MARIA STUARDA – 22.3.2018; Gärtnerplatztheater München (Premiere)
Die Uraufführung von „Maria Stuarda“ an der Mailänder Scala am 30. Dezember 1835 war ein veritabler Misserfolg und auch die Entstehungsgeschichte dieser „Tragedia lirica“ ist keine Erfolgsgeschichte. Gaetano Donizetti hatte die auf Schillers Drama „Maria Stuart“ basierende Oper eigentlich für das Teatro San Carlo in Neapel komponiert, wo sie erstmals im August 1834 aufgeführt werden sollte. Aber zu einer Premiere kam es nach der mehrmals verschobenen Generalprobe nicht mehr. Doch Donizetti beauftragte einen anderen Librettisten und unter dem heute nur noch ausgewiesenen Spezialisten bekannten Namen „Buondelmonte“ gelangte die neue alte Oper zur Uraufführung. Maria Malibran ist es zu verdanken, dass die Mailänder Scala die originale Oper zur ersten Premiere bringen sollte. Donizetti hat dafür die Urfassung überarbeitet; er erweiterte die Oper um einige Nummern, bearbeitete die Rezitative und fügte eine neue Ouvertüre hinzu.
Der Misserfolg der Uraufführung – sowohl Maria Malibran in der Titelpartie wie auch ihre Gegenspielerin als Elisabetta waren deutlich indisponiert – setze sich bei weiteren Aufführungen innerhalb und außerhalb Italiens fort und nach 1865 verschwand die Oper für rund 100 Jahre fast vollständig von den Bühnen. Wohl gab es eine respektable Wiederentdeckung der Oper 1958 in Bergamo, einen durchschlagenden Erfolg erzielte die Oper aber erst 1967 beim Maggio Musicale in Florenz (mit Leyla Gencer in der Titelpartie und Shirley Verrett als Elisabetta) und vielleicht noch mehr 1971 in Mailand (mit Montserrat Caballé und ebenfalls Shirley Verrett; in dieser Produktion hat der Schreiber dieser Zeilen „Maria Stuarda“ erstmals erlebt).
Jetzt hat sich das Gärtnerplatztheater in München erstmals in der Geschichte des Hauses dieser Belcantooper angenommen – man spielt die von Anders Wiklund in Zusammenarbeit mit der Stadt Bergamo für Casa Ricordi edierte „kritische Ausgabe“ – und ist damit kein geringes Wagnis eingegangen. Benötigt diese Oper doch neben koloratur- und stilsicherem Sopran (Maria Stuarda) und Mezzo (Elisabetta) auch einen schön geführten höhenfesten Tenor (Leicester) und einen profunden Bass (Talbot). Das Wagnis hat sich gelohnt und das Gärtnerplatztheater kann einmal mehr eine erfolgreiche Premiere verbuchen.
Nach seiner erfolgreichen Inszenierung von “La Sonnambula“ konnte Michael Sturminger auch für „Maria Stuarda“ als Regisseur gewonnen werden. Wie sehr er in die Entstehung der Produktion eingebunden war und in welchem Ausmaß die als Co-Regisseurin genannte Ricarda Regina Ludigkeit (die aber auch bei „Dantons Tod“ an der Wiener Staatsoper im Leadingteam genannt wird) in Wirklichkeit für die Umsetzung des Regiekonzeptes verantwortlich ist (Sturminger führt ja parallel bei „Tosca“ bei den Osterfestspielen in Salzburg Regie), entzieht sich der Kenntnis des Besuchers. Die Personenführung, der Chor ist da ausdrücklich mit einbezogen, ist – man kann es nicht anders nennen – konventionell. Die dominierende und immer wieder an eine semikonzertante Aufführung erinnernde Statik aller Mitwirkenden hat allerdings den Vorteil, dass sich der Premierenbesucher voll auf die musikalische Seite des Abends konzentrieren kann. Im krassen Gegensatz zu den historisierenden Kostümen steht das Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Andreas Donhauser und Renate Martin). Auf der Drehbühne steht ein sechseckiger Glaskörper, dessen verschiebbare Wände den Szenenwechsel erleichtern und ohne den Spielfluss störende Pausen ermöglichen.
Die musikalische Seite dieser Neuinszenierung steht auf hohem bis höchstem Niveau. Vor allem die sängerische Seite dieser Premiere überzeugt ohne Abstriche. Nadja Stefanoff, der einzige Gast im Ensemble, glänzt durch rollengerechte Kälte in der Figur der Elisabetta und überzeugt stimmlich in jeder Phase. Scheinbar mühelos meistert sie mit ihrem hellen Mezzo die weit in den Sopranbereich reichenden Höhen der koloraturreichen Partie. Diese Königin sollte man nicht zur Feindin haben. Ihre Gegenspielerin und Trägerin der titelgebenden Rolle gestaltet Jennifer O´Loughlin stimmschön und ausdrucksstark. Die lange Jahre in Wien im Ensemble der Volksoper engagierte Sängerin kann am Gärtnerplatz ihre musikalischen Stärken zeigen und weiter entwickeln; mit dieser fulminanten Maria Stuarda hat sie sich endgültig im Belcantofach etabliert. Die exponierte Rolle scheint ihr bis in die höchsten Lagen keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, nahezu gehauchte Piani habe ich selten so ergreifend gehört. Zwischen diesen dominierenden Frauen steht Roberto, Graf von Leicester, dem der höhensichere Lucian Krasznec stimmliches wie darstellerisches Profil verleiht. In dieser anspruchsvollen Partie kann er mit vokalem Glanz und schön geführter Stimme überzeugen. Levente Páll gibt mit warmen Bass einen markanten Talbot, Matija Meic ist ein intriganter wie dominanter Cecil, Elaine Ortiz Arandes beweist Stimm- wie Bühnenpräsenz in der kleinen Rolle der Anna Kennedy. Hohes Lob verdient auch in dieser Produktion der von Felix Meybier hervorragend studierte Chor.
Kleine, beinahe schon beckmesserische Einwände gibt es für die Damen und Herren vor der Bühne. An die nicht ganz unproblematischen Klangverhältnisse im Haus hat sich das Orchester unter der Leitung von Anthony Bramall, musikalischer Chefs des Gärtnerplatztheaters, bestmöglich eingestellt, aber etwas mehr Italianita und Legatobögen würden den durchaus positiven Eindruck noch steigern.
Fazit des Premierenabends: Eine Reise zu „Maria Stuarda“ kann auch anspruchsvollen Opernfreunden empfohlen werden.
Michael Koling