konstatieren, dass mir oben auch nicht viel entgangen ist. Mal abgesehen davon, dass ich jetzt weiß, dass die Prinzessin Eboli hellblaue Schuhe zur schwarzen Robe trägt.

Viel Jubel und ich freue mich schon auf Sonntag, da sehe und höre ich das nochmal von der Galerie aus.

 Susanne Kittel-May

 

 

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