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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: GIPFELTREFFEN DER TITANEN. Liederabend Matija Meić (Bariton) und Bo Price (Klavier)

Liedvertonungen berühmter literarischer Vorlagen von Hugo Wolf, Johannes Brahms, Benjamin Britten und Franz Liszt

18.06.2019 | Konzert/Liederabende

Münchner Gärtnerplatztheater 17.6. 2019_ „Gipfeltreffen der Titanen“
Liedvertonungen berühmter literarischer Vorlagen von Hugo Wolf, Johannes Brahms, Benjamin Britten und Franz Liszt

Liederabend Matija Meić (Bariton) und Bo Price (Klavier)


Matija Meić . Foto: privat

Ein Liederabend von ganz besonderer Qualität war am Montag, dem 17. Juni, im intimen Ambiente des Pausenfoyers im ersten Stock des Gärtnerplatztheaters zu erleben, als der junge kroatische Bariton Matija Meić und sein renommierter Klavierbegleiter Bo Price ein ganz außergewöhnliches Programm präsentierten. Gleich zu Beginn des Abends wies Matija Meić launig darauf hin, dass mit dem „Gipfeltreffen der Titanen“ der  Dialog zwischen den Komponisten und ihren literarischen Vorlagen, also zwischen den Klang- und Sprachkünstlern, gemeint sei und sich nicht unbedingt auf die Interpreten beziehen müsse. Das Publikum konnte im Laufe des Abends jedoch mit Freude feststellen, dass die interpretatorische Leistung der beiden Künstler dem „titanischen“ Anspruch des hochrangigen Programmes durchaus in jeder Hinsicht, sowohl musikalisch wie auch empathisch, gewachsen war.

Hinter dem klangvollen Titel verbirgt sich eine Auswahl an literarisch-musikalischen Gesamtkunstwerken von hoher Emotionalität: etliche Gedichte des Universalgenies Michelangelo Buonarroti (1475–1564) – er brillierte gleichermaßen als Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter – inspirierten Hugo Wolf (1860–1903) und Benjamin Britten (1913–1976) zu drei- bzw. siebenteiligen Liederzyklen. Die „Drei Lieder nach Gedichten von Michelangelo“ (Textvorlage in der deutschen Übersetzung von Walter Heinrich Robert-Tornow) des österreichischen Komponisten Hugo Wolf, welche die erste Programmeinheit bildeten, entstanden als seine letzte Komposition im März 1897, kurz bevor er als Folge einer Syphilisinfektion in geistige Umnachtung fiel und seine letzten Lebensjahre in einem Sanatorium verbrachte. Gemeinsames Leitmotiv ist hier die sicherlich von der eigenen Lebenssituation beeinflusste Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens und die daraus resultierende Einsamkeit des Individuums; Wolfs subtil deklamative Vertonung der Gedichte Michelangelos spiegelt sein tiefes Lyrikverständnis wider und erfordert von den Interpreten eine ebenso fundierte Auseinandersetzung mit Komponist und Dichter. Matija Meić, der über eine schön modulierte, voluminöse und äußerst tragfähige Baritonstimme verfügt, die zu ganz großen Hoffnungen sowohl für die Opernbühne wie auch den Konzertsaal berechtigt, verleiht dem emotionalen Wechselspiel zwischen Aufbäumen und Resignation in ergreifender Weise Ausdruck. Nur am Rande sei angemerkt, dass sein Stimmvolumen nicht immer mit der Intimität eines kleinen Konzertsaales vereinbar war – das Pausenfoyer birgt zudem eine Vielzahl akustischer Probleme (Außen- und Aufzuggeräusche, Halleffekt des sehr hohen Raumes), die für den Vortragenden erschwerend hinzukommen. Die Anpassung des Stimmvolumens an die jeweilige Raumsituation ist aber sicherlich nicht mehr als eine technische Petitesse, die Matija Meić im Verlauf seiner weiteren Karriere spielend meistern wird. Für einige vielleicht zu opernhaft-lautstarke Momente in Matija Meić’s Vortrag entschädigte dann wiederum sein wunderschönes Piano, mit dem er die Wolf’sche Resignation und Einsamkeit in anrührender Weise vermitteln konnte. 

