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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: SEMELE von G.F.Händel. Wiederaufnahme

25.06.2018 | Oper

G.F. Händel, SEMELE – Gärtnerplatztheater München (Wiederaufnahme am 24. Juni)

Als Georg Friedrich Händels „Semele“ im Oktober 2013 als Produktion des Gärtnerplatzthaters im Cuvilliéstheater ihre Premiere hatte, waren sich alle Kritiker einig, dass dieses Theater ein idealer Aufführungsort für Barockopern ist. Man durfte also gespannt sein, wie sich die Übersiedlung der jetzt knapp viereinhalb Jahre alten Produktion von der Residenz in das Stammhaus am Gärtnerplatz auf die gestrige, 24. Juni, Wiederaufnahme auswirken würde. Sind die Bühnendimensionen und Klangverhältnisse hier doch deutlich anders. Und der Transfer ist gelungen !

Georg Friedrich Händel schrieb 1743 der Sängerin Elisabeth Duparc die Partie der Semele auf den Leib. Damals hatte er sich bereits von der Opernbühne verabschiedet und dem Oratorium zugewandt. Und schon zu Lebzeiten des Komponisten war sich die Kritik nicht einig, ob es sich bei „Semele“ um ein – allenfalls szenisches – Oratorium oder doch um eine Oper handelt; so verschmilzt in der Musik die Oratorienform hörbar mit der der italienischen Oper.  Im Vorwort der Ausgabe der Deutschen Händelgesellschaft, Leipzig 1860, heißt es dazu: „Die Bezeichnung wurde gewählt, weil man das Werk wegen seiner weltlichen Haltung nicht Oratorium, und seiner oratorischen Haltung wegen nicht Oper nennen wollte. „Semele“ ist aber von Congreve (der Text stammt in einer Erstfassung für den heute vergessenen Komponisten John Eccles von William Congreve) als Operntext geschrieben (1707), bewies sich indes wegen des undramatischen Ausganges als nicht geeignet für die Bühne, und blieb unbenutzt liegen bis Händel das Gedicht mit einigen Veränderungen oratorisch behandelte.“ Die Uraufführung im Jahr 1744 in London war trotz der Beliebtheit Händels nicht gerade das, was man einen wirklichen Erfolg nennen könnte.

Auch im Gärtnerplatztheater war die gestrige Wiederaufnahme erst die neunte Vorstellung dieser in weiten Bereichen witzigen und durchwegs spritzigen Produktion. Und wenn der Besucher aus Wien dem Schlussbeifall im vollen Haus glauben darf, hat es dem Publikum auch wirklich gefallen.

Wer bei „Semele“ und der Regisseurin Karoline Gruber eine quasi historische Inszenierung erwartet, ist mit falschen Vorstellungen gekommen. Denn auch wenn das Leadingteam (neben der Regisseurin Roy Spahn – Bühne, Magall Gerberon – Kostüme und Beate Vollack – Choreografie) immer wieder „altes“ Theater zitiert, bleibt die bunte Inszenierung häufig der traditionellen Moderne verhaftet. Ich hatte nach den Jahren seit der Premiere an die Inszenierung kaum mehr Erinnerungen, kann aber den diesbezüglichen Teil meiner seinerzeitigen Kritik (hoch lebe das Archiv) nahezu unverändert übernehmen, weil immer noch passend: „Ausgehend von der ersten Szene des Librettos, Semele soll gegen ihren Willen verheiratet werden, hat sich die Regisseurin dafür entschieden, die auf der Erde spielenden Szenen am Ende des 19. Jahrhunderts anzusiedeln. Im Frack die Männer, im passenden Abend-/Hochzeitskleid die Frauen. Dahinter eine Mauer, die wohl die auch geistige Enge des damaligen bürgerlichen Lebens symbolisieren soll. Bunt wird es im zweiten Akt, im Reich von Zeus – weiße Wölkchen werden vor blauem Himmel herumgetragen, irgendwann tauchen die Türme der Frauenkirche aus der Versenkung auf (eine Turmkuppel entpuppt sich als Zeus´ Hausbar), Semele wird mit Unmengen von Schuhen, Handtaschen und Kleidern, letztere vom Schnürboden herab sinkend, umgarnt (die Mimik von Jennifer O´Loughlin in dieser Szene ist ein Erlebnis für sich). Wenn die Juno ihrer Widersacherin die Zukunft vorhersagt, wird vom Schnürboden eine verkleinerte Kopie eines Bühnenportals als quasi Spiegel herabgelassen und Doubles zeigen Semeles Zukunft bis hin zur alten Frau. Und immer wieder Projektionen auf Teile der Szene. Die letzte Szene nach Semeles Tod erinnert optisch wieder an den Beginn der Oper. Der Kreis ist geschlossen. Verbindendes Glied über den ganzen Abend ist ein Schmetterling (Hipparchia semele, auch Rostbinde genannt), der als Symbol des flatterhaften Jupiter aber auch der Zerbrechlichkeit von Semele gedeutet werden kann.“

