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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: EUGEN ONEGIN. Premiere

10.10.2020 | Oper international

Programmheft EUGEN ONEGIN. Premiere am 11. Dezember 1994. Spielzeit 1994 /  95 Heft 3 von Staatstheater am Gärtnerplatz, Hellmuth Matiasek, Margit  Heinzelmann: Gut (1994) | Programmhefte24

Gärtnerplatztheater München – EUGEN ONEGIN (Premiere, 8.10.2020)

 Die erste Premiere der aktuellen Saison des Gärtnerplatztheaters galt gestern Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“. Kein kleines Wagnis in Coronazeiten. Verlangt das Werk doch neben einem üppig besetzten Orchester und Chor auch das Ballett. Dass die Rahmenbedingungen eine nicht unbeträchtliche Herausforderung für alle Beteiligten bedeutet haben, darauf verwies Regisseur Ben Baur in einem Interview mit der Münchner Abendzeitung. Doch wer wagt, gewinnt. Und mit nicht unberechtigtem Stolz weist das Gärtnerplatztheater auf seiner Homepage auch darauf hin, dass alle Rollen aus dem Ensemble besetzt werden können.

Um die Oper unter den besonderen Bedingungen aufführen zu können, hatte Staatsintendant Josef E. Köpplinger den 1970 in Moskau geborenen Komponisten Pjotr Alexandrowitsch Klimow beauftragt, die Partitur für ein kleineres Orchester zu bearbeiten und einzurichten. Und auch dieses, ich nenne es einmal so, Experiment ist im Prinzip geglückt. Dass es aus dem Orchestergraben gelegentlich eher schrill als lyrisch klang, passte jedenfalls perfekt zur Szene – oder auch umgekehrt. Ob dieser Klang der neuen Partitur oder dem Dirigtat geschuldet war, wagt der Besucher aus Wien – auch mangels eines erläuternden Beitrages im Programmheft oder sonstiger Vergleichsmöglichkeiten – nicht zu beurteilen.

Ben Baur ist Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion und gemeinsam mit der Kostümbildnerin Uta Meenen setzt er das Werk ebenso kraftvoll und ausdrucksstark wie überzeugend in Szene. Es ist, als würde er die einzelnen Charaktere sezieren, ihr Innerstes nach außen drehen, auch verborgenste Gefühle frei legen. Die historisierenden Kostüme sind dazu ein gewollter Kontrapunkt. Da ist es zweifelsfrei hilfreich, dass aktuelle Hygienevorschriften und Abstandsregeln auch auf der Bühne zu intensive körperliche Kontakte be- und verhindern. Was die Personen denken und fühlen, bleibt zumeist angedeutet, zu Ende denken soll das Publikum. Das, ein karges Bühnenbild in einem großen Raum, in dem vor- und weggezogene Vorhänge die Spielfläche immer wieder in ihrer Größe verändern (darüber kann man trefflich diskutieren) und die kühle Ausleuchtung der Bühne (Licht: Michael Heidinger) erzeugen eine Spannung, die den Abend kürzer wirken lässt als die knapp drei Stunden tatsächlich sind.

Gesungen wird auf durchwegs hohem Niveau bis in die kleinsten Rollen. Und gerade „Eugen Onegin“ bietet neuen Ensemblemitgliedern die Möglichkeit, sich in kleinen wenngleich nicht unbedeutenden Rollen dem Publikum zu präsentieren. Da ist etwa Anna Agathonos als Filipjewna, die in ihren Auftritten mit Stimme und Persönlichkeit überzeugen kann, und da ist vor allem Sava Vemic, der für die Rolle des Fürsten Gremin wohl noch viel zu jung ist, aber eine Visitenkarte abgeben konnte, die ihn als große Hoffnung für die wesentlichen Rollen des (tiefen) Bassrepertoires empfiehlt. Aus den schon länger bekannten Ensemblemitgliedern in so genannten Wurzen ragen Ann-Karin Naidu als Larina und Juan Carls Falcon als Triquet heraus.

Olga ist bei Tschaikowsky „nur“ eine wichtige größere Nebenrolle. Aber sie bedarf einer Sängerin mit Ausstrahlung und stimmlichen Format. Das alles kombiniert Anna-Katharina Tonauer. Sie ist im ersten Bild der in Ausdruck wie Stimmfarbe gewollte und Rollenprofil abdeckende Gegenpol zu Tatjana (und leider ist bei dieser Sängerin diese Rolle so kurz). Diese verkörpert Camille Schnoor bestmöglich. Ich gebe zu, die Versuche, sie als Operettendiva aufzubauen, haben mich nicht überzeugt. Aber vor ihrer stimmlichen wie interpretatorischen Leistung als Tatjana ziehe ich symbolisch den Hut. Das, was sie am Premierenabend geboten hat, war eine annähernd ideale Übereinstimmung von Regie und stimmlicher Interpretation dieser Ideen. Brava. Bleiben die beiden Gegenspieler Lenski und Onegin, interpretiert von Lucian Krasznec und Mathias Hausmann. Beiden fordert die Regie gebrochene Charaktere ab, die dieses Bild auch stimmlich extrem umsetzen. Darunter leidet da und dort auch gewohnter Schöngesang, weil eben gewollter Ausdruck überwiegt. Aber die im Gesang ausgedrückte Stimmungsschwankung zwischen traumhaften Piano und die Grenzen der Tonalität streifenden Ausbrüche, die Krasznec zeigt, müssen erst einmal intellektuell gezeigt und stimmlich umgesetzt werden. Auch dazu ein ehrliches Bravo. Und so, wie Hausmann die zerbrechliche wie zerbrochene Figur der Titelpartie zeigt, das muss ein Sänger erst einmal können. Wie auch bei seinem zunächst Freund und später Widerpart Lenski ist das gewollt kein purer Schöngesang; der Schwerpunkt liegt auf Ausdruck.

Auf ein Minimum reduziert sind der wie immer sehr gut einstudierte Chor (Felix Meybier) und Ballett. Der Chronist nimmt zur Kenntnis, das Corona eine stärkere Interpretation vor allem im Tanz verhindert hat.

Anthony Bramall, der Chefdirigent des Hauses, leitete aufmerksam alle Mitwirkenden und hielt ein durchwegs straffes Tempo. Was dem mit einem Premierenabo ausgestatteten Besucher aus Wien aufgefallen ist – das Orchester deckte diesmal die Sänger nicht zu.

Und hervorgehoben gehören diesmal ganz besonders die als Muttersprache russisch sprechenden Korrepetitoren. Sie waren es nämlich, die die SängerInnen auch sprachlich geführt haben. Denn „Eugen Onegin“ wird am Gärtnerplatztheater selbstverständlich in der Originalsprache gespielt.

 

Michael Koling    

 

 

 

 

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