Nur ein halbes Jahr früher als Wolfs Michelangelo-Zyklus wurde Johannes Brahms‘ (1833–1897) Liederzyklus „Vier ernste Gesänge“, nach biblischen Texten aus dem Alten und Neuen Testament, im November 1896 in Wien uraufgeführt. Auch diesen liegt als zentrale Thematik der individuelle Umgang mit der Vergänglichkeit alles irdischen Daseins zugrunde, doch findet hier das resignative Moment im hoffnungsspendenden Glauben eine mögliche Erwiderung, einen zumindest peripher versöhnlichen Konterpart. Die ausgewählten drei Lieder beruhen auf Vorlagen aus Prediger Salomo und Jesus Sirach, wobei die ersten beiden Lieder die Reflexion über das Leben nach dem Tode zum Inhalt haben, das letzte hingegen die zwei Facetten des Todes schildert, der zwar bitter für die Gesunden und Glücklichen sei, wohltuend und erlösend hingegen für die Leidenden und Lebensmüden. Ähnlich wie bei Hugo Wolf spiegelt auch Brahms‘ Textauswahl die künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen tragischen, von Krankheit, Verlust und Leiden gezeichneten Lebensrealität wider.

Der Dialog zwischen den literarischen (Bibel und Michelangelo) und musikalischen (Johannes Brahms und Hugo Wolf) „Titanen“ des ersten Programmteiles ist in der Tat ein „Gipfetreffen“ wie es enger nicht sein könnte: die subtile und einfühlsame Interpretation durch Bo Price und Matija Meić veranschaulicht sehr deutlich die unterschiedlichen, sich oftmals ergänzenden Facetten einer lyrischen Grundstimmung und deren jeweiliger musikalischen Ausprägung durch zwei unterschiedliche Komponisten, zugleich aber auch ein ganz starkes, beide Komponisten aufs Engste verbindende Band, das wohl sicher den Namen Franz Schubert trägt … In dieser Deutlichkeit lässt sich Schuberts Einfluss auf beide Komponisten, aber auch deren jeweils individuelle Schubert-Rezeption vielleicht tatsächlich nur in einem derart unmittelbaren Dialog nachvollziehen, wie er der äußerst feinsinnigen und wohlüberlegten Programmgestaltung zu verdanken ist.

Übergeordnetes Motiv des zweiten Programmteiles – der dankenswerterweise in unmittelbarem Anschluss, ohne eine die Konzentration störende längere Pause, gegeben wurde – war die Liebe und deren Apotheose. Dieses „Gipfeltreffen“ fand statt zwischen Michelangelo Buonarroti und Francesco Petrarca (1304–1374) als „Titanen des Wortes“, vertont von den „Titanen der Musik“, Franz Liszt (1811–1886) und Benjamin Britten (1913–1976). Auch hier vermischen sich die Inhalte der Textvorlagen wieder mit den Lebensrealitäten der Komponisten: Michelangelo hatte einige seiner Sonnette dem Zeichner und Kunstsammler Tommaso de‘ Cavalieri (1509/10–1587) gewidmet, mit dem ihn zunächst ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, später dann eine lebenslange innige Freundschaft, vielleicht sogar Liebesbeziehung, verband. Der englische Komponist Benjamin Britten wiederum hatte ebendiese Sonnette Michelangelos ausgewählt, um zusammen mit seinem Lebenspartner, dem Tenor Peter Pears (1910–1986), die „Seven Sonnets of Michelangelo“ (1940 entstanden, Uraufführung am 23.09.1942) zu erarbeiten, der erste Liedzyklus, den Britten speziell für Pears komponiert hatte. Anders als Hugo Wolf, der Michelangelos Gedichte in der deutschen Übersetzung vertont hatte, behielt Britten das italienische Original bei, wodurch er nicht nur „seinen musikalischen Horizont erweitern“ wollte, sondern auch die Phonetik der italienischen Sprache gezielt integrierte. Obgleich die „Seven Sonnets“ ursprünglich für Peter Pears sehr hoch angelegte Tenorstimme konzipiert waren, tat die Interpretation durch Matija Meić’s warme und sonore Baritonstimme der Wirkung keinerlei Abbruch, sondern vermochte es, durch einfühlsame Modulation emotionale Schwerpunkte neu zu definieren.