Musikalisch stand der Abend auf hohem Niveau. Dabei war Intendant Josef E. Köpplinger zu Beginn vor den Vorhang getreten, um zwei krankheitsbedingte Änderungen zu verkünden. Aber es wäre nicht das Gärtnerplatztheater, würden nicht auch solche Ereignisse zum Positiven umgewandelt werden.

Neu am Dirigentenpult steht Rubén Dubrovsky, Gründer und Leiter des Bach Consort Wien und barockerfahren. Unter seiner Leitung spielt das nur bedingt in alter Musik erfahrene Orchester zwar nicht im Stil von Originalklang-Ensembles, aber mehr als achtbar und bereitet Solisten wie Chor einen fein gewobenen Klangteppich. Vielleicht könnte der Gesamtklang etwas transparenter sein, aber das ist auch schon starke Beckmesserei. Juan Carlos Falcón, Apollo der Premiere, hatte schon die Generalprobe wegen Erkrankung absagen müssen, spielte zwar die Partie des Jupiter, wurde stimmlich aber durch den aus dem Orchestergraben singenden Ferdinand von Bothmer ersetzt. Der Sänger, der schon seinerzeit die Premiere gesungen hat, probt derzeit für die „Meistersinger“ in Erl; der Wechsel zwischen Wagner und Händel spricht für die Qualität des Sängers (und verführt höchstens unverbesserliche Puristen zu Kritik an stilistischen Feinheiten). Ebenfalls schon bei der Premiere dabei und diesmal eingesprungen für Maria Celeng ist Elaine Ortiz Arandes als Iris. Sie ist eine jener Sängerinnen, die auch in kleineren Partien überzeugen du das Publikum fesseln können. Holger Ohlmann, auch er aus der Premierenbesetzung, als Cadmus und (mit Abstrichen) Christoph Seidl als Somnus sind würdige Vertreter der tiefen Stimmen; Alexandros Tsilogiannis gibt mit schönem Tenor einen selbstverliebten Apollo. Semeles Schwester Ino singt erstmals die junge Anna-Katharina Tonauer, die mit diesem Rollendebut eine in jeder Weise überzeugende Probe ihres Könnens abgibt. Ihr Spiel überzeugt; mit schön geführter Stimme meistert sie scheinbar ohne Probleme die Klippen der Partitur. Allein sie würde schon die Reise nach München lohnen, gäbe es da nicht noch die für mich größte und überaus positive Überraschung des Abends: Victoria Yarovaya. Ich bin wahrscheinlich nicht der einzige Opernfreund, dem dieser Name bisher unbekannt war, aber Liebhaber dunkler Frauenstimmen sollten ihn sich merken. Scheinbar mühelos erreicht sie die Tiefen der Partie und scheut auch nicht die geforderten Höhen. Zu schade, dass die gängige Opernliteratur für solche Stimmen nur ein schmales Repertoire bietet (und die meisten Intendanten bieten noch weniger Möglichkeiten). Einen der weltbesten Countertenöre konnte das Gärtnerplatztheater für die in Wahrheit zu kleine Partie des Athamas engagieren – Xavier Sabata, der schon einige Vorstellungen der Premierenserie gesungen hat. Mit seiner ausgefeilten Technik und seiner Bühnenpräsenz beweist er einmal mehr, dass es vor allem in Barockopern richtig ist, für Countertenöre geschriebene Partien auch so zu besetzen. Bedankt wurde seine Leistung mit Szenenapplaus und Jubel bei den Vorhängen. In der Titelpartie glänzt – wie auch schon bei der Premiere – Jennifer O´Loughlin. Sie hat an dieser mit mörderischen Koloraturen gespickten Partie merklich Freude und meistert die geforderte Stimmakrobatik bravourös. Der lautstarke Dank der Besucher war ihr gewiss und verdient.

Wie das Orchester ist auch der Chor (Einstudierung Felix Meybier) in dieser Oper nicht wirklich im gewohnten Genre tätig. Ein großes Bravo für das Gebotene.

Michael Koling

 

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