Sicherlich nicht nur für die Berichterstatterin eine Neuentdeckung waren die beiden Lieder aus Franz Liszts (1811–1886) „Tre sonetti del Petrarca“, die am Ende des Programmes dargeboten wurden: mehr als vierzig Jahre lang hatte sich Liszt aufs Intensivste mit insbesondere drei Sonnetten des italienischen Humanisten und Literaten Francesco Petrarca auseinandergesetzt und aus diesem äußerst eindringlichen und dichtem geistigen „Gipfeltreffer“ des Musikers mit dem Humanisten, Dichter und Literaten, erwuchsen zahlreiche mehr oder weniger stark divergierende Fassungen der besagten drei Sonnette mit variierender emotionaler Fokussierung. Die hier gewählte erste Fassung der beiden Sonnette „Pace non trovo“ und „I‘ vidi in terra angelici costumi“ aus den Jahren 1842–1846 verbindet die vielfältige Emotionalität der vorhergehenden Programmpunkte in der Vision einer künstlerischen Apotheose („I‘ vidi in terra angelici costumi“), erwachsen aus Schaffenskrise und Selbstzweifel („Pace non trovo“), doch geboren aus Liebe. Wer ist nun die mysteriöse Laura, die Adressatin von Petrarcas Sonnetten? Reale Person, fiktives Ideal, Phantasiegebilde, Muse, Künstlervision? Liszts Musik impliziert Facetten von alledem, doch ohne das Rätsel zu lösen.

Das Publikum dankte den beiden Interpreten für ihre hochkarätige Leistung mit anhaltendem Applaus, für den sich die Künstler mit einer ebenso klug gewählten wie ansprechenden Zugabe revanchierten: Matija Meić hatte sich als Reminiszenz an seine Heimat für ein kroatisches Lied entschieden, dessen Inhalt er kurz erläuterte, und welches sich sowohl inhaltlich wie musikalisch als willkommener Abschluss des anspruchsvollen Programmes präsentierte, dieses ergänzend, doch ohne dessen Spannungsbogen zu brechen.

Die beiden Interpreten, Matija Meić und Bo Price, harmonierten ausgezeichnet und zeigten sich den hohen Anforderungen des Programmes in jeder Hinsicht gewachsen; Bo Price ist ein erfahrener und äußerst souveräner Liedbegleiter mit weit über das technische Können hinausgehender interpretatorischer Einfühlsamkeit, Präzision und hoher Musikalität. Matija Meić wiederum besitzt eine ausgesprochen schöne und volltönende Stimme mit warmer Mittellage und solider Tiefe; eine äußerst tragfähige Stimme mit viel Verdi-Potential und ausgesprochener Bühnenwirksamkeit. Sehr beeindruckend ist auch seine tiefempfundene Empathie für die dargebotenen Inhalte wie auch sein breites Modulationsspektrum.

Das Publikum erhielt einen Programmzettel mit den wichtigsten Informationen, darunter auch jeweils knappe Inhaltsangaben der Liedtexte. Vor dem Hintergrund des Mottos, unter dem der Liederabend stand, „Gipfeltreffen der Titanen“, und der dadurch implizierten Dialogsituation zwischen Komposition und Textgrundlage, wäre es sicherlich bereichernd gewesen, die Liedtexte insgesamt abzudrucken.

Eine sehr liebenswerte Komponente dieses in jeder Hinsicht eindrucksvollen und bereichernden Liederabends war die Anwesenheit eines großen Teiles des Sängerensembles des Gärtnerplatztheaters im Publikum; dies ist mehr als eine nur freundliche Hommage an den Sängerkollegen, sondern zeugt zudem von kollegialer Verbundenheit und positivem Ensemblegeist als vielversprechenden Komponenten für die zukünftigen Produktionen des Gärtnerplatztheaters.  

Isabel Grimm-Stadelmann

 

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